Am 2. Juli 1931 wurde im Kölner Gefängnis "Klingelpütz" der Serienmörder Peter Kürten hingerichtet. Seine Taten erregten seinerzeit weltweite Aufmerksamkeit und zogen eine Vielzahl boulevardesker Berichte nach sich. Martin Rath folgt den Spuren des Verbrechers, und gelangt auf diesem Wege von Düsseldorf über Hawaii nach Wisconsin, wo Kürtens Kopf heute in einem Museum ausgestellt wird.
Dem, wie sich spätestens mit seiner Verhaftung herausstellte, recht eitlen Serienmörder – der Berliner Kriminalist Ernst Gennat erfand das Wort aus Anlass seiner Taten – gefiel die öffentliche Aufmerksamkeit, die er erregte. Zwischen dem 2. Februar 1929 und dem 14. Mai 1930 hielt Kürten die Einwohner und Polizei der rheinischen Provinzstadt Düsseldorf, aber auch die zur Hilfe geeilte, über modernste Methodik verfügende Berliner Kriminalpolizei und nicht zuletzt die vergleichsweise entfesselte Medienöffentlichkeit in Atem: Über zwanzig versuchte und mindestens acht vollendete Morde beging Kürten in dieser Zeit, die Öffentlichkeit erfuhr auch von der sexuellen Perversion, die in diesen Taten lag.
Der ortsansässige Historiker und Journalist Hanno Parmentier bereitete in seinem 2013 veröffentlichten Buch "Der Würger von Düsseldorf" das "Leben und die Taten des Serienmörders Peter Kürten" in einer angenehm nüchternen Weise auf – wenn auch seine lokalhistorische Perspektive deutlich aus den Zeilen dringt.
Düsseldorfer Serienmörder aus Mülheim am Rhein
Geboren wurde Kürten 1882 im damals noch selbständigen Mülheim am Rhein, einer boomenden Industriestadt, die allein zwischen 1880 und 1905 von 20.000 auf fast 51.000 Einwohner wuchs, was zu slumähnlichen Verhältnissen führte: Die heute nur noch vereinzelt anzutreffenden ein- bis zweistöckigen Häuschen waren – nach Zahlen bei Pohl/von Stülpnagel – im Jahr 1900 mit durchschnittlich 17,5 Menschen belegt. Zehn Geschwister hatte Kürten, die Verwahrlosung nahm hier noch deutlichere Züge an: Sein Vater, später von Psychiatern als hart arbeitender Alkoholiker beschrieben, wurde wegen sexuellen Missbrauchs einer Schwester Kürtens verurteilt. Die Eltern ließen sich scheiden, was zu dieser Zeit selten war.
Seit den 1890er-Jahren in Düsseldorf lebend, entdeckte Kürten noch in Mülheim seine Lust am Töten von Tieren, bereits zu dieser Zeit verbunden mit sexuellen Obsessionen. Zwischenzeitlich wegen Diebstählen und Fahnenflucht erheblich vorbestraft, verübte er in seiner Heimatstadt 1913 auch seinen ersten – 1931 abgeurteilten – Mord. Er durchsuchte den ersten Stock der Gastwirtschaft Klein an der heutigen Keupstraße 95 (damals Wolfstraße, oben im Bild) nach Habseligkeiten, traf dort aber die neunjährige Wirtstochter an, die er im Schlaf erwürgte und sich sodann an der Leiche verging.
Ohne das 17 Jahre später abgelegte Geständnis, in dem Kürten detailgenau und erinnerungsfreudig Auskunft gab, wäre diese Tat unaufgeklärt geblieben. Kürten bekannte sich auch zur Tötung von zwei Jungen, die er bereits 1893 am Rheinufer begangen haben wollte. Dies blieb im Düsseldorfer Urteil außen vor, mangels Aufdeckung sowie aus Rechtsgründen – das Reichs-Strafgesetzbuch sah Strafmündigkeit erst ab dem zwölften Lebensjahr vor.
Öffentlichkeit & Psychiatrie
Große Bekanntheit erwarb Kürten jedoch erst durch die Morde und Mordversuche von 1929/30: Er griff, sexuell motiviert, Frauen und Mädchen, vereinzelt Männer an – gern nach oder am Rande von öffentlichen Feierlichkeiten, der Kirmes etwa. Frauen ließen sich vom zunächst charmanten Kürten umwerben, eine merkwürdige Mischung von intellektueller wie materieller Armut spielte hier hinein. Mit größter Beherrschung konnte Kürten bei Zufallsbegegnungen mit überlebenden Opfern und – am Rande eines Tatorts, an den es ihn aus Erregungsgründen zurückgezogen hatte – auch der Polizei entschlüpfen.
Parmentier stellt diese – in Zeiten der fachhochschulmäßig ausgebildeten Polizei – schier unglaublichen Geschichten, wie erwähnt, in einem geografischen, ja heimathistorischen Erzählrahmen dar. Das ist eine menschenfreundliche Erzählweise, denn der Umgang mit den Quellen kostet Nerven: Beim Aktenstudium war dem Düsseldorfer Dokumentaristen mitunter nach dem "aus Flugzeugen bekannten Beutel für bestimmte Notfälle" zumute.
Die Übelkeit lässt sich auch ohne Aktenstudium nachempfinden. In seiner 100-seitigen Darstelllung "Der Sadist. Gerichtsärztliches und Kriminalpsychologisches zu den Taten des Düsseldorfer Mörders" gab Karl Berg (1868-1936) rund fünf Monate nach der Hinrichtung Kürtens Auskunft zum Fall – als Professor für Rechtsmedizin und als Gutachter war Berg mit den Opfern wie mit dem auskunftsfreudigen Untersuchungshäftling des Jahres 1930/31 vertraut. Das abgedruckte Bildmaterial ist drastisch.
Kriminalhistorisch interessierten Lesern bietet Berg, einen robusten Magen vorausgesetzt, jedoch interessante Einblicke in die Denkweise eines gerichtspsychiatrisch denkenden Mediziners der noch jungen Jahre dieser Zunft. Hier wird über Täter und Opfer ohne datenschutzrechtliche Verrenkungen gesprochen. Derlei dürfte heute in dieser Form wohl nicht mehr öffentlich gemacht werden. Bergs psychiatrisches Fazit befremdet. Nicht, weil er – wie die anderen Gutachter auch – Kürten für zurechnungsfähig erklärt. Dies ist beim Blick ins Gesetz, § 51 Reichs-Strafgesetzbuch, nachvollziehbar. Es sind beispielsweise seine beifälligen Worte über den Vater, Kürten senior, die erstaunen, dessen positive "Zucht" des Sohnes angemerkt wird – trotz eklatanten Erziehungsversagens gegenüber mehr als einem Kind.
Das vermittelt das wertvollste Befremden überhaupt: Es lehrt vielleicht, den Wertungen heutiger Gutachten mit Distanz zu begegnen und genau darauf zu schauen, welche Fortschritte die forensische Psychologie und Psychiatrie seither gemacht haben mag.
Martin Rath, Kriminalgeschichte: . In: Legal Tribune Online, 30.03.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11492 (abgerufen am: 04.12.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag