20 Jahre nach der Abschaffung des Rabattgesetzes: Denkmal der NS-Raub­po­litik

von Martin Rath

25.07.2021

Während es in der Bundesrepublik wahlweise kuriose oder langweilige Urteile nach sich zog, war das Rabattgesetz ursprünglich Teil der chaotischen und korrupten NS-Wirtschaftspolitik. Am 25. Juli 2001 trat es außer Kraft.

Für unnötige Rechtsprobleme eignet sich vielleicht ein Beispiel aus der Welt des Tennis – und sei es nur, weil nicht jedem einleuchtet, wozu es gut sein soll, auf einen Ball einzuschlagen oder ihm hinterherzulaufen. Einigen stellt sich diese Sinnfrage natürlich nicht. Spitzensportler wie der Schweizer Roger Federer (1981–) kamen zuletzt mit Preisgeldern und Werbeeinnahmen auf einen Jahresverdienst von über 100 Millionen US-Dollar, die Japanerin Naomi Ōsaka (1997–) soll es auf immerhin 37,4 Millionen US-Dollar im Jahr gebracht haben.

Gemessen daran wirkt ein Geschäft beinahe anrührend, das der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 4. November 1977 dokumentierte – in einem Rechtsstreit, den die vor Stefanie Graf (1969–) erfolgreichste deutsche Tennisspielerin Helga Masthoff (1941–) Anfang der 1970er Jahre mit ihrem BMW-Händler durchlitt.

Die Sportlerin hatte 1972 beim Kauf eines BMW Typ 2500 nur 90 Prozent des Rechnungsbetrags von 18.687,56 Mark bar zahlen müssen, weil vereinbarungsgemäß ein Sondernachlass über drei und eine Gutschrift über sieben Prozent abgezogen worden waren. Strittig blieb, ob ihr weitere zehn Prozent des Kaufpreises zu erstatten waren – ein Betrag, den sie als Spitzensportlerin unter anderem dafür erhalten sollte, dass sie eine entsprechende Rechnung stellte und vier Fotos vorlegte, die sie in Tenniskleidung mit dem gekauften Fahrzeug abbildeten.

Während der BGH nicht ausschließen wollte, dass die Sportlerin damit eine Leistung erbracht hatte und ein rabattrechtliches Problem für diese neuerliche Zehn-Prozent-Gutschrift nicht bestand, war die Vorinstanz offenbar davon ausgegangen, dass ein nach dem Rabattgesetz womöglich heikler Preisnachlass von insgesamt 20 Prozent vorlag (BGH, Urt. v. 04.11.1977, Az. I ZR 24/76).

Dass die erfolgreichste deutsche Tennisspielerin ihrer Zeit um einen Preisnachlass von 1.896,80 Mark stritt, war damit weniger von rabattrechtlichem als von sportsoziologischem Interesse: Eine normalsterbliche Vollzeitbeschäftigte verdiente 1972 rund 500 Mark monatlich – Leibesübungen lohnten sich also bereits, aber Spitzensportler lebten noch in keiner gänzlich unbürgerlichen Welt. 

Verlogener Verbraucherschutz vor Preisnachlässen 

Luxusgeschäfte dieser Art waren sichtlich nicht, was dem NS-Gesetzgeber vor Augen stand, als er das Gesetz über Preisnachlässe (Rabattgesetz) vom 25. November 1933 beschloss.

Das Gesetz schränkte die Freiheit von Geschäftsleuten ein, "Waren des täglichen Bedarfs im Einzelverkauf" sowie "gewerbliche Leistungen des täglichen Bedarfs" gegenüber dem "letzten Verbraucher" unter Gewährung gewisser wirtschaftlicher Vorteile abzusetzen. Einem Kunden, der bar zahlte, durfte etwa kein Barzahlungsrabatt von mehr als drei Prozent eingeräumt werden (§ 2). Konsumvereine, die ihren Mitgliedern den Gewinn ausschütteten, durften dies nicht über drei Prozent des individualisierten Umsatzanteils leisten (§ 5). Ganz verboten wurden Barzahlungsrabatte für "Warenhäuser, Einheits-, Klein- oder Serienpreisgeschäfte" und "Werkskonsumanstalten" (§ 6). Diese Regelungen lassen sich mit der chaotischen und korrupten Wirtschaftspolitik des Nationalsozialismus erklären.

