Die heilige Maria gegen den Teufel im Streit um gestohlene Seelen, dazu Jesus Christus als Richter – der "Processus Satahanae" sollte Jungjuristen im Mittelalter den Inhalt und die Grenzen damaliger Rechtsfiguren näher bringen.
Historisch interessierte Juristen wissen noch um die Funktion des Teufels in den Verfahren gegen Hexen und Hexer, die zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert vielleicht 70.000 Menschen in Europa das Leben kosteten. Nicht selten wurde die Anklage auf ein Vertragsverhältnis zwischen dem leibhaftigen Bösen und dem beschuldigten Menschen gestützt. Aus ihm ließ sich eine Verschwörung gegen die gottgewollte staatliche Ordnung interpretieren, womit man etwas hatte, das einer zwar kruden, aber herrschenden juristischen Meinung zugänglich war.
Natürlich ist es immer gut zu wissen, wie eine magische Wahnidee in eine solide juristische Routine, abgesichert durch rechtswissenschaftliche Sondervernunft, überführt wurde. Immerhin waren führende Juristen und Intellektuelle von der Existenz des Teufels und seiner Praxis überzeugt, Menschen für sich unter Vertrag zu nehmen.
Der frühe Staatsrechtslehrer Jean Bodin (1529-1596), der Mitentdecker der modernen Souveränitätslehre, zählte ebenso zu den Teufelsgläubigen wie Martin Luther (1483-1546), dessen Rolle als Miturheber des deutschen Staatskirchenrechts im kommenden Jahr unter Führung von Margot Käßmann gefeiert werden wird.
Den Teufel aber nur auf seine finstere Rolle in strafrechtlichen Wahnkonstruktionen zu reduzieren, wird ihm aber kaum gerecht, denn er hatte insbesondere auch pädagogischen Wert – nicht zuletzt für Juristen.
Jesus raubt die alten Seelen
In der Zeitschrift "Rhetoria" (Bd. 33, S. 409-430) stellt der US-amerikanische Rechts- und Literaturwissenschaftler Douglas M. Coulson den Teufelsprozess als Gegenstand der spätmittelalterlichen Juristenausbildung vor – unter anderem am Beispiel eines "Processus Satahanae", der mitunter dem bedeutenden Rechtsgelehrten Bartolus de Saxoferrato (gestorben 1357) zugeschrieben wird.
Gegenstand für diesen theatralisch aufgeführten Prozess gab die sogenannte Höllenfahrt Christi. Nach einer in der christlichen Überlieferung stark verbreiteten Auffassung stieg Jesus nach seiner Kreuzigung in die Hölle hinab und befreite die Seelen der gerechten Menschen, die dort seit dem Sündenfall Adams und Evas untergebracht waren.
Der mittelalterlichen Rechtswissenschaft bot dieser Vorgang die Gelegenheit, sich über die Besitzansprüche des Teufels an den Seelen Gedanken zu machen. Coulson nimmt an, dass der Prozess zu pädagogischen Zwecken im universitären Raum nachgespielt wurde. Freunde der heutigen Moot Courts dürfen sich also rühmen, in die Fußstapfen von Anwälten des Satans zu treten.
Überirdisches Personal im mittelalterlichen Theatergericht
In einem dieser prototypischen Teufelsprozesse fungierte als Richter kein Geringerer als Jesus Christus, als Anwalt des Teufels trat eine "Mascaron" genannte, oft fratzenhaft dargestellte Figur auf. Die Sache der von der Hölle befreiten Menschheit vertritt die Jungfrau und Gottesmutter Maria. Ihre Arbeit als Anwältin muss allerdings noch den frömmsten Richter zu sitzungspolizeilichen Bedenken veranlassen, wie sich gleich zeigen wird.
Der Streit um den Besitz an den in der Hölle untergebrachten Seelen, wenn nicht an denen der sündigen Menschheit insgesamt, zeigte den Studenten die Inhalte und Grenzen verschiedener Rechtsfiguren des römischen Rechts und ihrer prozessualen Verwertbarkeit auf. Zudem sollte die Weichmacherfunktion der Gnade, die eine Vorgängerin des Verhältnismäßigkeitsprinzips heutiger Zeiten war, gegenüber einem wortlauttreuen und formenstrengen Rechtsverständnis dargestellt werden.
Mascaron, der Anwalt des Teufels, greift beispielsweise die Berechtigung der Jungfrau Maria an, als Anwältin im Prozess aufzutreten, eine bis ins 20. Jahrhundert für Frauen unschickliche Tätigkeit. Die Jungfrau kontert, dass dann, wenn es die Billigkeit verlange, insbesondere zur Verteidigung von Witwen und Kindern, durchaus auch eine Frau als Anwältin auftreten dürfe. Zudem galt sie als Inkarnation der göttlichen Gnade, mit ihr war also nicht zu scherzen.
