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Disziplinarrecht: Hat der Amts­ge­richtsrat zu Ostern gelogen?

von Martin Rath

16.04.2017

Mann lügt

© pathdoc - Fotolia.com

Am Ostersonntag oder -montag 1942 kommt ein jugendlicher Arrestant vorzeitig auf freien Fuß. Sein Richter lügt – womöglich – den verantwortlichen Justizwachtmeister in die Armut. Zwölf Jahre später schafft der Bundesdisziplinarhof Recht.

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Die hier zu berichtende Geschichte erinnert ein wenig an den Film "Rosen für den Staatsanwalt", der 1959 unter der Regie von Wolfgang Staudte (1906–1984) entstand – und dementiert ihn zugleich ein gutes Stück in seinen Prämissen.

In dem Film "Rosen für den Staatsanwalt" entgeht der schlicht gestrickte Soldat Rudi Kleinschmidt (Walter Giller) durch einen glücklichen Zufall der Vollstreckung seines Todesurteils, das ihn wegen unerlaubten Besitzes von zwei Dosen "Fliegerschokolade" ereilt hatte. Jahre nach dem Krieg begegnet Kleinschmidt dem seinerzeitigen Kriegsgerichtsrat Dr. Wilhelm Schramm (Martin Held), der ihn – nunmehr Oberstaatsanwalt im Wirtschaftswunderland – bald von Neuem wegen Schokoladen-Diebstahls vor Gericht bringen darf.

Die durchaus vergnügliche Staudte-Komödie spielt mit dem Eindruck, das Nachkriegsdeutschland sei von einer kaum zu überwindenden Schlussstrich-Mentalität geprägt gewesen – nicht zuletzt unter den Amtsträgern der Justizbehörden. Später hat sich dieser Eindruck noch verfestigt – vermutlich weil es galt, "1968" als das Wunderjahr westdeutschen Gesellschaftswandels erst zu zelebrieren, dann zu verfluchen.

Und die Krähen hackten ihresgleichen durchaus

Am Ende der nun folgenden Geschichte, die im Beschluss des Bundesdisziplinarhofs vom 4. August 1954 (Az. II DW 7/54) zu finden ist, hacken die sprichwörtlichen Krähen sehr kräftig auf eine der ihren und stellen damit für einen eher schlicht gestrickten kleinen Mann das Recht wieder her. Ausgangspunkt war ein Vorgang aus dem Jugendstrafrecht, das auch zu NS-Zeiten sehr milde ausfallen konnte:

Im Jahr 1942, zwischen dem Karsamstag, 16.30 Uhr, und dem Ostermontag, 7 Uhr, sollte "der damals 17-jährige Schlosser T., ein HJ-Führer und Mitglied des NS-Fliegerkorps, einen Wochenendarrest verbüßen" und "wurde dementsprechend in ein Dienstzimmer des Amtsgerichts, das zu einem Zellenraum umgewandelt war, eingeliefert".

Wir dürfen uns diese Lage als durchaus komfortabel vorstellen: Das paramilitärisch ausgerichtete Fliegerkorps hatte eine elitäre Anmutung – wie die Fliegerei zu jeder Zeit –, das Paratmachen eines Dienstraums erinnert zudem an die ehrenvolle Festungshaft älterer Zeiten. In Hamburg gingen jugendliche Jazz-Freunde 1941 ins KZ, für junge Polen war das Jugendstrafrecht gleich ganz außer Kraft gesetzt. Dass sein Richter dem Arrestanten vermutlich überaus wohlwollend begegnete, wird auch aus dem Weiteren deutlich werden.

Entlassung wegen Unwohlseins des Arrestanten

Jugendrichter war ein Amtsgerichtsrat Dr. Schubert. Die Verantwortung für die Beaufsichtigung des jungen Mannes trug ein Justizwachtmeister, der sich an diesem Ostertag auf Jahre um seine Zukunft brachte:

Am Sonntagabend, gegen 22 Uhr, – so der Justizwachtmeister – habe er einen Zettel vorgefunden, auf dem notiert gewesen sei: "Der Arrestant ist vorzeitig entlassen. Dr. Schubert"

Dieser Dr. Schubert sagte im nun gegen den Justizwachtmeister angestrengten Disziplinarverfahren aus, jener habe sich bereits am Karsamstag nicht im Gerichtsgebäude aufgehalten, er, Schubert, habe den Arrestanten erst am Montagmorgen gegen 5 Uhr wegen eines Unwohlseins entlassen.

Wegen seiner vorgeblichen Pflichtverletzung bei der Aufsicht über den Arrestanten und seiner Ungehörigkeit, den Richter Dr. Schubert im Disziplinarverfahren der Unehrlichkeit geziehen zu haben (der Zettel lag nicht mehr vor), wurde der Wachtmeister zunächst durch Urteil vom 17. September 1942 unter Bewilligung eines Unterhaltsbeitrags von 50 Prozent auf fünf Jahre und eines Ruhegehalts von 30 Prozent auf Lebenszeit aus dem Dienst entfernt. Der Dienststrafsenat beim Reichsgericht verschärfte das Urteil im Berufungsverfahren, indem er die Bezüge auf 75 Prozent für drei Jahre kürzte – und dem vormaligen Justizwachtmeister die Altersversorgung von 30 Prozent strich.

Seite 1/3
  • Seite 1:

    Eine Notiz auf einem kleinen Zettel zur Entlassung des Arrestanten

  • Seite 2:

    Für den Justizwachtmeister bedeutete der Zettel das Ende der Altersversorgung

  • Seite 3:

    Erst der Bundesdisziplinarhof klärte die Missstände auf

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Martin Rath, Disziplinarrecht: . In: Legal Tribune Online, 16.04.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22662 (abgerufen am: 10.11.2025 )

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