Petra Morsbachs Roman "Justizpalast": Dra­ma­tisch über­zeichnet, und damit ziem­lich rea­lis­tisch

von Dr. Lorenz Leitmeier

12.09.2017

"Justizpalast" erzählt von einer Richterin mit streetlife credibility. Vor allem aber von der Justiz und ihren Menschen. Und von Juristenhumor, der kalten Sprache des Rechts und sogar von den ganz großen Fragen, findet Lorenz Leitmeier.

"Wir arbeiten vor allem für die Menschen, die nie zu uns kommen." – Als ich selbst als Proberichter im Justizpalast in München beginnen durfte, begrüßte mich ein älterer Kollege mit diesem Satz.  Während der Lektüre von Petra Morsbachs Roman "Justizpalast", in dem sie den Mikrokosmos Justiz beleuchtet, musste ich oft daran zurück denken.

Der Plot ist geschickt angelegt: Hauptfigur ist Thirza Zorniger, die aus einer desaströsen (also wahrscheinlich normalen) Schauspielerehe stammt und nicht aus einer (vermutlich auch nicht gesünderen) Sieben-Generationen-Juristenfamilie, nach der Flucht des Vaters und der Erkrankung der Mutter bei ihren Tanten und dem Großvater aufwächst und aus einem inneren Antrieb Jura studiert – eine Richterin mit streetlife credibility also, keine Ponyhof-Juristin.

In ihrer Karriere, die der Leser bis kurz vor der Pensionierung verfolgt, durchläuft Thirza fast alle Stationen, die eine klassische Laufbahn in der bayerischen Justiz vorsieht: Zivilrichterin am Amtsgericht, Staatsanwältin, Beisitzerin am Landgericht in einer Zivilkammer im Justizpalast, Familienrichterin am Amtsgericht, Oberregierungsrätin im Justizministerium und schließlich Vorsitzende Richterin am Landgericht in einer Zivilkammer, wieder im Justizpalast. Während dieser Zeit trifft sie natürlich auf eine Vielzahl von Kollegen, Vorgesetzten, Geschäftsstellenmitarbeitern, Referendaren und Praktikanten. Privat ist sie, die Jura-Begeisterte, die im Urlaub lieber Gustav Radbruch liest als Siena anzusehen, zunächst wenig erfolgreich (besteht hier ein Zusammenhang: Leidenschaft für Jura macht verschroben?). Aber dann findet sie einen Mann – den (späteren) Rechtsanwalt Max Girstl, der skurrile Fälle bearbeitet. Auch diese Perspektive findet Einzug in den Roman.

Polonaise der Staatsjuristen

Morsbach erzählt nicht linear. Dem Verständnis schadet das aber nicht. Sie bricht gelegentlich mit einem Augenzwinkern aus der Handlung aus und wendet sich an den Leser; sie mischt technisch versiert fiktionale und reale Elemente aus der Justizwelt. Das liest sich gut, aber das darf man von einem Roman, der auf der Shortlist eines Literaturpreises steht und von einer mehrfach ausgezeichneten Autorin verfasst wurde, schließlich auch erwarten.

Die Polonaise der Staatsjuristen, die die 61-Jährige für den Leser auflaufen lässt, ist interessant, phasenweise amüsant, phasenweise erschreckend. Sie sind praktisch alle da: Souveräne Entscheider, bürokratische Bedenkenträger, einfühlsame Wahrheitssucher, opportunistische Karrieristen, bedenkenlose Urkundenfälscher, brillante Rechtsdogmatiker, frustrierte Karriereverhinderte, prinzipientreue Arbeiter, juristische Alles-Checker, neurotische Soziophobiker, Freizeit-Richter.

Das alles ist dramatisch überzeichnet, und damit recht nah an der Wirklichkeit, die ja auch oft übertrieben ist. Und bekanntlich gibt es ohnehin keine Normalen, sondern bestenfalls zu ungenau Untersuchte – warum sollte das in der Justiz anders sein? Insgesamt trifft Morsbach den Prototyp ziemlich gut, die meisten Richter(innen) sind (so ähnlich) wie Thirza: emsige Arbeiter im Bienenstock der Dritten Gewalt; allzu viele Majas auf der Klatschmohnwiese und wellness-geneigte Willis würde das stark belastete System ohnehin nicht aushalten.

Zitiervorschlag

Dr. Lorenz Leitmeier, Petra Morsbachs Roman "Justizpalast": Dramatisch überzeichnet, und damit ziemlich realistisch . In: Legal Tribune Online, 12.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24463/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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