In der Sache begründet der Anwalt des Teufels den Anspruch auf Herausgabe der Seelen im Rahmen einer "actio spolii". Sein höllischer Herr sei so offensichtlich beraubt worden, dass er das ursprüngliche Besitzrecht gar nicht nachzuweisen brauche. Diesem Anspruch wird von Seiten der gegnerischen Anwältin begegnet, dass er fehladressiert sei – nicht die von ihr vertretene Menschheit habe dem Teufel den Besitz an den Seelen entzogen, sondern ihr Sohn bei Gelegenheit der Höllenfahrt zwischen Kreuzigung und Wiederauferstehung.
2/2: Replik, Duplik und ein absurdes Plädoyer
Nachdem die Sache des Teufels unter gewöhnlichen zivilrechtlichen Ansprüchen gescheitert ist, verlangt sein Anwalt, "in rem" zu entscheiden – grob gesagt erhebt er die Forderung, die gestörte Besitzordnung aus objektiven Rechtsgründen wiederherzustellen, appelliert an den Richter als Hüter dieser Ordnung mit dem korrekten Argument: Gott selbst habe nach biblischem Wort verfügt, dass jeder, der verbotenerweise vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse äße (Genesis 2:17), des Todes sei.
Dem begegnet die jungfräuliche Anwältin der Menschheit, der Satan selbst habe seinerzeit Adam und Eva zum Verzehr der verbotenen Frucht angestiftet, mithin habe er kein Recht dazu, die Früchte aus seinem bösartigen Verhalten zu ziehen, also die Seelen der nachadamitischen Menschen zu besitzen.
Auf diese Duplik antwortet der Anwalt des Teufels, dass in diesem Fall das menschliche Fehlverhalten unbestraft bleibe, weshalb der göttliche Richter gegen die Sache der Menschheit zugunsten der Höllenstrafe zu entscheiden habe.
An dieser Stelle fällt die Jungfrau Maria auf die Knie, öffnet ihr Gewand und zeigt dem Richter – der, wie erwähnt, nebenbei ihr göttlicher Sohn ist – die Brüste, um ihn an seine Pflichten als ihr und damit auch der Menschheit zugehöriges Kind zu erinnern.
An heutigen Hochschulen möchte man sich diese Lehrstoffpräsentation vielleicht doch nicht vorstellen.
Woher der "Anwalt des Teufels" kommt
In dem theatralischen Satansprozess kreuzen sich noch weitere Argumente. Manchem kann man noch immer, insbesondere unter deutschen Juristen, begegnen. Über den Anspruch des Teufels "Herr dieser Welt" zu sein, zerbricht man sich beispielsweise auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts im weiten Freundeskreis von Carl Schmitt (1888-1985) weiterhin den Kopf.
Nach Auffassung Coulsons Auffassung waren die Teufelsprozesse eine interessante Methode, mittelalterlichen Jungjuristen wichtige Elemente ihres Fachs zu vermitteln – trotz oder gerade wegen der oftmals grotesken Formen dieser Form akademischen Theaterspiels.
Während man sich hierzulande, wenn überhaupt, nur sehr gedankenschwer den Schnittstellen von Theologie und Rechtswissenschaft nähert, zeigt Coulson einige heitere und trotzdem seriöse Erkenntnisse. Entgegen dem heute allgemein üblichen Verständnis, sich unter einem "Anwalt des Teufels" einen Juristen vorzustellen, der bereit ist, für die Sache seines Mandanten alle Register zu ziehen, ist es im Processus Satahanae die Vertreterin des Guten, der jedes Mittel recht ist. Dem armen Mascaron bleibt immer wieder nur, förmlich auf verbrieften Rechten zu beharren, während die Mutter Gottes mit Gnade und Billigkeit argumentiert, als hätte sie persönlich das Verhältnismäßigkeitsprinzip erfunden.
Den Satan wieder zu Ehren kommen lassen?
Als Figur, die dazu taugt, arme Hexen und Hexer fachgerecht zu Tode zu bringen, eignet sich der Satan nicht mehr. Skurrile Lehrstücke wie der Processus Satahanae, dessen Wiederaufführung doch den Unterhaltungswert eines Moot Courts mit Monty-Python-Besetzung hätte, haben im Lehrplan der rechtwissenschaftlichen Fakultäten wohl keinen Platz.
Ganz überholt ist der Satan trotzdem nicht. Immanuel Kant (1724-1804), der Königsberger Meisterdenker, erklärte immerhin: "Das Problem der Staatseinrichtung ist, so hart wie es auch klingt, selbst für ein Volk von Teufeln auflösbar […]", soweit sie sich – grob formuliert – in der Öffentlichkeit Gesetzen unterwerfen, als ob sie insgeheim keine bösen Gesinnungen hätten.
Wenn also schon mit Teufeln ein gescheiter Staat zu machen ist und bereits mittelalterliche Jungjuristen lernten, dass der Satan bei billig und gnädig durchgeführten Prozessen den Kampf um die Seelen stets verliert – wie kommt man dann heute eigentlich wieder dazu, weite Teile der Menschheit als staats-, vernunft- oder demokratieunfähig zu verteufeln?
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs bei Solingen.
Martin Rath, Juristenausbildung im Mittelalter: Ein Moot Court mit dem Teufel . In: Legal Tribune Online, 01.05.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19257/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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