Juristenhumor ist es, wenn mal wieder über den "verrückten Grenzstein" gelacht werden muss. Anwälte werden "kritisch", sobald ein Staatsanwalt vom Verteidiger eine Vollmacht verlangt. Als ob es kein größeres Elend gäbe. Erheblich schärfer ist, was die böse kleine Zeitschrift "myops" liefert. Eine Vorstellung des fünfjährigen Blattgewächses von Martin Rath.
Der Hamburger Erziehungswissenschaftler und Kriminologe Jens Weidner vermarktet einen Teil seiner Profession höchst geschickt unter dem Label "Peperoni-Strategie". Als Vertreter der konfrontativen Pädagogik hatte er sich im Strafvollzug einen Namen gemacht. Im Rahmen von Anti-Aggressivitäts-Trainings geht es dort darum, Gefangene dazu zu befähigen, auf den "thrill" ihres aggressiven Verhaltens zu verzichten. Unter dem "Peperoni"-Schlagwort verbreitete Weidner aber auch den umgekehrten Ansatz: Wie gelingt es, in den allzu braven, friedfertigen und konfliktscheuen Bewohnern deutscher Ämter und Betriebe jene Aggression zu wecken, die sie zur Durchsetzung berechtigter Interessen besser verwenden könnten als zum Züchten ihrer Magengeschwüre.
Jeder Blick in die Welt juristischer Fachzeitschriften lässt den Gedanken zu, dass in Juristinnen und Juristen prächtige Magengeschwüre wachsen müssen, so überaus gesittet wie es dort meistens zugeht.
"myops" (griech.): Stechfliege
Besser: Beinahe jeder Blick in juristische Zeitschriften offenbart schärfefreie Harmlosigkeit. Denn ohne das düstere Wirken des Bakteriums Heliobacter pylori in den Magenregionen von Juristen wie "Laien" verharmlosen zu wollen, bietet die kleine Zeitschrift "myops" seit 2007 scharfe Mittel gegen unterdrückte Konflikte. Das Anliegen steckt schon im Titel: "myops" nannten die alten Griechen die Stechfliege. Die gelehrte Anspielung auf die Erfinder des abendländischen Humanismus verdankt die Zeitschrift der philologischen Kompetenz ihrer Herausgeber.
Ihre Lust am Rumor zeigt sich am besten vielleicht dort, wo kein offensichtlicher Skandal zum Anprangern bereitsteht. Allgemein lud beispielsweise eine kleine Schrift des früheren Verfassungsrichters Ernst-Wolfgang Böckenförde branchenüblich zu freundlichen Rezensionen ein. Der Titel seiner Schrift aus dem Jahr 2010, "Vom Ethos der Juristen", mochte dazu animieren. Wer lässt sich nicht gerne sagen, er sei in seinem Beruf von einem "Ethos" beseelt? Dass auch festliche Äußerungen einer alten Autorität wie Ernst-Wolfgang Böckenförde mit spitzen Fingern angefasst werden dürfen, beweist die Besprechung von Rainer Maria Kiesow: "Die kontinentaleuropäischen Richter, Anwälte, Lehrer, Dogmatiker, Gutachter haben zweitausend Jahre lang ethosmäßig offenbar nur dem Gesetz, diesem göttlichen Geschenk, gehuldigt. Lippen des Gesetzes waren sie."
Böckenförde konstruiere aus verstaubter Sekundärliteratur am Ende keine produktive Analyse des Juristen, sondern nur einen dunklen "‘anthropologischen Wurzelgrund‘ des juristischen Ethos" . Brave Leser Böckenfördes könnten daraus zwar Stoff für feierliche Vorträge ziehen, in "myops" (Nr. 11, Seite 42 ff.) heißt es hingegen: "Das ist Volksverdummung."
"Volksverdummung" nicht nur durch Verfassungsrichter a.D.
