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5639

Obiter Dictum – Teil 3: Die animalische Urteilsbesprechung

Constantin Baron van Lijnden

25.02.2012

Katze

© Dušan Zidar - Fotolia.com

Nachdem Teil zwei unserer Serie mit Interventionsrindfleisch endete, geht es auch in der dritten Auflage tierisch weiter. Würmer im Paprikaglas, besonders gefräßige Mastschweine, eine Katzenjagd mit Feuerwerkskörpern und ein komatöser Wellensittich erwarten den Leser in diesem Artikel.

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"In dem vorliegenden Fall ist buchstäblich der Wurm drin", so beginnt das Urteil des LG Aalen (Nomen est Omen – auch hier ein Tiername) mit dem Aktenzeichen 3 C 811/99. Den Kläger in jener Sache wurmte es nämlich gar sehr, in einem von ihm an Heiligabend zum Verzehr gereichten Paprikaglas einen, Sie ahnen es, Wurm vorgefunden zu haben. Von etwa 3 cm Länge sei die Kreatur gewesen und so scheußlich anzusehen, dass die unerwartete Entdeckung weitreichende Konsequenzen hatte. Nicht nur, dass "das Essen […] ein abruptes Ende" fand und "die ganze Familie […] den Esstisch [verließ] und mit Erbrechungserscheinungen [kämpfte]", nein, der Anblick zog angeblich regelrecht traumatische Folgen nach sich. So gab der Kläger an, "dass er dieses Gemüse, welches er bis zu diesem Vorfall sehr gerne zu sich genommen habe, nie mehr werde essen können", wodurch ihm "ein Stück Lebensfreude verloren gegangen sei." Ja, es ginge so weit, dass ihn nun bereits "beim Anblick von Paprikaschoten […] beim Einkauf" ein Ekelgefühl überkomme und er obendrein unter "Einschlafstörungen und Albträumen" leide.

Das fand das Gericht nun doch etwas zu wehleidig. Denn wenn auch "ein Wurm nicht das tägliche Brot" sei und "anders als bei Ureinwohnern Australiens, Afrikas oder Südamerikas, Überlebenskünstlern und etwa auch Vögeln“ nicht auf dem Speiseplan durchschnittlicher Mitteleuropäer stehe, so sei sein Anblick doch selbst "bei der mit der Natur nicht ganz so verbundenen Stadtbevölkerung" nichts Außergewöhnliches. "Eine zwar nicht wissenschaftliche aber doch repräsentative Umfrage bei den bekanntermaßen empfindlichsten Mitarbeiter/innen des Amtsgerichts [habe jedenfalls] entweder nur spontane Heiterkeitsausbrüche oder aber Unverständnis über eine derartige Reaktion beim Kläger hervorrufen [können]." Daher meinte der Richter, es lasse "sich der Verdacht nicht völlig ausschließen, dass die vom Kläger beschriebenen Symptome mit dadurch verursacht wurden, dass der Kläger verschiedene Zeitungsartikel gelesen hat über Urteile aus dem Land der unbegrenzten (Schmerzensgeld-)Möglichkeiten" – und wies die Klage ab.

Mastschwein und Stabreim

Keinen Mangel an Appetit hatte indes das Schwein zu beklagen, das die unfreiwillige Hauptrolle im Prozess 3 C 443/86 vor dem LG Oldenburg einnahm. Für zweihundert Mark sollte es bis zur Schlachtreife gemästet und dann veräußert werden, doch das Tier fraß und fraß, und "statt vier Monat, wie gedacht, benötigte es beinahe acht", ehe es die erforderliche Leibesfülle besaß. Das trieb natürlich die Futterkosten in die Höhe, weshalb der Verkäufer zu den abgemachten Konditionen nicht mehr übereignen wollte. Der Richter entschied salomonisch:

Weil keine hat gewonn' von beiden
drum haben - das ist einzusehen –
sie beide auch gleich stark zu leiden
und für die Kosten einzustehn.

Zum Abschluss richtete er einige mahnende Worte an die Parteien, die nicht nur gut gereimt sind, sondern vor allem einen wertvollen Rat beinhalten:

So wurde aus dem Ferkelchen
für ach nur hundert Märkelchen
- so billig sollt es sein –
ein furchtbar teures Schwein!
Und die Moral von der Geschicht:
Um Kleinigkeiten streit' man nicht,
zieh' jedenfalls nicht vors Gericht!
Das gilt nicht nur in diesem Fall,
das gilt beinahe überall.
Sonst kann Gerechtigkeit auf Erden
ganz unerfreulich teuer werden!

