Ehrverletzung von Politikern: Wie wahre Maje­s­täten belei­digt werden

von Martin Rath

01.12.2024

Gegen Strafverfahren wegen der gekränkten Ehre prominenter Politiker wird nicht selten polemisiert, sie beruhten auf der Rechtsidee der "Majestätsbeleidigung". Historische Fürsten und Hofjuristen hätten darüber nur müde gelächelt.

Im September 1896 erschien in der Magdeburger Tageszeitung "Volksstimme" ein Artikel über eine große Jagdgesellschaft, die für den Herbst des Jahres geplant war. 

Zu diesem Anlass hatte man bereits rund 200 Wildschweine eingefangen, deren Schicksal es sein würde, einigen der edelsten Männer Deutschlands vor die Flinte zu laufen.

Im Beitrag der "Volksstimme" hieß es dazu, dass hier "das Abschlachten der Wildsauen, eine greuliche Metzgerarbeit, verübt an hilflosen und abgetriebenen Tieren" vorbereitet werde.

Die Staatsanwaltschaft Magdeburg erhob Anklage gegen den verantwortlichen Redakteur Karl John nach § 95 Strafgesetzbuch (StGB) a.F., weil dieser gewusst habe, dass Kaiser Wilhelm II. (1859–1941) an der Jagd teilnehmen werde. Im Wortlaut gab § 95 StGB in seiner seit 1876 gültigen Form vor:

"(1) Wer den Kaiser, seinen Landesherrn oder während seines Aufenthalts in einem Bundesstaate dessen Landesherrn beleidigt, wird mit Gefängniß nicht unter zwei Monaten oder mit Festungshaft von zwei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Neben der Gefängnißstrafe kann auf Verlust der bekleideten öffentlichen Ämter, sowie der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte erkannt werden."

Nach Antrag der Staatsanwaltschaft sollte Karl John zu zwei Jahren Haft verurteilt werden, weil er mit seinen Worten den Deutschen Kaiser und König von Preußen als eine Art Schlachtergesellen beleidigt habe. Verurteilt wurde der Journalist schließlich zu "nur" neun Monaten Gefängnis.

Die liberale "Frankfurter Zeitung" monierte, damit sei die "indirekte Majestätsbeleidigung" erfunden worden. Der spätere Reichsjustizminister Otto Landsberg (1869–1957), Karl Johns Strafverteidiger, hatte zutreffend, aber erfolglos argumentiert, dass nach dieser Auffassung des Gerichts niemand mehr gegen die Todesstrafe oder den Krieg eintreten dürfe, wenn sein Fürst dafür sei.

Anzeichen einer unsicheren Herrschaft – Majestätsbeleidigung im Kaiserreich

Noch härter als Karl John traf es später seinen "Volksstimme"-Kollegen Albert Schmidt (1858–1904), der neben seinem Brotberuf als Redakteur auch sozialdemokratischer Stadtverordneter in Magdeburg und seit 1890 Abgeordneter des Reichstags war. Was das ökonomisch hieß, wissen heute nur noch wenige: Die Reichsverfassung verbot bis 1906 die Zahlung von Diäten, bis ins Jahr 1900 kondizierte der preußische Staat als illegale Bereicherung gelegentlich sogar Parteigelder, wenn sie gezahlt wurden, um einem Abgeordneten seine Tätigkeit zu finanzieren.

Schmidt wurde im Jahr 1899 zur Last gelegt, eine auf den ersten Blick harmlose Fabel in den Druck gegeben zu haben, von der Zeitgenossen auch hier wieder erklärten, dass die Strafkammer erst durch ausführliche Interpretation zu Ungunsten des Anklagten eine indirekte Beleidigung von Kaiser und König habe entdecken können.

Schmidt wurde zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, seine Mandate wurden ihm aberkannt. Nach Verbüßung der Haft sorgte die SPD zwar dafür, dass er wieder ins Magdeburger Kommunalparlament und in den Berliner Reichstag einzog. Seine wirtschaftliche Situation blieb aber offenbar prekär. 1904 nahm Schmidt sich das Leben.

