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Obiter Dictum - 2. Teil: Eine humo­ris­ti­sche Per­spek­tive auf die krea­tive Legis­la­tive

Constantin Baron van Lijnden

26.12.2011

Verrücktes Grenzzeichen

© Stihl024 - Fotolia.com

Teil 1 behandelte bereits drei sehr geglückte humoristische Urteile. Von einer erschöpfenden Behandlung ist das freilich weit entfernt, denn nicht nur der Richter, sondern auch der Gesetzgeber weiß von Zeit zu Zeit zu erheitern, begleitet von höhnischen Zwischenrufen der Literatur. Uns mag ein größerer Geist den Einstieg in die Materie bereiten.

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Als solcher bietet sich der ehemalige Präsident des Bundesverwaltungsgerichtes, Horst Sendler, an, der sich in seinem Aufsatz "Über sog. humoristische Urteile" differenziert mit der Thematik auseinandersetzt. "Der Humor", stellt Sendler fest, wurde "dem Recht nämlich gründlich ausgetrieben". Was allerdings nicht heißt, dass es ihn nicht gibt, bloß meist ohne Absicht des Verfassers: "Freilich lebt er im wesentlichen sozusagen apokryph in Gestalt des unfreiwilligen Humors weiter". In seiner Erscheinungsform als ungebetener Gast zwischen den Zeilen hält er sich denn auch beständig, wie sicher jeder bezeugen kann, der schon einmal mit einer Mischung aus Heiterkeit und Befremden die unnötig gestelzten Satzgebilde der deutschen Justiz gelesen hat. Ein besonders formvollendetes Beispiel lieferte hierfür 1879 das Reichsgericht, indem es formulierte:

"Eine Eisenbahn ist ein Unternehmen, gerichtet auf wiederholte Fortbewegung von Personen oder Sachen über nicht ganz unbedeutende Raumstrecken auf metallener Grundlage, welche durch ihre Konsistenz, Konstruktion und Glätte den Transport großer Gewichtsmassen beziehungsweise die Erzielung einer verhältnismäßig bedeutenden Schnelligkeit der Transportbewegung zu ermöglichen bestimmt ist, und durch diese Eigenart in Verbindung mit den außerdem zur Erzeugung der Transportbewegung benutzten Naturkräften (Dampf, Elektrizität, tierischer oder menschlicher Muskeltätigkeit, bei geneigter Ebene der Bahn auch schon durch die eigene Schwere der Transportgefäße und deren Ladung usf.) bei dem Betriebe des Unternehmens auf derselben eine verhältnismäßige gewaltige (je nach den Umständen nur bezweckterweise nützliche oder auch Menschenleben vernichtende und menschliche Gesundheit verletzende) Wirkung zu erzeugen fähig ist." (Urt. v. 17.03.1879, RGZ 1, 247, 252)

Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen

Eine Berufsgruppe, deren höchste Vertreter ernstlich zu solchen sprachlichen Verbrechen in der Lage sind, darf sich kaum darüber wundern, dass sich "ganze Bibliotheken füllen lassen mit mehr oder weniger humoristischen Betrachtungen über Jus und Juristen, mit oft bissig-aggressiven Satiren auf Richter und Rechtsanwälte, die mit Hohn und Spott übergossen oder in der bildenden Kunst sarkastisch karikiert werden." Von einem hämischen Seitenhieb, in diesem Fall durch Ludwig Reiners geführt, blieb selbstverständlich auch die oben genannte Eisenbahn-Definition des Reichsgerichts nicht verschont:

"Ein Reichsgericht ist eine Einrichtung, welche eine dem allgemeinen Verständnis entgegenkommen sollende, aber bisweilen durch sich nicht ganz vermeiden lassende, nicht ganz unbedeutende bzw. verhältnismäßig gewaltige Fehler im Satzbau auf der schiefen Ebene des durch verschnörkelte und ineinandergeschachtelte Perioden ungenießbar gemachten Kanzleistils herabrollende Definition, welche eine das menschliche Sprachgefühl verletzende Wirkung zu erzeugen fähig ist, liefert."

Knapper und noch deutlicher fällt die Kritik von Ludwig Thoma aus. Die Erzählung "Der Vertrag" des bekannten deutschen Schriftstellers und Rechtsgelehrten(!) beginnt mit den Worten: "Der königliche Landgerichtsrat Alois Eschenberger war ein guter Jurist und auch sonst von mäßigem Verstande". Dieses Zitat, welches auf 1901 zurückdatiert, fand übrigens vor wenigen Jahren seinen Weg in einen deutschen Gerichtssaal. Das LAG Baden-Württemberg nämlich hatte sich im Rahmen einer Unterlassungsklage mit der Verwendung von Thomas Worten als Mittel der Beleidigung zu befassen.

Die Richter, selbst offenbar Kummer gewöhnt, reagierten souverän: "Es mag auch eine grobe Ungehörigkeit sein, über den Kl. zu behaupten, 'er sei von mäßigem Verstand'. Das Ganze entschärft sich allerdings dadurch, dass es sich dabei um eine in Bezug auf Juristen häufiger anzutreffende Redensart handelt. Jedenfalls ist es uns Juristen im Allgemeinen bekannt, dass wir ob unseres gewählten Berufes und einer damit verbundenen geistigen Prägung gelegentlich als Objekt des Spottes herhalten müssen."

Da wird ja das Grenzzeichen in der Pfanne verrückt!

