Am 7. April vor genau 35 Jahren wurde der Generalbundesanwalt Siegfried Buback bei einem gezielten Anschlag der Roten Armee Fraktion getötet. Er war nicht das einzige Opfer aus den Reihen der Justiz. Immer wieder gerieten auch Richter und Staatsanwälte ins Visier der RAF. André Niedostadek über Protest, der zum Terror wird und Mordkommandos zur "Big Raushole".
Am Anfang standen die Proteste vieler, was folgte war der Terror einiger weniger: Mitte der 1960er Jahre richtet sich die Studentenbewegung hierzulande gegen die "herrschenden Verhältnisse". Man wendet sich gegen den Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, verurteilt Vietnam, Imperialismus und Konsum und protestiert für eine bessere Welt.
Mit dem Tod des Studenten Benno Ohnesorg, der im Sommer 1967 von einer Polizeikugel getroffen wird, und dem Attentat auf den bekanntesten Wortführer der Studentenbewegung, Rudi Dutschke, ein knappes Jahr später, beginnen sich einzelne Teile der Bewegung zu radikalisieren. Die Radikalen sehen sich selbst in einem Guerillakampf gegen den Staat und orientieren sich an Symbolfiguren wie Che Guevara oder Ho Chi Minh. Gewalt gilt als durchaus legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung. Das Motto: Taten statt Worte.
Vom Protest zum Terror
Und die sollten auch folgen: 1968 brennt es in zwei Frankfurter Kaufhäusern, es bleibt aber bei einem Sachschaden. Einer der Brandstifter ist Andreas Baader, der bald darauf gefasst und zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt wird. Für ein angebliches Buchprojekt soll er im Mai 1970 die Journalistin Ulrike Meinhof außerhalb des Gefängnisses im Deutschen Zentralinstitut für Soziale Fragen treffen. Dabei gelingt es einer Gruppe von Sympathisanten Baader gewaltsam zu befreien. Es ist die Geburtsstunde der Roten Armee Fraktion (RAF).
Bei der Fahndung nach Mitgliedern der RAF kommt es in den beiden folgenden Jahren zu ersten Toten auf Seiten der Polizei und der untergetauchten Baader-Meinhof-Gruppe. Im Mai 1972 erschüttert dann eine ganze Serie von Anschlägen die Bundesrepublik. Ziele sind unter anderem ein US-Stützpunkt, eine Polizeidirektion und ein Landeskriminalamt. Es gibt zahlreiche Verletzte und mit US-Oberstleutnant Paul A. Bloomquist einen weiteren Toten.
Auch in Justizkreisen herrscht eine angespannte Stimmung, da Staatsanwälte und Richter fürchten zum Ziel der Terroristen zu werden. Bereitschaftspolizisten sichern das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und den Bundesgerichtshof (BGH). Unter dem Titel "Furchtbare Zeit" berichtet der Spiegel damals, dass der Präsident des Oberlandesgerichts Frankfurt 2.500 Justizangestellte evakuieren ließ, dass am Oberlandesgericht in Hamm die Rechtspflege ruht, weil 600 Bedienstete heimgeschickt wurden und dass auch in Karlsruhe, dem Sitz des BGH, die Schotten dicht sind und an den Wohnungen der Bundesrichter die Rollläden herunterrattern. Man wage nicht einmal abends mit dem Hund auf die Straße zu gehen.
Die Justiz als Zielscheibe
Und die Angst ist nicht unberechtigt. Am 15. Mai 1972 explodiert in Karlsruhe ein VW als die Fahrerin Gerta Buddenberg den Wagen starten will. Sie wird schwer verletzt. Der Anschlag gilt jedoch nicht ihr, sondern ihrem Mann, Wolfgang Buddenberg. Er ist der zuständige Haft- und Ermittlungsrichter am BGH und hatte zahlreiche Haftbefehle und Beschlüsse gegen die Baader-Meinhof-Gruppe unterzeichnet. Seine Frau wollte den Wagen an diesem Tag nur ausnahmsweise nutzen.
Zu dem Anschlag bekennt sich das "Kommando Manfred Grashof" der RAF. Dahinter stecken Andreas Baader, Jan Carl Raspe und Holger Meins. Das RAF-Mitglied Grashof war wenige Wochen zuvor bei einem Schusswechsel mit der Polizei verletzt und festgenommen worden. Nach Ansicht des Ermittlungsrichters Buddenberg ließ es der Gesundheitszustand jedoch zu, Grashof vom Haftkrankenhaus in die Untersuchungshaft zu verlegen.