Dazu muss man sich die Absatzlogistik jener Zeit vor Augen führen. Während heute sogenannte "Unverpacktläden" als letzter Schrei des ökobewussten Publikums gelten, war damals ein solcher personalintensiver Einzelhandel nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Großzügige Warenhäuser, die mit Ansätzen von Selbstbedienung experimentierten, oder sogenannte Einheitspreisgeschäfte, die nach dem Prinzip von "1Euro-Läden" gut abgepackte Lebensmittel mit reduziertem Personalaufwand günstig abgaben, machten den etablierten, meist inhabergeführten Einzelhändlern spätestens seit den 1920er Jahren erfolgreich Konkurrenz.

In diesem absinkenden, innovationsarmen Mittelstandssegment suchte die NSDAP ihre Klientel mit dem Versprechen, eine "Lösung der Kaufhausfrage" zu bieten. Statt jedoch Maximalforderungen nach dem Verbot solcher moderner Absatzmodelle zu folgen, erschwerten gesetzliche Regelungen diesen nur das Geschäft. Einheitspreisgeschäfte durften etwa nach dem "Gesetz zum Schutze des Einzelhandels" vom 12. Mai 1933 nicht mehr neu errichtet, alte nicht erweitert werden.

Gegen die oft jüdischen Eigentümer von auf dem flachen Land noch neuen Kaufhäusern wurden Kunden- und Lieferantenboykotts organisiert, was nicht nur die großen Häuser traf, etwa der vergleichsweise bekannten Familie Tietz, sondern auch ungezählte Mittelständler, vom Kaufhaus Magda Hirsch in Potsdam bis zur regionalen Warenhauskette Sally Knopf in Freiburg. Neben der halbherzigen Gesetzgebung gegen moderne Einzelhandelsgeschäfte diente die fortgesetzte antisemitische Kampagne dazu, der Klientel "arischer" Kaufleute vorzuspiegeln, ungeachtet der aus betriebswirtschaftlichen Gründen letztlich zwingenden Abkehr von der Welt der Unverpackt- und Kolonialwarenhändler alten Stils eine "Lösung der Kaufhausfrage" im Sinn zu haben. Mit der "Arisierung" der leistungsfähigen Geschäfte verlor die Kampagne gegen Kaufhäuser generell an Dynamik.

Größte Beute der NS-Räuberschaft: Konsumgenossenschaften 

Die beiden bereits erwähnten Verbote nach §§ 2 und 5 Rabattgesetz, Barzahlern mehr als drei Prozent Rabatt einzuräumen und den Mitgliedern von Konsumvereinen einen Gewinn auszuschütten, der über drei Prozent ihres Umsatzanteils lag, trafen besonders einen Zweig des deutschen Einzelhandels, der sich von der nationalsozialistischen Raubpolitik nicht mehr erholen sollte – auch wenn ihm nach dem Krieg eigene Managementfehler den Rest gaben: die deutschen Konsumgenossenschaften.

Meist tief verwurzelt im katholischen oder sozialdemokratischen Arbeitermilieu, waren Konsumgenossenschaften bereits im Kaiserreich entstanden. Ihre Mitglieder profitierten von ihrer Verhandlungsmacht gegenüber dem Großhandel oder den landwirtschaftlichen Erzeugern – was heute zum Wohlstand der "Discounter"-Familien Albrecht oder Schwarz beiträgt, war bis 1933 das genossenschaftliche Geschäftsmodell zur Abwehr von Armut in den rasant gewachsenen Großstädten Deutschlands gewesen.