Neben Vertretern der sozialdemokratischen Presse waren auch Mitarbeiter liberaler Zeitungen betroffen, nicht zu vergessen die satirischen Blätter. Wer sich journalistisch noch nicht profiliert hatte, begann regelmäßig seine Berufslaufbahn oft als formal verantwortlicher "Sitzredakteur" – man übernahm gleichsam stellvertretend für die in der Sache involvierten Kollegen das Risiko, eine Haftstrafe wegen Pressedelikten anzutreten.

Weil ausgerechnet die Redakteure satirischer Blätter relativ selten, dann auch meist nur zu Geldstrafen verurteilt wurden, haben die Verfahren wegen Majestätsbeleidigung im historischen Gedächtnis gern einen Zug ins Komische.

Wegen Majestätsbeleidigung wurden während der Amtszeit Kaiser Wilhelms II., 1888 bis 1918, aber nicht weniger als 12.000 Anklagen erhoben, es kam zu mehr als 9.200 Verurteilungen. Wer ernsthaften Journalismus betrieb, noch dazu für die sozialdemokratische Presse, musste mit existenzgefährdenden Strafen rechnen – selbst wenn derart dramatische Folgen wie im Fall Schmidt selten blieben.

Am Beginn steht nicht die Majestät eines Fürsten

Von Verfahren wegen Majestätsbeleidigung waren im Kaiserreich viele Journalisten, Künstler und Politiker betroffen.

Der Dramatiker Frank Wedekind (1864–1918) musste beispielsweise zwischen September 1899 und Februar 1900 fünf von sechs Monaten Festungshaft verbüßen, weil sein Gedicht "Im heiligen Land" die Palästinareise Kaiser Wilhelms im Jahr 1898 strafwürdig karikiert hatte. Kurt Eisner (1867–1919), der sozialistische Gründungsvater des "Freistaats" Bayern, wurde 1897 als Feuilletonredakteur zu neun Monaten Gefängnis verurteilt – ein Anlass für die SPD, um ihn zu werben.

Das Delikt der Majestätsbeleidigung zählte zwar in der deutschen Geschichte der vergangenen 150 Jahre zum Kernbestand der politischen Strafjustiz, bezweckte aber nicht immer, das Lametta von Fürsten und anderen, ganz besonders edlen Pickelhaubeninhabern vor bösem Spott zu bewahren.

Im antiken römischen Recht, diesem unvermeidbaren Ausgangspunkt vieler moderner juristischer Formen, galt zunächst die "maiestas populi" als das geschützte Rechtsgut der Majestätsverbrechen. Unter sie fielen nicht allein lästerliche Worte, sondern vielmehr das Handeln gegen die politische Ordnung der "res publica", beispielsweise die Konspiration mit äußeren Feinden oder der Aufruhr gegen gewählte Beamte des römischen Staates.

Mit der Machtübernahme durch die Cäsaren, mit dem ersten römischen Kaiser Augustus (63–14) begann der Zuschnitt auch auf die Person des Herrschers und seiner Familie.

Bis in die Neuzeit blieben die Constitution des Kaisers Theodosius aus dem Jahr 393 und die Lex Arcardia seiner Söhne Honorius und Arkadius eine wichtige normative Grundlage. Einerseits drohten wegen Worten und Taten gegen den Herrscher drakonische Strafen – Schwert, Feuer, Galgen, Deportation. Andererseits erlaubte dies den Fürsten, sich gnädig gegenüber Missetätern zu zeigen – oder sogar böse Zungen aus dem einfachen Volk ganz einfach zu ignorieren, um den Leuten zu zeigen, dass sie für eine Bestrafung gar nicht ernst genug zu nehmen sind.

Grausam wurde es aber, wenn die Machthaber Nerven zeigten.

