Fußball-WM, CDU-Parteitage, Kanzlerbesuche im Ausland: Immer dann ertönt die deutsche Nationalhymne. Fiene Kohn fragt sich, ob man die nach über einhundert Jahren mal ändern könnte oder dem Verfassungsrecht entgegen steht?
Wenn man den manchmal eher dissonant klingenden Intonationen des Deutschlandlieds mit der Melodie von Joseph Haydn lauscht, kommt bei manchen womöglich der Wunsch nach coolerer und hipperer Musik auf. Fragen wir uns also einfach mal ganz juristisch: Spricht etwas dagegen, die Nationalhymne zu ändern? Könnte zum Beispiel statt dem Lied der Deutschen, das seit August 1922 unsere Nationalhymne ist, der wesentlich jüngere Britney-Spears-Hit Toxic demnächst als deutsche Nationalhymne gespielt werden?
Wir wollen es einmal durchspielen.
Das Lied der Deutschen – ein Staatssymbol
Die Nationalhymne ist – genau wie die schwarz-rot-goldene Bundesflagge – ein Staatssymbol. Staatssymbole sollen den Staat repräsentieren und dienen als Identifikationssymbol für das Volk. Sie sind strafrechtlich geschützt. Gemäß § 90a StGB darf etwa auch die Nationalhymne nicht verunglimpft werden. Bei der Auslegung des § 90a StGB muss allerdings die Meinungs- und Kunstfreiheit (Art. 5 GG) beachtet werden, sodass auch mehr oder weniger schöne Variationen der aktuellen Nationalhymne wie "Einigkeit und Blech und Freizeit" (Torfrock) oder die Interpretationen von Heino oder Maybebop zulässig sind.
Dass das sogenannte Lied der Deutschen (Melodie: Joseph Haydn, Text: August Heinrich Hoffmann von Fallersleben) aus dem Jahr 1841 die deutsche Nationalhymne ist, ist tatsächlich nicht kodifiziert. Weder ist es wie die Bundesflagge im Grundgesetz geregelt noch gibt es ein Nationalhymnengesetz oder ähnliches und es gibt auch keine Rechtsverordnung oder formelle Anweisung des Bundespräsidenten, wie beim Bundesadler. Wie hat man sich also damals darauf geeinigt?
Warum gerade dieses Lied? 1841 bis heute
Die rechtliche Bühne betritt das Lied der Deutschen zum ersten Mal im Jahr 1922. Als Reichspräsident und damit Inhaber der Kommandogewalt wies Friedrich Ebert das Reichsheer und die Marine an, das Stück als Nationalhymne zu spielen. Diese Anweisung war allerdings nur für das Militär verbindlich, hatte also keinerlei Außenwirkung und entsprach damit einer Verwaltungsvorschrift.
Ebert hatte die Musik jedoch nicht zufällig ausgewählt: Schon Jahre vorher war das Lied der Deutschen als faktische Nationalhymne gesungen worden, sogar der damals in jeder gut sortierten Hausbibliothek vorhandene Brockhaus bezeichnete es als solche. Auch das Reichsjustizministerium war seinerzeit der Auffassung, dass das Stück "inzwischen den Charakter der deutschen Nationalhymne angenommen haben dürfte". Ab 1933 setzte sich die – mittlerweile verpönte – erste Strophe des Liedes durch.
Nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes begab man sich dann auf die Suche nach einer neuen Nationalhymne. Theodor Heuss, damaliger Bundespräsident, wollte eine ganz neue Nationalhymne festlegen. Der auf seinen Auftrag von Rudolf Alexander Schröder verfasste Text "Hymne an Deutschland" war laut dem mit der Musik beauftragten Carl Orff (bekannt durch das Hit-Album Carmina Burana) aber unvertonbar. Das schließlich von Hermann Reutter komponierte Lied fand in Politik und Volk wenig Anklang. Also musste Heuss 1952 in einem Briefwechsel klein begeben und erkannte das Lied der Deutschen als Nationalhymne an.