Für die RAF war das nichts anderes als ein Mordversuch. In ihrem Bekennerschreiben heißt es: "Buddenberg, das Schwein, hat Grashof zu einem Zeitpunkt vom Krankenhaus in die Zelle verlegen lassen, als der Transport und die Infektionsgefahr im Gefängnis noch lebensgefährlich für ihn waren. Er hat den Mordversuch an Grashof, der den Bullen nicht gelungen ist, an dem wehrlosen Grashof wiederholt".
Mordkommandos zur "Big Raushole"
Im Juni 1972 gelingt allerdings ein schwerer Schlag gegen die Terroristen. Eine beispiellose Großfahndung führt zur Festnahme von Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und Jan Carl Raspe. Die führenden Köpfe der ersten Generation der RAF sitzen damit in Haft. Mit einem Hungerstreik wenden sie sich gegen die ihrer Ansicht nach unmenschlichen Haftbedingungen.
Außerhalb des Gefängnisses versuchen verbleibende Teile der RAF sowie der "Bewegung 2. Juni", einer anderen aktiven terroristischen Vereinigung, die Gefangenen freizupressen. Mit der Entführung des Berliner CDU-Politikers Peter Lorenz gelingt das sogar zum ersten und zugleich einzigen Mal. Die RAF-Spitze bleibt zwar in Haft. Jedoch kommt unter anderem Verena Becker frei. Ein Überfall auf die deutsche Botschaft in Stockholm zwingt den Staat dagegen nicht in die Knie.
Währenddessen beginnt in Stuttgart-Stammheim im Mai 1975 der aufwändige Prozess gegen das Quartett Baader, Ensslin, Meinhof und Raspe. Eine eigens gesicherte Halle neben dem Hochsicherheitsgefängnis dient als Sitzungssaal. Ein Jahr nach Prozessbeginn begeht Ulrike Meinhof in ihrer Zelle Selbstmord. Es heißt, sie sei zermürbt gewesen vom Strafverfahren und der Haft. Zudem war sie nach Streitigkeiten unter den Gefangenen zunehmend isoliert. Für die RAF handelt es sich dagegen um einen inszenierten Selbstmord und eine staatliche Exekution.
Außerhalb der Gefängnismauern übernimmt zunächst der ehemalige Baader-Verteidiger Siegfried Haag die Führung der RAF. Der Rechtsanwalt war zwischenzeitlich selbst in die Illegalität abgetaucht. Nach dessen Verhaftung im November 1976 gilt die kurz zuvor aus der Haft entlassene Brigitte Mohnhaupt als Baaders Bevollmächtigte. Unter ihrer Regie wächst eine zweite Generation der RAF heran. Es ist der Beginn der "Offensive 77" und der Auftakt einer Serie von Mordkommandos zur "Big Raushole".
Das Attentat auf Siegfried Buback
Die ersten Opfer sind am 7. April 1977 der oberste Ankläger der Republik, Generalbundesanwalt Siegfried Buback, sowie zwei Begleiter. Sie werden auf dem Weg zum BGH von einem Motorrad aus in ihrem Wagen erschossen. Den Attentätern gelingt die Flucht. Zu dem Anschlag bekennt sich das "Kommando Ulrike Meinhof". Ein zentrales Motiv ist Rache. In einem Kommuniqué der RAF heißt es: "Buback war direkt verantwortlich für die Ermordung von Holger Meins, Siegfried Hausner und Ulrike Meinhof. Er hat in seiner Funktion als Generalbundesanwalt […] ihre Ermordung inszeniert und geleitet."
Zwar werden mit Knut Folkerts, Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt später drei Mitglieder der RAF für den Mordanschlag verurteilt und ein Verfahren gegen die ehemals freigepresste Verena Becker mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Allerdings ist das genaue Tatgeschehen auch 35 Jahre nach dem Mord unklar. Zudem hat eine etwaige Beteiligung von Verena Becker inzwischen neue Fragen aufgeworfen. In einem aktuellen Verfahren versucht das Oberlandesgericht Stuttgart seit dem 30. September 2010 erneut ihre Rolle zu werten.
Die Bundesanwaltschaft als Inbegriff des Feindbildes
Ende April 1977, wenige Wochen nach dem Anschlag auf Siegfried Buback, wird das verbleibende RAF-Führungstrio Baader, Ensslin und Raspe zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Sie bleiben allerdings auch aus der Haft heraus weiterhin die zentralen Identifikationsfiguren und Wortführer.
Im Juli 1977 fällt Jürgen Ponto, der Chef der Dresdner-Bank, einem weiteren Attentat zum Opfer. Mit der Bundesanwaltschaft gerät einen Monat später erneut eine Einrichtung der Justiz ins Visier. Die oberste Strafverfolgungsbehörde gilt als Inbegriff des Feindbildes der RAF. Ziel der Terroristen ist es, möglichst viele Bundesanwälte umzubringen und durch massiven Druck den Staat zum Handeln zu zwingen.