Weil sie ein Flugblatt zu verantworten hatten, auf dem eine Abbildung vom Reiterdenkmal König Ludwigs XIV. (1638–1715) an der Place des Victoires derart karikiert wurde, dass sich der Fürst von seinen vier stadtbekannten Mätressen in Ketten gelegt sah, wurden im November 1694 der Drucker und sein Lehrling vor dem Pariser Rathaus gehängt. Mit Blick auf solche Akte fürstlicher Gewaltherrschaft plädierte der Richter und Philosoph Montesquieu (1689–1755) in seinem "Geist der Gesetze" (1748) mit der antiken Lex Arcadia: Wer aus Leichtsinn die Majestät des Staates beleidigt habe, solle nur verachtet werden, man solle ihm verzeihen. Der kluge Fürst werde die Worte nach der Person würdigen, dann beurteilen, ob sie der Justiz übergeben oder ignoriert werden solle.

Dogmatisch werden Vorschriften wie §§ 90 Abs. 4, 194 StGB heute nicht mehr damit begründet, dass die hohen Herren und Damen durch ein Absehen von Strafverfolgung ihr eigenes Ansehen steigern könnten – so, wie es die aus der Antike stammende, vom absolutistischen Staat übernommene Idee vorsah, im Fall einer Majestätsbeleidigung zu unterscheiden: Zwischen wahren Staatsgefährdern einerseits, vor allem solchen, die in Gruppen auftreten, andererseits Lästermäulern, an denen man entweder Gnade vor Recht inszenieren oder die man andererseits noch nicht einmal zur Kenntnis nehmen wollte.

Die öffentliche Diskussion zum Anzeigeverhalten hochrangiger Politiker folgt aber nach wie vor dieser im vierten Jahrhundert nach Christus formulierten Logik – von vielen Strafanträgen in der Zeit Konrad Adenauers über die gemütlicheren Jahre Helmut Kohls und Angela Merkels zum jetzt wieder anzeigefreudigen politischen Personal.

Eine andere alte Logik der Majestätsverbrechen

Als Oberbegriff nicht nur für kommunikative, sondern für handgreifliche Straftaten gegen die legitime Herrschaft erfüllten die Majestätsverbrechen in einer mehrere Jahrhunderte anhaltenden Diskussion noch eine weitere Funktion, die bis heute vertraut wirkt.

Eine starke moralische Aufladung hatte das Delikt aus heidnischer Zeit durch christliche Strafrechtsgelehrte erfahren, die in der biblischen Überlieferung den Sinn des gegenwärtigen Rechts suchten. Benedikt Carpzov d. J. (1595–1666), ein einflussreicher, jedenfalls vielzitierter Jurist seiner Epoche, befand beispielsweise, dass der verbale, erst recht der tätliche Angriff auf den Landesherrn das schlimmste Verbrechen überhaupt sei. Denn mit dem Angriff auf den Machthaber begehe der Verbrecher auch einen Akt der Gotteslästerung, sei die Herrschaft doch von Gott eingesetzt. Es sei ein Vatermord am Landesvater, ein Betrug, weil er diesem Treue schulde, und ein Verbrechen gegen die Natur, weil ein Hirte nie von seiner Herde angegriffen werde.

Verfahrensrechtlich spiegelte sich die Ungeheuerlichkeit des Majestätsverbrechens in einer Ausweitung von Kompetenzen der Justiz wider, den sogenannten Singularitäten: Die Folter, eigentlich nur unter sehr engen Voraussetzungen zulässig, durfte früher angewendet werden, ein Unterschied zwischen vollendeter und versuchter Tat, zwischen Mitwisserschaft und Beteiligung wurde nicht gemacht, sonst unzulässige Zeugen konnten gehört werden, Verteidigungsrechte wurden verkürzt.

