In manchen wohlhabenden Großstadtquartieren Deutschlands werden heute die Zwillings- von den Drillingskinderwagen überholt. Zum Bedürfnis, sich fortzupflanzen, hat Martin Rath einiges an juristischer Literatur entdeckt.
Das Bedürfnis, sich nicht fortzupflanzen, hat auf den ersten Blick von jeher mehr juristische und rechtspolitische Literatur hervorgebracht, als der Kinderwunsch. In den USA wird beispielsweise seit der zentralen Entscheidung zur Freigabe des Schwangerschaftsabbruchs im Jahr 1973, dem Fall "Roe v Wade", ebenso wortreich wie erbittert gestritten.
Der SED-Staat führte 1972 die sogenannte Fristenlösung ein, sicher nicht zuletzt, um moderner dazustehen als der freie Westteil Deutschlands und das Image der DDR in den westlichen Medien zu verbessern. Im wiedervereinigten Deutschland hat die - angesichts des Rechtsguts "menschliches Leben" - etwas merkwürdige Formel von 1992, "rechtswidrig aber nicht strafbar", die rechtspolitische Diskussion beruhigt.
Unabhängig vom ethischen und praktischen Standpunkt in der Sache hat diese nachlassende Aufmerksamkeit die angenehme Seite, dass Juristen über das Bedürfnis, sich nicht fortzupflanzen, heute nicht mehr so viel schreiben, wie sie es noch im Kaiserreich sowie in der ersten deutschen Republik, dem Deutschen Reich zwischen 1918/19 und 1933 taten.
Damals blieb kaum ein engagierter liberaler oder linker Strafverteidiger unberührt von Verfahren zum § 218 Strafgesetzbuch, der in seiner ursprünglichen Fassung von 1872 fünf Jahre Zuchthaus vorsah. So zog die oft verstümmelnde und illegale Methode der Familienplanung in den Küchen der Arbeiterviertel eine schier unübersehbare Masse an rechtspolitischen Zeitungsartikeln und Broschüren aus der Feder von Anwälten und Ärzten nach sich.
Fortpflanzung aus juristischer Sicht
Der Umstand, dass die juristische Publizistik von jeher stark vom menschlichen Bedürfnis eingenommen war, keine Kinder zu bekommen, führt leicht dazu, die eher seltenen Fundstücke zu übersehen, die vom entgegengesetzten Bedürfnis handeln. Leider bricht sich das besagte Bedürfnis, sich fortzupflanzen, ja ohne juristische Zutaten Bahn, so dass man kaum auf rechtshistorische Dokumente trifft. Das ist schade, denn jedenfalls bei den frühen juristischen Erwägungen zur Reproduktionsmedizin wird es komisch.
Im Jahr 1945 trafen sich in Chicago erstmals Mediziner und Juristen zusammen, um sich über die praktischen wie juristischen Aspekte der Fortpflanzungsmedizin zu verständigen. Einer, der von beidem etwas verstand, der US-amerikanische Rechtsanwalt und Arzt Alfred Koerner, veröffentlichte drei Jahre später einen Aufsatz unter dem Titel "Medicolegal Considerations in Artifical Insemination", der einige recht putzige, wenn nicht kuriose Überlegungen zur damals aufkeimenden jungen Reproduktionsmedizin enthält. Zu finden ist dieser Aufsatz in der "Louisiana Law Review" von 1948, S. 484-503.
Koerner trug beispielsweise zum Frauenüberschuss im Vereinigten Königreich, bedingt durch den Tod von rund 270.000 britischen Soldaten während des soeben zu Ende gegangenen Zweiten Weltkriegs folgende Idee vor: "Künstliche Besamung ist selbstverständlich der schnellste und intelligenteste Weg, ein Land, das seiner Männer beraubt ist, schnellstmöglich und in einer ebenso ordentlichen wie eugenischen Weise wieder aufzubauen."
Nun mag der brave Gesetzespositivist denken, dass derlei in britischen Gesetzblättern nie geregelt wurde, es mithin nie zum juristischen Problem wurde. Doch erschöpfte sich Koerner nicht in derlei liebreizenden bevölkerungspolitischen Befruchtungsphantasien, die in Anbetracht des Organs - einer rechtswissenschaftlichen Zeitschrift - komisch genug sind. Von größerem Gewicht waren dem US-amerikanischen Mediziner und Anwalt die eigentlich juristischen Aspekte der künstlichen Besamung.
Fortpflanzungsmedizin und Recht: . In: Legal Tribune Online, 14.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15850 (abgerufen am: 13.12.2024 )
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