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21579

Thomas Morus und sein "Utopia": Nur köpfen, nicht fol­tern

von Martin Rath

25.12.2016

Das Porträt von Thomas Morus zeigt seinen ernsten Ausdruck, der seine moralischen Überzeugungen und Konflikte widerspiegelt.

(c) Wikimedia Commons, gemeinfrei

Im Jahr 1516 veröffentlichte der englische Jurist und Philosoph Thomas Morus seine Schrift "Utopia", die einer ganzen Literaturgattung den Namen gab. Sein Büchlein enthält auch scharfe Kritik am Recht seiner Zeit. Von Martin Rath.

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Der Humor des englischen Juristen und gelehrten Staatsmanns Thomas Morus (1478–1535) ist oft gerühmt worden. Gerne wird das angeblich letzte Bonmot seines Lebens zitiert: Als ihn der Henker zur Hinrichtung wegen Hochverrats zurecht machte, soll er diesen um die Schonung seines Barts gebeten haben, da dieser sich nicht des Verrats schuldig gemacht habe.

Die überaus rege Tätigkeit des Henkers zur Zeit des englischen Königs Heinrich VIII. von England (1491–1547) soll Morus, der diesem Fürsten in höchsten Staatsämtern diente, auch zu der Bemerkung veranlasst haben: Wenn der Dienstherr dadurch eine Festung in Frankreich eroberte, fände sich sein Kopf alsbald auf einer Stange zur Schau gestellt.

Kritik an Todesstrafe im Jahr 1516

Bei so viel Witz, was immer dieser in derart brutalen Zeiten Wert gewesen sein mag, ist nicht gut zu erkennen, für wen Thomas Morus' Herz schlug: Im literarischen Stil seiner Epoche ließ Morus in seiner Schrift "Utopia" einen namenlosen Juristen am Hof eines englischen Bischofs in einem gewitzten Dialog über die Todesstrafe streiten. Die Kontra-Argumente legte er dabei einem fiktiven Reisenden in den Mund, der das ferne Land Utopia bereist und dort andere Sitten kennengelernt hatte.

Raphael Hythlodaeus, der erfundene Utopia-Kenner, führt beispielsweise ins Feld, dass das seinerzeit im England Heinrichs VIII. fast epidemisch vollzogene Hängen von einfachen Dieben dem nicht entspreche, was wir heutzutage als Abstandgebot kennen: Wer Mördern und Dieben die gleiche Strafe angedeihen lasse, differenziere nicht hinreichend bei den Rechtsgütern und lasse damit an der Seriosität des Rechts zweifeln. Außerdem bedinge die erbärmliche Armut, dass so viele Menschen zu Dieben würden.

Dagegen lässt Morus einen namenlos bleibenden Juristen das gewitzte argumentum a fortiori sprechen: Wenn schon das fleißige Aufhängen der Diebe in der Gegenwart die Diebe zu ihrem scheußlichen Verbrechen verleite, um wie viel schlimmer würden die Verhältnisse, wollte man sie de lege ferenda verschonen? Zudem sei ein Dammbruch der Liberalisierung zu befürchten, der – Gott bewahre! – beizeiten noch zur Straflosigkeit von Notzucht, Ehebruch und Meineid führen könnte.

Utopische Manie der Deportation von Kriminellen

Menschen, die soziale Regeln gravierend verletzt haben, aus ihrer sozialen Gruppe auszuschließen, ist zwar – neben der körperlichen Züchtigung – die wohl älteste Sanktionsform. Selbst die Todesstrafe wird von manchen Theoretikern primär als höchste Steigerungsform dieses Wunsches auf Exklusion interpretiert.

Dem humanistisch hoch gebildeten Juristen Thomas Morus war selbstverständlich die antike Praxis der Verbannung, einer weiteren Variante des Ausschlusses, bestens bekannt.
Soweit erkennbar innovativ war Morus darin, dass er in der 1516 publizierten Schrift "Utopia" die Deportation von Straftätern, neben ihrer Versklavung, zur besten Idee verklärt, die einer Gesellschaft in der Strafrechtspflege kommen könne.

Vom Staat der Utopier lässt Morus seine Figur Raphael Hythlodaeus berichten, dass diese ihre Insel, geografisch irgendwo vor der Küste Amerikas gelegen (so wie heute Brexit-England) in einer Art kommunistischer Wirtschaftsform verwalteten. Wegen der fehlenden Armut existiere wenig Verbrechen, daher übernähme der Staat Utopia gerne Straftäter aus fremden Ländern, um sie als Sklaven einzusetzen.

Thomas More – so die englische Variante seines Namens - , ein sehr braver humanistischer Katholik, darf möglicherweise dafür in Haftung genommen werden, dass der Gedanke der Deportation von Straftätern in fremde Länder in den darauf folgenden rund 400 Jahren nicht nur die utopische Literatur in seinen Bann zog. Auch im fortschrittsgläubigen 19. Jahrhundert, als sich beispielsweise die "Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft" streckenweise las wie ein Jules-Verne-Roman, geisterte die Idee der Deportation als Mittel des Strafvollzugs durch die vornehmsten Köpfe der akademischen Juristenwelt. Diese Obsession mag auf Morus' Büchlein von 1516 zurückgeführt werden.

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  • Seite 1:

    Rechtskritik in einem berühmt gewordenen Büchlein

  • Seite 2:

    Nur geköpft, nicht gefoltert

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Martin Rath, Thomas Morus und sein "Utopia": . In: Legal Tribune Online, 25.12.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21579 (abgerufen am: 15.05.2025 )

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