Phantomjuristen: Fiktiv und doch sehr lebendig

von Prof. Dr. Roland Schimmel

28.09.2013

2/2: Auch die Politik hat ihre Phantasiegestalten

Wer Freunde hat wie Julius Knack, braucht nicht mehr viel Gesellschaft, könnte man meinen. Indes war Knack 1933 mit seiner Frau nach Argentinien ausgewandert – und Skype sollte erst Jahrzehnte später erfunden werden.

Da war der sozialdemokratische Politiker Jakob Maria Mierscheid gerade erst geboren. Bis er für Nagelmann zum ernsthaften Gesprächspartner werden konnte, sollte also noch einige Zeit vergehen.

Mierscheid, von seiner Partei liebevoll gepflegt (mindestens ein Steg über die Spree in Berlin und ein Wanderweg in der Eifel sind nach ihm benannt, vom Mierscheid-Gesetz ganz zu schweigen), feierte 2013 seinen 80. Geburtstag. Genauer gesagt: Er ließ ihn feiern – und glänzte durch Abwesenheit.

Und dann ist da noch der Diplomat Edmund Friedemann Dräcker, geboren 1888 (Todesdatum unbekannt), der als Zeitgenosse zuallererst für eine Skatrunde mit Nagelmann in Betracht gekommen wäre. Sein von diplomatischen Sondereinsätzen geprägter Lebenslauf nimmt agentenhafte Züge an. Ein Vergleich mit James Bond verbietet sich jedoch, denn der betrat die Bühne deutlich später. Dräcker war indes noch im hohen Alter für spektakuläre Überraschungen gut. Er ist als einziger unter den hier Vorgestellten durch eine Verfilmung seines Lebens gewürdigt worden: Das Phantom von Bonn, 1996.

Und die Mädels?

Schmerzhaft fällt auf, dass das gerade entfaltete Paralleluniversum keine Frauen zu enthalten scheint. Zwar sind Nagelmann und Mierscheid verheiratet, aber ihre Ehefrauen bleiben skizzenhaft – vorsichtig formuliert. Hier besteht dringender Nachholbedarf. Es kann nicht angehen, dass es in dieser besseren Welt sogar eine Fauna gibt – man denke an die hinlänglich bekannte Steinlaus, deren Existenz angesichts zahlreicher lexikalischer Belege schwerlich zu bezweifeln sein wird –, aber keine Frauen.

Bei genauerer Suche findet sich dann aber doch eine, und zwar eine richtige Karrierefrau: Henriette Heinbostel, geb. Schwarz, auch bekannt als "Die OLG-Präsidentin" (1911 – 2004), die mit Nagelmann 1940 eine uneheliche Tochter Renate hatte, über deren Verbleib nichts bekannt geworden ist. Die ihr gewidmete Gedenkschrift bringt die nötige feministische Perspektive – und ist bereits in zweiter Auflage erschienen. Damit stirbt dann ganz nebenher auch die Hoffnung auf eine Parallelwelt ohne Gleichstellungsbeauftragte.

Wissenschaftsscherze und Juristenhumor

Warum es von diesen merkwürdigen Gestalten überhaupt zu berichten lohnt? Aus mindestens einem Grund. Der Juristenhumor, wie er landläufig verbreitet und wahrgenommen wird, ist ja oft ein armselig Ding. Wer darüber forschen wollte, käme ständig in sumpfiges oder vermintes Gelände. Was man im Buchhandel als wohlfeiles Verlegenheitsgeschenk für die Geburtstagsfeste von Kollegen kaufen kann, gehört meist in die Abteilung "nichtlustig".

Immer wieder einmal werden gereimte Urteile und Schriftsätze kolportiert. Na gut. Geradezu erholsam sind da schon amerikanische Juristenwitze, die mit schöner Regelmäßigkeit die Profitgier als Wesenszug der anwaltlichen Psyche aufs Korn nehmen (und deren Vater vermutlich Shakespeare ist, der schon 1623 knochentrocken formulierte "The first thing we do, let’s kill all the lawyers").

Gemessen an diesem Maßstab ist die Erfindung eines Paralleluniversums voll possierlicher Existenzen wie Nagelmann, Knack, Heinbostel, Dräcker und Mierscheid doch eigentlich ganz liebenswürdig. Und beinahe ein bisschen lustig, oder?

Zur Vertiefung:

Dieter Umbach et al. (Hrsg.): Das wahre Verfassungsrecht: Zwischen Lust und Leistung – Gedächtnisschrift für F.G. Nagelmann, Baden-Baden 1984 (noch erhältlich: der Nachdruck von 1991)

Christof Gramm / Wolfgang Demmler / Joachim Vogel: Kleine Fehlerlehre für Juristen nach Dr. Julius Knack, Baden-Baden 1989 (vergriffen, auch antiquarisch nur schwer erhältlich, aber unbedingt lesenswert)

Konstanze Görres-Ohde / Monika Nöhre / Anne-José Paulsen (Hrsg.): Die OLG-Präsidentin: Gedenkschrift für Henriette Heinbostel, Berlin 2007, Nachdruck 2010

Zitiervorschlag

Roland Schimmel, Phantomjuristen: Fiktiv und doch sehr lebendig . In: Legal Tribune Online, 28.09.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9695/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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