Disziplinarrecht: Hat der Amts­ge­richtsrat zu Ostern gelogen?

von Martin Rath

16.04.2017

3/3: Ja, wo hacken sie denn?

Der Bundesdisziplinarhof sah dies mit Blick in die Akten anders.

Über den "Kronzeugen" des Verfahrens gegen den Wachtmeister, den Kollegen Amtsgerichtsrat Dr. Schubert, hielten die Bundesrichter fest: "Schubert war ausweislich seiner Personalakten nicht – wie er nach dem Zusammenbruch angegeben hat – nur SS-Mann, sondern SS-Rottenführer und in der NSDAP-Ortsgruppe auch Personalamtsleiter gewesen."

Weiterhin habe, so der Bundesdisziplinarhof, der seinerzeit in das Verfahren gegen den Wachtmeister involvierte Oberlandesgerichtspräsident dem Amtsgerichtsrat gelegentlich "seine schärfste Mißbilligung deshalb ausgesprochen, weil Schubert unbefugt Gerichtsakten erst in seinem Zimmer im Gerichtgebäude und dann in seiner Wohnung aufbewahrt hatte, von denen er annahm, sie könnten für die Beurteilung des Antragstellers (Anm. des Autors: des Wachtmeisters) von Bedeutung sein. Schubert hatte also in seiner Eigenschaft als Richter Akten in dem Verfahren … beiseite geschafft."

Unter den Gründen, die der Bundesdisziplinarhof 1954 an höchste Stelle setzte, wenn es darum ging, die Glaubwürdigkeit des Kollegen Dr. Schubert in Zweifel zu ziehen, nennt der Beschluss freilich an erster Stelle einen bis heute beliebten: 

"Wie die von dem Senat herbeigezogenen Personalakten des Dr. Schubert ergeben, hatte er sich von 1950 ab um eine Anstellung im württembergischen Staatsdienst mit der Behauptung beworben, er habe die große juristische Staatsprüfung im früheren Reichsjustizministerium am 20. August 1930 mit 'befriedigend' bestanden. Tatsächlich hatte er sie am 31. Mai 1929 nicht und bei der Wiederholung nur mit 'ausreichend' bestanden."

Ende gut, alles gut?

All diese Erkenntnisse über den promovierten Juristen bewogen die Bundesrichter dazu, in der vollständigen Beseitigung des Wachtmeisters aus dem Beamtenverhältnis nun doch eine spezifisch nationalsozialistische Härte zu erkennen.

Der darauf fußende Beschluss des Bundesdisziplinarhofs beseitigte die zuletzt vom Bundesminister des Inneren aufrecht erhaltene Rechtslage dahingehend, dass die gegen den Wachtmeister 1942 verhängte Höchststrafe "in eine Gehaltskürzung von 10 von Hundert auf die Dauer von 3 Jahren zu mildern" war.

Es ging also doch, und zwar schon 1954, möchte man zufrieden feststellen, in dieser Dorfrichter-Adam-Posse mit nazibraunem Richter und aufrecht konservativem Justizwachtmeister.

Schlussstriche unter justizförmiges Unrecht

Ganz dementiert der Fall die Prämissen der bösen Justizkomödie "Rosen für den Staatsanwalt" freilich nicht: Der Wachtmeister hatte viele wichtige Fürsprecher, die massiv intervenierten. So sagte beispielsweise ein leibhaftiger Oberlandesgerichtsrat für den Wachtmeister aus, in der Dienststrafkammer des Jahres 1942 habe ein mitwirkender Senatspräsident, "ein NSDAP-Mitglied und politischer Scharfmacher", den dritten Beisitzer, "einen Justizwachtmeister, beeinflußt, gleichfalls für die Höchststrafe" gegen den Wachtmeister-Kollegen zu stimmen.

Derart viel Herzblut, hier sogar aus der Mördergrube des Beratungsgeheimnisses herauszutreten, brachten damals gewiss nicht viele Richter auf bzw. nicht für jeden Geschädigten – aus Gründen auch eigenen Interesses, Schlussstriche unter justizförmiges Unrecht zu ziehen.

Angesichts der zahllosen, in den Jahren der Gewaltherrschaft weitaus schwerer geschädigten Männer und Frauen, die niemals oder doch erst Jahrzehnte später in ein bescheidenes Recht gesetzt wurden, lässt sich wohl festhalten: Ja, diese schöne Geschichte zeigt, dass sie damals auch anders konnten – wenn sie denn wollten.

Hinweis: Als Erkenntnisquelle für das Zusammenspiel von gesellschaftlichen Voraussetzungen und persönlichen (Karriere-) Interessen in der Welt des Rechts gar nicht oft genug zu empfehlen ist Ulrich Herberts "Best: Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft" (2. Auflage, München 2016).

Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Disziplinarrecht: Hat der Amtsgerichtsrat zu Ostern gelogen? . In: Legal Tribune Online, 16.04.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22662/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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