Man hat es schon nicht leicht als deutscher Richter. Aktenberge abarbeiten, Forderungen windiger Kläger bescheiden und auch dem unsubstantiiertesten Vortrag noch eine rechtliche Würdigung zuteil werden lassen. Mancher Amtsträger bemüht sich daher, dem eintönigen Arbeitsalltag zu entfliehen - zum Beispiel, indem er seinen Urteilen eine ganz individuelle Note verleiht.
Das Ergebnis solch kreativer Entfaltung ist nicht immer gelungen, und in so manchem Fall mag man sich wünschen, der Verfasser der peinlichen Zeilen wäre dem sachlich-drögen Stil deutscher Beamtensprache lieber treu geblieben. Am anderen Ende des Spektrums jedoch finden sich Machwerke, die durch Witz und Wortgewandtheit glänzen und echtes literarisches Talent offenbaren. Doch egal, ob das Experiment im Einzelfall geglückt ist oder sich eher als Blamage erwiesen hat - immerhin stellt es unter Beweis, dass Jura eben doch nicht (nur) das Domizil der chronisch Spaßbefreiten ist, ja, dass selbst das ernste und würdevolle Richteramt sich mit einer gelegentlichen Prise an Humor vereinbaren lässt.
Natürlich wollen wir dem Leser, der sich womöglich soeben noch durch den zehnten Aufsatz zu Sonderproblemen des Steuer- oder Gesellschaftsrechts gekämpft hat, diese so erbauliche geistige Kost nicht vorenthalten. Daher haben wir eine kleine Sammlung erstellt, die die geglückten Gehversuche der deutschen Justiz auf dem komödiantischen Parkett präsentieren und – so die Hoffnung – für ein wenig Zerstreuung in den gemarterten deutschen Juristenhirnen sorgen soll.
Da steht ein Pferd auf der Straße
Den Einstieg in diese Auslese mag denn auch gleich das AG Köln mit seinem unter dem Aktenzeichen 226 C 356/84 geführten und am 12.10.1984 veröffentlichten Urteil bereiten. In dieser Sache musste das Gericht sich mit Fragen des (Tierhalter)Haftungsrechts auseinandersetzen, nachdem eines der Zugpferde des zu Werbezwecken durch die Stadt geführten Brauereifuhrwerks der Beklagten seinen Hufabdruck im Pkw der damaligen Klägerin verewigt hatte. Diesem ohnehin schon eher kuriosen Sachverhalt näherte sich der Richter, indem er zunächst feststellte, dass das Fuhrwerk "trotz einiger Pferdestärken" nicht durch Maschinenkraft bewegt werde, also kein Kraftfahrzeug im Sinne des §1 II Straßenverkehrsgesetzes (StVG) sei. Allerdings sei das Pferd, "auch wenn es am Straßenverkehr teilnimmt und nicht zu Hause wohnt", rechtlich doch ein Haustier. Damit war der Weg zu §833 BGB geebnet.
Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis, und da weiter feststehe, dass "die Pferde [...] auch am 31. 1. 1984 pünktlich um 12.00 Uhr ('High Noon') vor der Postschänke zur Attacke angeritten [seien], um das dort befindliche Auto der Kl. einzutreten", waren die Haftungsgründe leicht erläutert. Auch Exkulpation kam nicht in Betracht, da von dem Kutscher, welcher zum Zeitpunkt des Schadenseintritts in einer nahegelegenen Gaststätte verkehrte, "natürlich zu verlangen gewesen" sei, die Pferde auch während dieser Zeit unter seiner Aufsicht zu halten, sie etwa "mit an die Theke [zu nehmen], wo sie sich als echte Kölsche Brauereipferde sicherlich wohler gefühlt hätten als draußen im Regen."
Mit der rechtlich richtigen Erfassung dieses an sich simplen Sachverhalts gab sich der zuständige Richter jedoch nicht zufrieden, erblickte in den trittwütigen Vierbeinern vielmehr einen "liebenswerte[n] Luxus, der wie vieles andere zum Kölner Lokalkolorit gehört", und sah sich von diesem zu weitschweifenden Ausführungen über "die Gleichberechtigung der Tiere untereinander in der juristischen Fachliteratur" inspiriert. Quasi rechtsvergleichend ging er sodann auf Artverwandte ein und konstatierte etwa: "Zum Rindviehstamm gehört die Kuh, ein End macht Milch, das andere Muh". Trotz dieser offenkundigen Vorzüge sei jedoch "kein echtes Bedürfnis erkennbar, das Rindvieh im Straßenverkehr zu vermehren". Allerdings auch nicht abzuschaffen, und so ward der Beklagten auch weiterhin gestattet, ihre Pferdekutsche zu Werbezwecken durch die Stadt zu führen, zumal ja ganz anscheinend "die Pferde […] trotz ihrer äußerlich robusten Statur innerlich nicht einer gewissen Sanftmut im Verkehr entbehren", da sie "mit dem Auto der Klägerin einigermaßen zartfüßig umgegangen" seien und "[d]as Ergebnis ihrer Beinarbeit [...] jedenfalls nach den Erfahrungen des Gerichts relativ preisgünstig ausgefallen" sei.
Dieser Richter ist ein Dichter
Wer nun meint, dass solche Erwägungen doch zu weit von der eigentlichen Materie wegführten und in einem Urteil nichts zu suchen hätten, der fühlt sich womöglich bei den Kollegen vom ArbG Detmold besser aufgehoben, die am 23.08.2007 unter dem Aktenzeichen 3 Ca 842/07 über einen Schadensersatzanspruch wegen der Wiedergabe ehrenrühriger Äußerungen Dritter im Prozess zu befinden hatten. Klar und auf den Punkt wird hier formuliert:
Die Klage – wie die Kammer findet –
ist vollumfänglich unbegründet.