Natürlich wurden die Konsumgenossenschaften in ihrer Tätigkeit nicht nur durch das Verbot behindert, ihre Mitglieder umsatzbezogen zu mehr als drei Prozent an der Gewinnausschüttung zu beteiligen, es kam der direkte Zugriff auf die Organisationsstruktur hinzu: das in Köln mehrheitlich katholische, in Hamburg sozialdemokratische Management der zentralen Einkaufsgenossenschaften wurde beseitigt und durch nationalsozialistische Funktionäre ersetzt.

Wer sich ein Bild davon machen will, wie attraktiv ihre Beute war: Sehr anschaulich dokumentiert dies ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. April 2007 am Beispiel eines vormaligen Ritterguts, das 1927 von der Großeinkaufs-Gesellschaft Deutscher Consumvereine mbH (GEG) Hamburg zur Fleischproduktion erworben worden war (BVerwG, Urt. v. 25.05.2007, Az. 8 C 7.06). Kurz: Der moderne Einzelhandel war in Deutschland einst genossenschaftlich organisiert, von der NS- und der SED Diktatur hat er sich so wenig erholt wie von eigenem Missmanagement nach dem Zweiten Weltkrieg. 

Schutz vor Konzentration oder Sozialisation, Selbständigkeit zu scheuen? 

Derart auf seinen historischen Kern zurückverweisende Streitfragen finden sich in der Rechtsprechung zum Rabattgesetz in der Bundesrepublik jedoch selten.

Einen Fingerzeig auf die Fragwürdigkeit des Gesetzes gaben seit den 1950er Jahren wiederholt Fälle, in denen sich Einzelhändler mit einem "agent provocateur" konfrontiert sahen, der sie zu unerlaubten Preisnachlässen motivierte – was den BGH vor die Frage stellte, ob ein derartiger Privatlockspitzel "Letztverbraucher" im rabattrechtlichen Sinn sei (BGH, Urt. v. 29.04.1960, Az. I ZR 21/59).

Neben dem Steuerrecht und anderen Bürokratiekosten trug auch das Rabattgesetz dazu bei, berufliche Selbständigkeit in Deutschland so unpopulär zu machen, wie in kaum einer anderen westlichen Gesellschaft – zu einer Tätigkeit, die unter einer Art mentalem Erlaubnisvorbehalt steht. Es lässt sich etwa leicht ausmalen, welchen Beitrag zur Freiberufler-Sozialisation es leistete, einem Fahrlehrer rabattrechtlich zu verbieten, Schülern und Studenten einen Sonderpreis einzuräumen (BGH, Urt. v. 26.05.1972, Az. I ZR 123/70).

Weniger bedrohlich als kurios wirkte es, als die Firma Nixdorf ihre Preisgestaltung für Taschenrechner durch alle Instanzen tragen musste, um dem Vorwurf eines unzulässigen Mengenrabatts zu entgehen (BGH, Urt. v. 04.11.1977, Az. I ZR 11/78).

In der Debatte zur Abschaffung des Rabattgesetzes – betrieben von einer rot-grünen Bundestagsmehrheit – führte der CDU-Abgeordnete Hartmut Schauerte (1944–) als die "eigentlichen Ziele" des 1933 beschlossenen, vom demokratischen Gesetzgeber übernommenen Rabattgesetzes an, "erstens die Preistransparenz, zweitens die Konzentrationsverlangsamung und ein[en] gewisse[n] Schutz für kleine Unternehmen und drittens Marktwirtschaft statt Machtwirtschaft zu ermöglichen und zu optimieren" (Plenarprotokoll 14/180 vom 29. Juni 2001, S. 17.768 A). Der CDU-Mittelstandspolitiker fand jedoch mit diesen Einwänden kein Gehör mehr: Vor 20 Jahren trat das Rabattgesetz außer Kraft

Zitiervorschlag

20 Jahre nach der Abschaffung des Rabattgesetzes: Denkmal der NS-Raubpolitik . In: Legal Tribune Online, 25.07.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45551/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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