Doch nicht nur deutsche Gerichte geben mit ihren Dekreten bisweilen (ungewollten) Anlass zur Heiterkeit. Auch der Gesetzgeber höchstselbst ist in regelmäßigen Abständen für einen Lacher gut, so zum Beispiel, wenn er in § 919 Abs. 1 BGB regelt, dass "Der Eigentümer eines Grundstücks [...] von dem Eigentümer eines Nachbargrundstücks verlangen [kann], dass dieser zur Errichtung fester Grenzzeichen und, wenn ein Grenzzeichen verrückt oder unkenntlich geworden ist, zur Wiederherstellung mitwirkt."

Überhaupt sind die 900er Paragraphen eine reiche Fundgrube des guten Humors; neben den bei Studenten stets beliebten Vorschriften zur Verfolgung und Vermischung von Bienenschwärmen tummeln sich hier auch geradezu poetisch anmutende Normen. Kommt das Versmaß in § 923 Abs. 3 noch reichlich polternd daher ("Diese Vorschriften gelten auch / für einen auf der Grenze stehenden Strauch"), so findet sich bereits im ersten Absatz des selben Paragraphen ein beinahe lupenreiner Hexameter, wie er eines klassischen Epos würdig gewesen wäre: "Steht auf der Grenze ein Baum, so gebühren die Früchte und, wenn der Baum gefällt wird, auch der Baum den Nachbarn zu gleichen Teilen."

Und damit nicht genug: Neben Reim und Metrum sind der Legislative durchaus noch andere Stilmittel vertraut. Gekonnt bringt sie etwa die Alliteration zum Einsatz, wenn § 1 Abs. 2 der Verordnung über die Anerkennung von Adoptionsvermittlungsstellen in freier Trägerschaft sowie die im Adoptionsvermittlungsverfahren zu erstattenden Kosten (AdVermiStAnKoV) vorschreibt, dass der "Antrag auf Anerkennung als Adoptionsvermittlungsstelle ausschließlich an" die für den Sitz des Trägers zuständige zentrale Adoptionsstelle des Landesjugendamtes zu stellen sei, oder § 9 Verordnung über den Inhalt der Prüfungsberichte zu den Jahresabschlüssen von Versicherungsunternehmen

(PrüfV) (zugegebenermaßen etwas gemogelt) "von Versicherungsverträgen, Verwaltung von Versicherungsverträgen, Verwaltung von" Kapitalanlagen usw. spricht.

Auch ein blindes Huhn trinkt mal ein' Korn

Man kann hoffen, dass Absicht dahintersteckt, wenn der Produzent von so viel Ungereimtem gelegentlich in Reimen spricht. Wahrscheinlicher scheint leider, dass diese lyrischen Anklänge dem gleichen Zufall geschuldet sind, von dem man sagt, er würde auch eine vor die Tastatur gesetzte Affenhorde über einen unendlichen Zeitraum zum Nachtippen der großen Klassiker veranlassen. Wer so lange nicht warten will, der tut gut daran, seine Erwartungen an künstlerischen Gehalt herunterzufahren, und sich stattdessen an den kleinen Dingen zu erfreuen. So der irgendwie niedlichen Einfältigkeit, mit der § 5 Abs. 1 S. 1 Gesetz über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1995

(BBVAnpG 95) erklärt: "Die einmalige Zahlung wird für jeden Berechtigten nur einmal gewährt", und mit der gleich mehrere Gemeindeordnungen wissen lassen: "Einwohner der Gemeinde ist, wer in der Gemeinde wohnt."

Noch einmal zu den Affen: Das war natürlich ein unschmeichelhafter Vergleich, aber muss man unsere evolutionären Vorgänger nicht wirklich am Werke wähnen, wenn Gesetze mit den irrsinnigen Abkürzungen EuRHiISRÜbkErgVtrG oder BDGBIBBBMinBFAnO ("Einen Augenblick bitte, ich schau mal eben in der BDGBIBBBMinBFAnO nach!") das Licht der Welt erblicken? Zweifellos ist die Grenze des guten Geschmacks dort überschritten, wo die Verbalisierung gesetzgeberischer Erlasse echte Gesundheitsrisiken birgt.

Doch ist das Kind erst einmal in den Brunnen gefallen, so lässt man es womöglich besser unten, anstatt sich bei einem waghalsigen Interventionsversuch gleich noch selbst hinterher zu stürzen. So geschehen etwa - frei nach dem Motto "gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht" - beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Forsten: "Die Verarbeitungsverordnung Interventionsrindfleisch vom 26. 10. 1977 (BGBl I, 1915), geändert durch die Verordnung vom 29. 10. 1978 (BGBl I, 1716), wird wie folgt geändert: I. In der Überschrift wird die Kurzbezeichnung wie folgt gefaßt: Interventionsrindfleisch-Verarbeitungsverordnung." Na dann, guten Appetit!

Der Autor weist darauf hin, dass er die hier genannten Gesetze, Urteile und sonstigen Zitate aus verschiedenen Quellen zusammengetragen hat, als da wären:

de.wikipedia.org/wiki/Kanzleistil

Kollmer, "Juristische Superlative", NJW 1997, 1129

Hamann, "Juristische Kuriositäten – Ein Spaziergang durch den Paragrafendschungel", NJW 2009, 727

Würdinger, "Humoristisches Nachbarrecht", NJW 2009, 732

Sendler, "Über sog. humoristische Urteile", NJW 1995, 847

 

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Constantin Baron van Lijnden, Obiter Dictum - 2. Teil: Eine humoristische Perspektive auf die kreative Legislative . In: Legal Tribune Online, 26.12.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5120/ (abgerufen am: 02.06.2023 )

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