Heute kennen Juristinnen und Juristen ein Konstrukt, das diesen "Singularitäten" jedenfalls entfernt familienähnlich ist, unter dem mehr handwerklichen Begriff “Türöffner”– Vorschriften des materiellen Strafrechts wie § 129a StGB dienen, wegen der Ungeheuerlichkeit des pönalisierten Delikts, dazu, strafprozessuale Mittel anwenden zu dürfen, die für weniger gut skandalisierbare Straftaten als nicht notwendig gelten.

Sogar im Parlament ist über den Kaiser zu schweigen 

Viele Menschen des 19. Jahrhunderts durften sich als liberal und progressiv verstehen, weil sie die Möglichkeiten des absolutistischen Justizterrors hinter sich gelassen hatten. Vom Galgen in Frankreich bis zur willkürlichen Haft in Württemberg – ein scharfer Witz, etwa über die Mätressen des Landesherren konnte genügen, menschliche Existenzen zu vernichten.

Die Deutschen des ausgehenden 19. Jahrhunderts mussten sich als etwas weniger liberal und fortschrittlich sehen, weil ihre Fürsten es mit dem Ehrenschutz enger sahen als die sehr nachlässige, in Großbritannien regierende blaublütige Verwandtschaft. Die "Royals" waren schon damals in Sachen Public Relations eine sehr gewiefte Familie.

Sogar im Reichstag, insoweit keine Anstalt der freien parlamentarischen Rede, verbat man sich zwischen 1871 und 1918 jedes Wort der Kritik am Kaiser. Vorgänge wie in Magdeburg kamen zur Sprache. Die Reichweite des verbotenen Worts durch protokollierte Äußerungen von Abgeordneten zu erhöhen und von Strafverfolgung auszunehmen, scheiterte aber oft am strikten Geschäftsordnungsregime konservativer Parlamentspräsidenten. Immerhin kam es nicht so weit, die freisinnigen und sozialdemokratischen Abgeordneten auch noch einer parlamentsinternen Strafgewalt wegen missliebiger Äußerungen zu unterwerfen.

Der SPD-Reichs- und Bundestagsabgeordnete Paul Löbe (1875–1967), auch er ein wegen Majestätsbeleidigung Verurteilter, erinnerte sich aber an eine Rede des Reichskanzlers Bernhard von Bülow (im Amt 1900–1909):

"Bülow hielt eine Rede gegen die Extremen auf der Rechten, die seine Außenpolitik angriffen. Er bemerkte, mit schmetternden Reden und Säbelklirren erleichtere man nicht die Aufgaben der deutschen Politik. In die Atempause, die nun folgte, erklang laut und vernehmlich das drastische Berlinisch Adolph Hoffmanns: 'Det saren Se man Ihren Chef!' Da blieb selbst Bülow die Luft weg. Die Rechte war empört, und auch die Linke traute sich nur leise zu kichern ob solcher haarsträubenden Verletzung der gebotenen Ehrfurcht vor Seiner Majestät."

Hinweise (Auswahl): Helga Schnabel-Schüle: "Das Majestätsverbrechen als Herrschaftsschutz und Herrschaftskritik", Zs. Aufklärung 7 (1994) Heft 2, S. 29–47.  Georg Prick: "Die Anwaltstätigkeit des späteren Reichsjustizministers Otto Landsberg von 1895 bis 1919 in Magdeburg – Grundlage für eine politische Karriere, in: Ministerium für Justiz und Verbraucherschutz des Landes Sachsen-Anhalt (Hg.): Jüdische Juristen auf dem Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalt, 2022, S. 38–55 [online]. Jörg-Uwe Fischer: "Majestätsbeleidigung im Reichstag: 'Eine solche Verletzung der monarchischen Gefühle der Majorität des Reichstags ...'". Zs. für Parlamentsfragen 33 (2002), S. 573–588.
 

Zitiervorschlag

Ehrverletzung von Politikern: . In: Legal Tribune Online, 01.12.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55990 (abgerufen am: 24.01.2025 )

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