Die polemische Schärfe wird nicht jeder mögen. Dem allgemeinen Geschmack scheinen eher die braven Pro-und-Contra-Diskussionen zu entsprechen, wie sie die milde "Zeitschrift für Rechtspolitik" allmonatlich liefert. Abstrakte Auseinandersetzungen verlangen vielleicht zu recht nach mehr Milde.
Die Schärfe findet indes auch Gegenstände, die sie sich durch besonders üble Praxis verdient haben. Hier stechen zwei Beiträge von Volker Rieble ins Auge. Der Münchener Arbeitsrechtler gilt ja als "arbeitgeberfreundlich", seine juristischen Zunftgenossen werden ihm kaum die Attitüde zuschreiben, ein "Anwalt der kleinen Leute" zu sein. Riebles Beitrag über eine Rechtsanwältin, der im rheinischen Heinsberg übel mitgespielt worden ist, wird nichtsdestoweniger von gerechtem Zorn getragen (myops 14, 43-67): Der Direktor des AG Heinsberg stellte eine erkrankte Anwältin unter Betreuung, per einstweiliger Anordnung – um Interessen Dritter, nicht etwa die der Anwältin zu schützen. Rechtliches Gehör, professionelle Begutachtung kamen, gelinde formuliert, zu kurz. Die Instanz, die das als erste feststellte, war das Bundesverfassungsgericht. Rieble prangert auch an, wie die NRW-Justiz mit der anschließenden Anzeige wegen Rechtsbeugung gegen den Amtsgerichtsdirektor verfuhr.
An anderer Stelle (myops 13, 32-36) dokumentiert er jedoch, dass auch aus "Karlsruhe" Unheil droht: Unter dem Aktenzeichen 1 BvR 1572/10 kujonierte die Zweite Kammer des Ersten Senats das Oberlandesgericht Frankfurt, weil es den schlichten familienrechtlichen Beschluss der Frankfurter einfach nicht verstanden hatte. Rieble diagnostiziert scharf: "Karlsruher Leseschwäche".
Kleine und scharfe Formen
Von den Herausgebern der "myops", Rainer Maria Kiesow, Benjamin Lahusen, Regina Ogorek und Dieter Simon werden ungewöhnliche, teils kleine Formen gepflegt. Von Lahusen findet sich etwa ein sehr kurzes Stück über "Drei Jahrzehnte ohne Todesstrafe". Zwei Seiten, mehr braucht es nicht, die ganze Erbärmlichkeit der DDR so zu erfassen, dass man jedem, der vom "sozialistischen Rechtsstaat" phantasiert, über den Mund fahren möchte.
Beschrieben werden zwei Personenbilder, eines von Hermann Lorenz, das andere von Werner Teske: "Die beiden kannten sich nicht. Zusammengetroffen sind sie allenfalls ein einziges Mal: am 26. Juni 1981. Lorenz war Henker und Teske sein Kunde." In der späten DDR wurden Todesurteile durch "unerwarteten Nahschuß in das Hinterhaupt" vollstreckt. So schickte die DDR die Verurteilten in den Tod: "(E)inen letzten Wunsch gab es nicht, eine Henkersmahlzeit auch nicht, lediglich das Recht, einen Abschiedsbrief zu schreiben, der aber" – hier kommt das Elend auf den Punkt – "selbst wenn er verfaßt wurde, die Angehörigen nicht erreichte".
Dem emeritierten Bremer Zivilrechtsprofessor Peter Derleder gelang derweil ein weitaus unblutigeres Scharfgericht: Warum sind alle Rezensenten, das fragte sich der kritische Leser in den vergangenen zwei Jahren oft erstaunt, so grässlich freundlich zu Ferdinand von Schirach, dem Strafverteidiger, der auch Kriminalgeschichten schreibt? Über den juristischen Sachverstand von Schirachs kommt Derleder, nachdem er die Fehler einer Fallerzählung auseinandernahm, zu dem Fazit: "Der Autor kann also nur bei einfacheren Strafrechtstatbeständen und Strafprozesskonflikten ernst genommen werden." Über die Schirach’schen Erzählungen fällt das Urteil: "billige Kolportage von Killermorden, Zerstückelungen, Mafialegenden, Verschwörungstheorien und Rachephantasien", derer man sich spätestens bei näherem Nachdenken bewusst werden müsse.