Das Bundesverfassungsgericht hatte sich unter anderem im Jahr 1990 mit der Nationalhymne zu beschäftigen. Streitig war die Frage, ob nur die dritte Strophe des Lieds der Deutschen als Nationalhymne gesungen werden solle oder ob alle Strophen (darunter die mit den Nationalsozialisten assoziierte erste Strophe) zur Hymne gehören. Aus dem Briefwechsel zwischen Heuss und Adenauer ergebe sich keine klare Antwort – nur, dass die dritte Strophe diejenige ist, die bei offiziellen Anlässen gesungen werden solle. Geklärt ist die Frage seit einem weiteren Briefwechsel zwischen Bundespräsidenten und Bundeskanzler: Richard von Weizsäcker und Helmut Kohl einigten sich 1991 darauf, dass nur die dritte Strophe, da "im Bewusstsein der Bevölkerung fest verankert", die Nationalhymne sei.
Britney Spears' "Toxic" als neue Nationalhymne?
Die deutsche Nationalhymne wurde also nur durch Briefwechsel zwischen Bundespräsidenten und Bundeskanzlern festgelegt. Streit über die Legitimität dieser Rechtssetzung gab es nie. Das Lied der Deutschen ist also kraft Gewohnheitsrecht die Nationalhymne. Ob Verfassungsgewohnheitsrecht mit Art. 79 GG vereinbar ist, ist zwar umstritten. Die herrschende Meinung nimmt jedoch an, dass es auch ungeschriebenes Verfassungsrecht geben darf, solange es nicht gegen das geschriebene Recht verstößt.
Damit eine neue Hymne eingeführt werden könnte, müsste Verfassungsgewohnheitsrecht also erst einmal änderbar sein. Gewohnheitsrecht kann grundsätzlich geändert werden: Entweder wird etwas Gegenteiliges kodifiziert oder das rechtliche und tatsächliche Umfeld ändert sich. Grundsätzlich kann das Grundgesetz mit einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag geändert werden, Art. 79 I 1 GG. Nur die unter die sog. Ewigkeitsgarantie in Art. 79 III GG fallenden Grundsätze (z.B. Unantastbarkeit der Menschenwürde, Art. 1 GG) dürfen nicht verändert werden. Es mag daher angenommen werden, dass auch Verfassungsgewohnheitsrecht nur durch verfassungsändernde Mehrheit abgewandelt werden kann.
Aber auch das tatsächliche Umfeld könnte sich ändern, wenn das deutsche Volk ein anderes Lied als Nationalhymne ansähe. So wäre bei der Einführung einer neuen Nationalhymne jedenfalls zu beachten, dass das neue Lied im Bewusstsein des deutschen Volkes als identitätsstiftendes und inhärent mit dem deutschen Nationalbewusstsein verbundenes Lied verankert sein müsste. Immer wieder werden verschiedene Aspekte des Deutschlandlieds kritisiert. So gab es u.a. Vorstöße, das Lied zu gendern: Man könne "Für das deutsche Heimatland" statt "Vaterland" singen oder "couragiert" statt "brüderlich mit Herz und Hand". Auch kann sich nicht jeder mit der Hymne identifizieren. Als der Christopher Street Day (die Demonstration für queere Rechte) 2020 in Köln das Motto "Einigkeit! Recht! Freiheit!" wählte, kam es zu einem Aufschrei ob der diskriminierenden Erfahrungen, die einige Betroffene mit dem deutschen Staat gemacht hatten und die Organisatoren änderten das Motto in "Für Menschenrechte".
Würde man jedoch eine Umfrage in der Bevölkerung durchführen, wäre ziemlich sicher klar, welche Zeilen die Mehrheit der Menschen anstimmen würde. Das tatsächliche Umfeld hat sich also bisher nicht geändert und kann daher das Gewohnheitsrecht – noch – nicht ändern. Eine neue Nationalhymne kann damit nicht von heute auf morgen einseitig vom Bundespräsidenten oktroyiert werden. Vielmehr muss sich durch einen jahrelangen, organischen Prozess ein neues Lied in der Bevölkerung durchsetzen.
Alle Britney-Fans sollte das aber nicht demotivieren: Wenn wir alle anfangen, an Toxic als neue Nationalhymne zu glauben und den Song als solche zu behandeln, wer weiß: Vielleicht hören wir in hundert Jahren in digitalen Stadien vor Beginn der E-Sport-Weltmeisterschaft die berühmten wirbelnden Streicherklänge der Pop-Prinzessin.
Die Autorin Fiene Kohn ist studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Europäisches Verwaltungsrecht von Prof. Dr. Gernot Sydow, M.A. an der Universität Münster.
Verfassungs- und Gewohnheitsrecht: . In: Legal Tribune Online, 29.07.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52368 (abgerufen am: 05.12.2024 )
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