Nazi-Propagandisten und die Nürnberger Prozesse: Der Strafe ent­kommen

von Dr. Eike Fesefeldt

20.11.2015

3/3: Deutsche Gerichte gingen mit Tätern nachlässig um

Da es zu keinem Nachfolgeprozess gegen die Nazi-Propagandisten gekommen war, wurde die strafrechtliche Verfolgung der Verantwortlichen faktisch und auch rechtlich den deutschen Behörden überlassen. Dies allerdings mit äußerst ernüchternden Folgen. Schon kurz nach Ende des Krieges hatten die Alliierten deutsche Gerichte mit der Ahndung von solchen Verbrechen, die von Deutschen gegen Deutsche verübt worden waren, beauftragt. In kaum einem dieser Prozesse kam es zu nennenswerten Verurteilungen von Nazi-Propagandisten. Reichsfilmintendant Heppler etwa kam straflos davon, Gunter d’Alquen mit einer geringen Geldstrafe. Andere Propagandisten konnten sogar noch Jahrzehnte in ihren Berufen weiterarbeiten. Am prägnantesten ist hier der Fall von Paul Schmidt, Chef der Nachrichten- und Presseabteilung des Auswärtigen Amts, der noch viele Jahre unter Pseudonymen für Zeitschriften wie die "Zeit", den "Spiegel" oder die "Welt" schrieb, und niemals belangt wurde. Von den Personen, die Ankläger Hardy und sein Ermittlungsteam im Fokus hatten, erhielt alleine der Präsident der Reichspressekammer Max Amann eine hohe Strafe: Er wurde zu 10 Jahren Arbeitslager und dem Verlust sämtlicher Pensionsansprüche verurteilt.

Schlagzeilen machte der Prozess gegen Veit Harlan Anfang der 1950er Jahre vor dem Landgericht Hamburg. Er war einer wenigen und bei weitem der bekannteste strafrechtliche Prozess, der gegen einen Vertreter der Medienlandschaft durch die deutsche Justiz geführt wurde. Harlan hatte bei dem judenfeindlichen Film "Jud Süß" die Regie übernommen, und war deshalb von der Staatsanwaltschaft wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt worden. Nach einem Freispruch in erster Instanz und einer darauf folgenden erfolgreichen Revision durch die Staatsanwaltschaft stand wieder ein Freispruch durch das Landgericht Hamburg. So wurde ein Präzedenzfall geschaffen, der nicht nur Harlan, sondern fast allen Propagandisten Straffreiheit sicherte. Im Pressewesen kam es somit, trotz gegenteiliger Bemühungen der Alliierten, zu einer erheblichen personellen Kontinuität. In diesem Sinne beklagten sich die Alliierten noch 1949, dass die ehemaligen Redakteure und Herausgeber der Nazis fast ausschließlich entlastet wurden, obwohl die Schuld der Nazipresse und der übrigen Propaganda doch bekannt gewesen seien.

Das bedauerliche Fehlen eines Präzedenzfalles

Die historische und weltpolitische Bedeutung der Nürnberger Verhandlungen ergibt sich auch für die Zukunft daraus, dass eine Untersuchung der außen-, innen-, militär- und wirtschaftspolitischen Aktivitäten des Dritten Reiches, des ausgedehntesten Verbrechenssystem aller Zeiten, stattfand. Die Beantwortung der Rechtsfragen und die tatsächlichen Feststellungen durch die Nürnberger Gerichte sind ein wichtiger Teil der Weltpolitik und des Völkerrechts. Die in Nürnberg entwickelten Begriffe des Angriffskrieges und der Menschlichkeitsverbrechen sind allgegenwärtig; sie werden durch die Literatur und die Internationalen Straftribunale ständig zitiert.

Deshalb ist es aus heutiger Sicht bedauerlich, dass der Völkerstrafrechtswissenschaft ein ebenso systematischer Prozess gegen die Nazi-Propagandisten vorenthalten geblieben ist. Dies nicht nur deshalb, weil verantwortliche Personen nicht ihre gerechte Strafe erhielten. Es hätte genügend potentielle Personen gegeben, die in einem solchen Prozess hätten verurteilt werden können, auch wenn Propagandaminister Goebbels bereits tot war. Dem Völkerstrafrecht fehlt ein Präzedenzfall, wie es ihn für die Strafbarkeit von Juristen, Wirtschaftsimperien oder Ärzten etwa gibt.

Der Autor Dr. Eike Fesefeldt ist Richter in einer großen Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht Stuttgart.

Zitiervorschlag

Dr. Eike Fesefeldt, Nazi-Propagandisten und die Nürnberger Prozesse: Der Strafe entkommen . In: Legal Tribune Online, 20.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17607/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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