Eine "Prise" bezeichnet nicht nur eine Maßeinheit in der Küchensprache, sondern auch die Beute einer Kaperfahrt. Und die hat(te) sogar ihr eigenes Rechtsgebiet, von dem kriegführende Staaten nicht selten profitierten. Von Martin Rath.
Wirtschaftlich fragwürdig war das Abenteuer der deutschen Weltreichspläne schon vor dem Ausbruch des Weltkriegs gewesen. Die in Hamburg ansässige Deutsch-Westafrikanische Handelsgesellschaft meldete an Umsätzen für ihr geografisches Geschäftsgebiet – die heutigen Staaten Togo und Kamerun – beispielsweise gerade einmal Umsätze im einstelligen Millionenbetrag, um vom Gewinn lieber zu schweigen.
Über die sozialen und moralischen Abgründe des Vorhabens, Afrika auch noch nach deutscher Fasson zu zivilisieren, erfährt die deutsche Öffentlichkeit mit einem gewissen Unwillen erst wieder in der jüngsten Zeit. Dass in die kolonialen Abenteuer auch hervorragende Köpfe des lichten und liberalen Deutschlands involviert waren, mag zum geringen Interesse für seine Schattenseiten beigetragen haben – dem Aufsichtsrat besagter Handelsgesellschaft gehörte neben den notorischen Bankdirektoren und Rittergutsbesitzern etwa ein gewisser Hugo Preuß an (1860–1925) – älteren Semestern bekannt als ehrbarer, liberaler Hauptautor der Weimarer Reichsverfassung.
Mit dem Krieg wurde das Kolonialgeschäft vollends zum ökonomischen Desaster. An einem Rechtsstreit, für den sich eine reichlich ehrwürdige hanseatische Einrichtung, der Verein der Hamburger Assekuradeure, Ansprüche der Deutsch-Westafrikanischen Handelsgesellschaft gegen den Reichsfiskus hatte abtreten lassen, zeigte sich: Die roten Zahlen waren nicht erst mit dem "Verlust" der Kolonien und der larmoyant beklagten "Schmach von Versailles" zu bilanzieren.
Die Sache ging bis vor das Reichsgericht in Leipzig und endete dort mit Urteil vom 15. Februar 1917.
Wir lagen vor Teneriffa - und hatten zu viel an Bord
Die Handelsgesellschaft hatte auf einem Dampfschiff Waren verschifft, deren Wert sie auf 18.832 Mark bezifferte – die entsprechende Forderung trat sie später an die Assekuradeure ab. Das Schiff kam aber nie an. In den Worten des Reichsgerichts:
"Der Dampfer wurde alsbald nach seiner Ankunft in Teneriffa am 1. August 1914 vom Reichsmarineamt zur Verwendung als Hilfs- und Kohlenschiff für deutsche Kreuzer erfordert und nach der Behauptung des Klägers, ohne daß die Ladung zuvor gelöscht werden durfte, in Dienst gestellt. Der Dampfer ist im Dienst der Marine von einem englischen Kriegsschiff aufgebracht und prisengerichtlich verurteilt worden."
In diesem kurzen Sachverhalt werden gleich zwei, juristisch teils sehr akkurat ausgearbeitete Systeme erwähnt, mittels derer sich der Staat am Eigentum seiner oder fremder Bürger bereichern konnte: das "Erfordernis" von Kriegsleistungen sowie die "prisengerichtliche Verurteilung".
Nehmen wir sie uns der Reihe nach vor.
Im Krieg ist das Eigentum nicht mehr ganz heilig
Die Assekuradeure begehrten hier nicht Schadensersatz wegen des von den Briten eroberten Dampfers, sondern allein wegen der verlorenen Güter auf dem Schiff, die nicht mehr hatten an Land gebracht werden können, weil es die Kriegsmarine so eilig damit hatte, den privaten Dampfer für sich in Gebrauch zu nehmen.
Eigentlich sollte nach den Spielregeln, die sich die Staaten im 19. Jahrhundert auferlegten, ein Krieg aus regulären Staatseinnahmen beziehungsweise auf Kredit finanziert werden, letzteres mit Blick auf mögliche Reparationszahlungen des Feindes. Ersteres sollte unterbinden, dass private Vermögensgegenstände unmittelbar zu Kriegszwecken herangezogen, also requiriert oder geplündert werden. Nicht nur, weil dem Bürger das Eigentum heilig war, sondern, weil der unmittelbare Zugriff auf das Eigentum der Bürger leicht zum Plündern und Marodieren einlädt. Mit derart beschäftigten Streitkräften lässt sich kein Krieg führen.
Verankert waren diese Spielregeln für Deutschland namentlich in § 2 des "Gesetzes über die Kriegsleistungen" vom 13. Juni 1873, wonach Leistungen nur dann "erfordert" – also abverlangt – werden sollten, als die militärischen Bedürfnisse "nicht anderweitig, insbesondere nicht durch freien Ankauf beziehungsweise Baarzahlung" befriedigt werden konnten. Für zwangsweise erbrachte Leistungen an das Militär war eine "Vergütung aus Reichsmitteln zu gewähren".