Was im Urteil erlaubt ist, kann im Kommentar nicht verboten sein

Die Entscheidung wurde übrigens von Dr. Klaus Sympher kommentiert – auch hier war ein Könner am Werk:

Schade, daß der Schweine-Zwist
nicht berufungsfähig ist.
Wenn man die Sache recht betrachtet,
hat B. der Kläg'rin Schwein geschlachtet (§ 930 BGB)
und hat aus diesem Grunde eben
das Schweinefleisch herauszugeben.
950 greift nicht ein;
es gilt der Grundsatz: Schwein bleibt Schwein.

Der unfreiwillige Humor ist oft der beste

Es dürfte indes kaum überraschen, dass der Vorschlag, den das LG Oldenburg so weise in seinen letzten Zeilen unterbreitet hat, weitgehend auf taube Ohren gestoßen ist. Gestritten wurde und wird bekanntlich über alles, was justiziabel ist, und sei die Forderung auch noch so abwegig. Bisweilen führt das zu Urteilen, die, ganz ohne Absicht des Verfassers, eine grotesk-humoristische Note tragen, welche aus dem Gegensatz von seriöser rechtlicher Würdigung und abstrusem Lebenssachverhalt folgt. Ein Paradebeispiel dieser Gattung lieferte das OLG Naumburg unter dem Aktenzeichen 4 W 12/11; man muss sich den Titel auf der Zunge zergehen lassen:

"100-Prozent-Kürzung der Versicherungsleistung bei Katzenjagd mit Feuerwerkskörpern"

Kein Scherz. In dem Prozess verlangte der Versicherungsnehmer von seiner Versicherung Ersatz "für die völlige Zerstörung"(!) seines Hauses. Warum? Nun, er hatte "nach vorheriger langfristiger Planung"(!!) beschlossen, eine Katze, welche wiederholt in sein Haus eingedrungen war, zu verjagen, und zu diesem Zweck "zielgerichtet drei Feuerwerkskörper in seinem Haus gezündet"(!!!). Ob dabei womöglich die in der Nähe befindlichen "leicht brennbaren Kleidungsstücke"(!!!!) Feuer gefangen hätten, überprüfte er wohlweislich "erst fünf bis zehn Minuten später"(!!%$$*-/!!). Es mag den zuständigen Richter einige Überwindung gekostet haben, nüchtern und zutreffend zunächst den Begriff der groben Fahrlässigkeit zu erläutern und dann zu erklären, wieso deren Voraussetzungen hier zweifelsfrei vorliegen – der Leser jedenfalls ringt bei der Lektüre des Urteils nach Atem.

Rettungseinsatz für den Wellensittich und ein unbeliebter Paragraph

Doch wo der eine augenscheinlich auch vor den irrwitzigsten Methoden nicht zurückschreckt, um ein missliebiges Tier loszuwerden, da ist der andere bereit, selbst das Gesetz zu brechen, um seinen tierischen Begleiter von der Schwelle des Todes zu retten. "Die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 54 km/h ist zur Rettung eines Wellensittichs nicht gerechtfertigt", befand das OLG Düsseldorf unter 2 Ss (OWi) 97/90 - (OWi) 30/90 II mit aller emotionslosen Härte des Gesetzes. Eine Interessenabwägung fände beim § 16 OWiG (Notstand) zwar statt, aber da ziehe der Wellensittich klar den Kürzeren. Denn wie wir alle wissen, sind Tiere gemäß § 90a BGB zwar "keine Sachen", aber: "Auf sie sind die für Sachen geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist."

Dabei dürfte es sich übrigens um eine der unbeliebtesten Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches handeln. Schon der erste Zivilrechtsprofessor dieses Autors erklärte pragmatisch: "Machen wir uns doch nichts vor, natürlich sind Tiere Sachen. Sie kaufen sie im Supermarkt und bezahlen pro Pfund." Auch die Literaturkommentare zu dieser Vorschrift nehmen sich recht einseitig aus: Jauerning etwa meint, "der Absurdität von § 90a [sei] durch seine berichtigende Auslegung zu begegnen", und "die Banalität von [90 a] S. 2 [werde] durch die des § 903 S. 2 noch übertroffen". Braun spricht – eher zurückhaltend – von "symbolischer Gesetzgebung", Medicus schon deutlicher von "Begriffskosmetik", Baur/Stürner gar von einer "nichtssagenden Regelung". Doch auch wenn die Tiere im Gesetz keinen guten Stand haben, so gibt es doch immer wieder Grund zur Heiterkeit, wenn hundsgemeine Kläger und aalglatte Beklagte miteinander ein Hühnchen zu rupfen haben und vor Gericht einen Affenzirkus veranstalten, weil sie aus einer Mücke einen Elefanten machen, obwohl eigentlich kein Hahn nach ihren Forderungen kräht.

In diesem Sinne: Bis zum nächsten Wal!

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Constantin Baron van Lijnden, Obiter Dictum – Teil 3: Die animalische Urteilsbesprechung . In: Legal Tribune Online, 25.02.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5639/ (abgerufen am: 04.06.2023 )

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