RAF-Mitglied Peter-Jürgen Boock, der "Techniker", konstruiert dafür eigens einen 150 Kilogramm schweren Raketenwerfer. Insgesamt 42 Geschosse sollen das Gebäude von einer gegenüberliegenden Wohnung aus treffen und zum Explodieren bringen. Die Attentäter überfallen die Wohnungsinhaber, ein älteres Ehepaar, und bringen die Höllenmaschine in Stellung.
Der Anschlag geht jedoch schief. Der für die Zündung benötigte Wecker war nicht aufgezogen. Boock wird später angeben, er habe Skrupel bekommen und das Attentat absichtlich vereitelt. Das Oberlandesgericht Stuttgart sieht darin allerdings eher ein Versehen. Wegen dieser und anderer Taten wird Boock zu einer mehrfach lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt.
Der "Deutsche Herbst" im Terrorjahr 1977
Im September und Oktober 1977, dem "Deutschen Herbst", eskaliert der linksextremistische Terror und stürzt die Bundesrepublik in eine schwere Krise. In Köln wird Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer entführt. Etwas später kapert ein sympathisierendes palästinensisches Kommando die Lufthansa-Maschine "Landshut". In beiden Fällen geht es erneut darum, die führenden RAF-Terroristen freizubekommen.
Der Staat lässt sich jedoch nicht erpressen. Als Einsatzkräfte der GSG 9 Mitte Oktober in einer erfolgreichen Aktion die Landshut im somalischen Mogadischu stürmen und alle Geiseln befreien, besiegelt das zugleich das Todesurteil von Schleyer. Seine Leiche wird am nächsten Tag im Kofferraum eines Audis gefunden. In der Nacht zuvor begehen Baader, Ensslin und Raspe teils mit eingeschmuggelten Waffen in ihren Zellen Selbstmord. Für die RAF handelt es sich auch hier einmal mehr um staatlich veranlasste Hinrichtungen.
Bis 1982 gelingt es, weitere führende Mitglieder der RAF, wie Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar, zu fassen. Der Terror ist damit aber keineswegs am Ende. Schon hat sich eine dritte Generation in Stellung gebracht.
Die RAF ändert ihre Strategie
Zwischen 1985 bis 1991 kommt es zu weiteren Anschlägen. Zu den Opfern zählen der Rüstungsmanager Ernst Zimmermann, der Siemens-Vorstand Karl Heinz Beckurts, der Diplomat Gerold von Braunmühl, der Sprecher der Deutschen Bank Alfred Herrhausen sowie zuletzt der Chef der Treuhand Detlev Karsten Rohwedder. Die Morde finden erst 1992 ein Ende. In diesem Jahr schlägt die RAF eine neue Strategie ein und sagt sich vorerst von weiteren Morden los.
Die Verurteilung von Christian Klar und weitere Gerichtsverfahren stellen für die RAF allerdings einen neuen Angriff des Staates dar. Ein letztes Mal trifft es eine Einrichtung der Justiz. Im März 1993 gelingt es einer kleinen Gruppe, das Wachpersonal der Justizvollzugsanstalt Weiterstadt zu überwältigen. Die Anlage ist neu und noch nicht mit Häftlingen belegt. In den frühen Morgenstunden detonieren mehrere Ladungen Sprengstoff. Weite Teile des Neubaus werden zerstört und beschädigt. Glücklicherweise kommen keine Personen zu Schaden. Allerdings entsteht ein Sachschaden von rund 100 Millionen Mark. Es bleibt die letzte große Aktion der RAF.
Im gleichen Jahr kommt es im Bahnhof Bad Kleinen zu einem Zwischenfall. Bei einem Schusswechsel mit der Polizei stirbt das RAF-Mitglied Wolfgang Grams. Vieles spricht auch hier für einen Selbstmord, wenngleich die genauen Umstände nicht mehr rekonstruierbar sind. Seine Begleiterin, die Terroristin Birgit Hogefeld, wird verhaftet. Sie bleibt bis zu ihrer vorzeitigen Haftentlassung im Juni 2011 das letzte inhaftierte RAF-Mitglied.
Am 20. April 1998 erklärt die RAF nach 28 Jahren ihre Auflösung. In einem Schreiben an die Nachrichtenagentur Reuters heißt es: "Die Stadtguerilla in Form der RAF ist nun Geschichte". Längst noch nicht abgeschlossen ist dagegen die Aufarbeitung dieser Geschichte.
Der Autor Prof. Dr. André Niedostadek. lehrt Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialrecht an der Hochschule Harz.
André Niedostadek, Terror von links: . In: Legal Tribune Online, 07.04.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5959 (abgerufen am: 13.10.2024 )
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