Ein Anspruch auf dieser Rechtsgrundlage scheiterte im vorliegenden Fall, weil die Waren der Deutsch-Westafrikanischen Handelsgesellschaft auf dem Schiff für die Kriegsmarine nicht zu gebrauchen waren, sondern allein der Dampfer selbst von Interesse war. Nach Auffassung des Reichsgerichts waren sie also nicht zu Kriegszwecken "erfordert" worden.
2/2: Aufopferungsanspruch aus preußischem Landrecht
Mit dem Anspruch, wegen eines "Sonderopfers" entschädigt zu werden, können sich bei gegebenem Fall Juristen bis heute befassen, auch wenn sie sich dabei der reichlich alten Rechtsquelle vielleicht nicht mehr bewusst sind: Die Hamburger Assekuradeure begehrten Schadensersatz auch aus Einleitung § 75 Allgemeines Landrecht (ALR) für die Preußischen Staaten von 1794. Ist der Untertan nach § 74 ALR grundsätzlich verpflichtet, seine – geldwerten – Interessen der Obrigkeit zur Verfügung zu stellen, schränkt die Folgenorm ein: "Dagegen ist der Staat denjenigen, welcher seine besonderen Rechte und Vorteile dem Wohle des gemeinen Wesens aufzuopfern genötigt wird, zu entschädigen gehalten."
In Zeiten des raschen industriellen Wachstums und der entsprechenden, teils staatlichen Infrastrukturen hatte dieser Satz im Deutschland des 19. Jahrhun-derts einiges Gewicht bekommen, als Leitnorm vielleicht ähnlich unserer Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz.
In Kriegsdingen baute der preußische Staat hier freilich vor, nämlich mit einer "Kabinettsorder" aus dem Jahr 1831, die den Aufopferungsanspruch bei höchsten Majestäts- und Souveränitätsakten negierte. Anlass hatte dazu die Entscheidung des Festungskommandanten von Breslau gegeben, Teile der Stadt niederzubrennen, um freies Schussfeld zu haben – und zwar in den Napoleonischen Kriegen 1806/1807. Nur so viel für späte Verehrer angeblich preußischer Effizienz.
Einen Aufopferungsanspruch konnten die Hamburger Assekuradeure daher ebenfalls nicht geltend machen. Der Kabinettsorder billigte das Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung Gesetzesrang zu.
Damit blieben die Assekuradeure, eine ehrwürdige hanseatische Vereinigung von Versicherungs-, Schifffahrts- und Seehandelsfachleuten, mit ihrer Forderung auf spezialgesetzliche Regelungen vertröstet, für die nach Kriegsende die Rechnung aufgemacht werden sollte. Wie man weiß, traf man ab 1918/19 mit diesem Anliegen bloß auf eine zahlungsschwache Republik, die sich damit kaum populär machen konnte.
Das Prisenrecht, Teilrechtsgebiet des Seekriegsrechts
Um ihr Eigentum gebracht wurde die "Deutsch-Westafrikanische Handelsgesellschaft" nun freilich nicht durch den deutschen Staat, sondern durch die britische Kriegsmarine, im Rahmen einer "prisengerichtlichen Verurteilung".
Dahinter steckt ein ausgesprochen elaboriertes Teilrechtsgebiet, das vielleicht deshalb so wenig bekannt ist, weil Deutschlands bekanntestes Kriegsschiff heute die "Gorch Fock" ist.
Abweichend vom Landkriegsrecht galt das Beutemachen im Seekriegsrecht nämlich als erlaubt.
Während sich die britische Weltmacht beim Beutemachen auf ihre richterrechtliche Tradition berief, wurde für das Deutsche Reich zum 3. August 1914 eine Prisengerichtsordnung erlassen, was – so bündig zum Kriegsbeginn – vom Berliner Rechtsprofessor Ernst Heymann (1870–1946) für "die sorgfältige Vorbereitung des Krieges auch nach der rechtlichen Seite" sprach. Natürlich meinte er dies positiv, politische Korrektheit drehte damals eben rechts herum.
Worin sich die Feinde einig waren
Während der deutsche Rechtsgelehrte noch davon schwärmte, dass das Prisenrecht des Kaiserreichs den allermodernsten völkerrechtlichen Erfordernissen entspreche – es ist tatsächlich beeindruckend, dass die sogenannten Prisengerichte einigen rechtsstaatlichen Prozessaufwand betrieben –, hatte das maritime Weltreich Britanniens längst die Effizienz auf seiner Seite: Den deutschen Seehandel konnte es bald nahezu vollständig blockieren und an Gütern abfangen, was seinen Weg nach Deutschland suchte – egal, ob es sich nun um Kriegsgut, Bannware oder Lebensmittel für Zivilisten handelte.
Von Details abgesehen, was etwa die Güter im Eigentum von Staatsbürgern neutraler Staaten anging, waren sich die kriegführenden Parteien Deutschland und Großbritannien letztlich einig darin, dass spätestens mit dem Urteil des jeweiligen Prisengerichts das Eigentum und die Rechte Dritter an der erbeuteten Ware untergingen und ein eigenes Eigentumsrecht der Beute greifenden Staatsgewalt eintritt.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.
Martin Rath, Das Prisenrecht: Die legalisierte Seeräuberei . In: Legal Tribune Online, 12.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22068/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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