1. Auch wenn's der Klägerin missfällt:
Es gibt für sie kein Schmerzensgeld.
Nicht bloß dieser kurze Auszug, sondern das gesamte Urteil ist in Versen verfasst, wobei sich eine außerordentliche Kunstfertigkeit des Autors offenbart, der den reichlich delikaten Sachverhalt unter Einhaltung eines einheitlichen Metrums behandelt. Die ehrenrührigen Äußerungen, um die es hier ging, stammten vom ehemaligen Arbeitgeber der Klägerin, welcher ihr zuvor gekündigt hatte. Im darauffolgenden Prozess
behauptet[e] nunmehr der Beklagte,
dass es die Klägerin dann wagte,
so neben ihren Aufsichtspflichten
noch andere Dinge zu verrichten:
So habe sie sich nicht geniert
und auf dem Hocker masturbiert.
Was dabei auf den Hocker troff,
befände sich im Hockerstoff.
Die Spielbar sei aus diesem Grunde
als "Russenpuff" in aller Munde.
Allen Ernstes war sogar ein Beweis hinsichtlich der Ingredenzien des Hockerbezuges angetragen worden ("Er reichte ihn - den gut verpackten - / bereits zu den Verfahrensakten"), der jedoch mangels Entscheidungserheblichkeit nicht erhoben wurde:
Kurz: Es kommt letztlich darauf an,
ob's der Beklagte selbst ersann,
er also gleichsam phantasierte,
wie sich die Klägerin gerierte.
Und deshalb bleibt auch unergründet,
was sich im Hockerstoff befindet
und ob die Zeugen sah'n und hörten,
was dem Beklagten sie erklärten.
Nein, der Beklagte muss mitnichten
ein hohes Schmerzensgeld entrichten.
Diese Zeilen offenbaren, was sich durch das gesamte Urteil zieht, nämlich die Fähigkeit, Reim, Rechtsprechung und Humor miteinander auf eine Weise zu verbinden, die allen drei Belangen zur Geltung verhilft, ohne den einen zu Gunsten des anderen zu vernachlässigen. Das Berufungsgericht sah das übrigens anders - in den Versen der Vorinstanz erkannte es einen "wesentlichen Verfahrensmangel", da diese mit "eine[r] persönliche[n] Herabwürdigung der Klägerin verbunden" seien. Zur Aufhebung kam es dennoch nicht, denn die Entscheidung sei in der Sache richtig, eine Zurückverweisung daher sinnlos.
Anspruchsvolles Liebesleben
Pikant wurde es auch beim AG Mönchengladbach, wo es bereits einige Jahre zuvor, nämlich am 25.04.1991, zu klären galt, welche Bedeutung das Vorhandensein eines Doppelbetts für den Erholungswert des gemeinsam verbrachten Eheurlaubs habe. Der Kläger verlangte eine Minderung des Reisepreises um 20%, da ein "friedliches und harmonisches Einschlaf- und Beischlaferlebnis" in den zwei (obendrein auf rutschigen Fliesen stehenden!) Einzelbetten nicht möglich gewesen sei, was bei ihm und seiner Gemahlin "zu Verdrossenheit, Unzufriedenheit und auch Ärger geführt" habe. Der Richter, der dieses schlimme Schicksal zu bescheiden hatte, schwang sich zwar nicht zu poetischen Ergüssen auf, doch wusste auch mit schlichter Prosa zu erheitern:
Zunächst habe nämlich "[d]er Kläger [...] nicht näher dargelegt, welche besonderen Beischlafgewohnheiten er hat, die festverbundene Doppelbetten voraussetzen." Dies sei jedoch auch nicht klärungsbedürftig, da jedenfalls "dem Gericht mehrere allgemein bekannte und übliche Variationen der Ausführung des Beischlafs bekannt [seien], die auf einem einzelnen Bett ausgeübt werden können, und zwar durchaus zur Zufriedenheit aller Beteiligten." Doch selbst wenn der vom Kläger geplante Stellungskrieg eines weitläufigeren Terrains bedurft hätte, so könne dies schon deshalb keinen Mangel begründen, weil ein solcher mit Leichtigkeit von ihm (dem Kläger) hätte beseitigt werden können.
Wie dies zu bewerkstelligen gewesen wäre und wie sich etwaige künftige (bei)schlaflose Nächte vermeiden ließen, erläutert das Gericht mit einigen praktischen Hinweisen: "Es hätte nur weniger Handgriffe bedurft und wäre in wenigen Minuten zu erledigen gewesen, die beiden Metallrahmen durch eine feste Schnur miteinander zu verbinden. Es mag nun sein, daß der [Kläger] etwas derartiges nicht dabei hatte. Eine Schnur ist aber für wenig Geld schnell zu besorgen. Bis zur Beschaffung dieser Schnur hätte sich der [Kläger] beispielsweise seines Hosengürtels bedienen können, denn dieser wurde in seiner ursprünglichen Funktion in dem Augenblick sicher nicht benötigt."
Mit diesen pragmatischen Worten, die unter dem Aktenzeichen 5a C 106/91 in voller Länge nachzulesen sind, schließt die Entscheidung und zugleich auch dieser Artikel. Doch war dies nur der erste Streich, der zweite folgt bald, fast sogleich.
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Constantin Baron van Lijnden, Obiter Dictum – 1. Teil: . In: Legal Tribune Online, 05.11.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4724 (abgerufen am: 07.11.2024 )
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