Unbekanntes Vorgängerwerk und Side-kick
Am Frankfurter Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte trugen Dieter Simon, Regina Ogorek und Rainer Maria Kiesow das "Rechtshistorische Journal" zusammen, ein sehr anregendes Jahrbuch, das seit 1982 in 20 Nummern erschien. Der scharfe Stil, unzulängliche Erscheinungen auf dem Gebiet der Rechtswissenschaft ganz unumwunden als solche zu bezeichnen, wurde dort schon gepflegt, was an juristischen Fakultäten nicht dazu beitrug, die Zeitschrift in studentische Griffnähe zu rücken. Plagiate und ähnliche Minderleistungen deckte das "RJ" auf, lange bevor Karl-Theodor zu Guttenberg dazu einlud, die Aufklärungsarbeit zum akademischen Breitensport zu machen.
Neben der Zeitschrift "myops", die nicht öfter als drei Mal im Jahr erscheint, publizieren ihre Herausgeber auch ein Online-Tagebuch: Das "Mops-Blog" notiert "das Flüchtige am Rechtsgeschäft, Flurgeflüster, Kantinengespräche". Diese Ankündigung wird nicht selten durch überobligatorische Leistungen dementiert. So erzählt Dieter Simon dort gelegentlich Anekdoten aus der Zeit, als Wissenschaft noch von Professoren gemacht wurde, die beim gedankenschweren Wandeln durch Akademieflure über ihre langen grauen Bärte stolperten. Oder Benjamin Lahusen notiert, was er mit den "rheinischen Frohnaturen" im Staatsarchiv zu Düsseldorf erlebte: "Ich habe die Düsseldorfer unterschätzt. Um ihr Geheimarchiv zu schützen, entwickeln die Frohnaturen mehr Böswilligkeit, als ich ihnen zugetraut hätte."
Existenzberechtigung für freche Juristenzeitschriften?
Das Jahr 2011 hätte die "myops" womöglich nicht überlebt. Die Redaktion hatte es mit dem Spieltrieb etwas überdreht: Ein (an sich erkennbar) fiktives Personalgutachten über den emeritierten Konstanzer Arbeitsrechtsprofessor Bernd Rüthers karikierte diesen als halsstarrigen Zeitgenossen. Man ist nicht einer Meinung, was die Möglichkeit angeht, Richter durch Text und Methode ans Gesetz zu binden. Abgedruckt wurde das "Gutachten" als vorgebliches "Wikileaks"-Dokument. Rüthers war empört. Hans-Dieter Beck, Gesellschafter des C.H. Beck-Verlags, erkannte die postmoderne Posse seiner "myops"-Mitarbeiter nicht als solche und drohte mit Liebesentzug. Man weiß das, weil sein Brief abgedruckt wurde. Das war schon einmalig.
Jens Weidner, der Kriminologe und Pädagogikprofessor aus Hamburg, spielt im Marketing für sein Aggressionstraining mit einer Chili-Metaphorik. Der friedfertige Normalbürger kultiviert sich in seinem Konfliktverhalten auf Gemüsepaprikaniveau. Mehr Capsaicin täte ihm, aber auch der Gesellschaft der harmoniesüchtigen Republik gut.
Die "myops"-Produzenten entwickeln hingegen die Schärfe eines Habanero-Gewächses. Als die Text-Kompetenz eines der bedeutendsten Verlagsleute Deutschlands in einer von ihm verlegten Zeitschrift dokumentiert wurde, stockte der Atem. In der milden Welt der juristischen Publizistik sollte "myops" noch viele Tränen fließen lassen. Das Monopol auf äußerste Schärfe sollte das kleine Magazin aber nicht behalten.
Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.
Martin Rath, Scharfe Juristenzeitschrift: . In: Legal Tribune Online, 10.06.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6352 (abgerufen am: 08.11.2024 )
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