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Maggi für Juristen: Bloß eine braune Würz­soße mit Muff­ge­ruch?

von Martin Rath

24.10.2021

Maggi im Wandel der Zeit

picture-alliance / akg-images | akg-images

Vor 175 Jahren kam der Schweizer Unternehmer Julius Maggi (1846–1912) zur Welt. Sein Unternehmen hat auch im Recht Spuren hinterlassen.

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Leider ließen sich die Gerichte im Fall der Würzsoße die Chance entgehen, die Beziehung zwischen Poesie und Verbrechen endlich einmal befriedigend aufzuklären. 

Nachdem Frank Wedekind (1864–1918) gegen den Wunsch seines Vaters ein Studium der Rechtswissenschaften abgebrochen hatte, hielt sich der später sehr bedeutende Dramatiker unter anderem mit der Produktion von Reklamegedichten wirtschaftlich über Wasser – bis heute ist das eine beliebte Quelle für Anekdoten unter Angehörigen der Werbewirtschaft, die im Leben höhere Ziele verfehlt haben. 

Angesichts der im Werk Frank Wedekinds prominenten Vater-Sohn-Konflikte sticht hier aus seinem werblichen Œuvre ein Gedicht besonders hervor: 

Vater, mein Vater! / Ich werde nicht Soldat, / Dieweil man bei der Infantrie / Nicht Maggi-Suppen hat! 

Söhnchen, mein Söhnchen! / Kommst du erst zu den Truppen, / So ißt man dort auch längst nur Maggi's / Fleischconservensuppen. 

Würdigung der Würzsoße durch Bundeswehrangehörigen 

Diese lyrische Leistung Wedekinds wirkt mit Blick in ein Urteil des Bundesdisziplinarhofs vom 13. Januar 1965 beinah prophetisch. 

Dem Beschuldigten wurde der Versuch zur Last gelegt, in seiner Funktion als Verpflegungsunteroffizier einer Heeresfliegerstaffel während eines NATO-Manövers zwischen dem 20. und 28. September 1962 mehr als 40 Dosen Ölsardinen, Erbsen und Karotten, mehrere Pfund Puddingpulver und Suppennudeln zu entwenden – und eben auch eine Flasche Maggi. Man hatte also sogar die Niederungen der Infanterie verlassen. 

Die Berichterstattung über das Manöver unter der Bezeichnung "Fallex 62" sollte als Auslöser der sogenannten "Spiegel-Affäre" Presserechtsgeschichte schreiben. In der Sache des Heeresfliegerfeldkochs hatte der Bundesdisziplinarhof derweil nur damit zu tun, das harte Urteil der Vorinstanz – Entfernung aus dem Dienst – abzumildern (Urt. v. 13.01.1965, Az. II (I) WD 119/64). 

Weitere Fälle mit Würzsoßen- und Konservenbezug 

Die Gelegenheit, die einst von Frank Wedekind und der Firma Maggi hergestellte Abhängigkeit der Wehrkraft von der vorgefertigten Würzsoße und das Verhältnis von Soße und Poesie zu prüfen, ließ sich das Gericht leider entgehen. 

In einer kurzen Darstellung ihrer Geschichte legt auch die Firma selbst Gewicht nur auf die eher friedfertigen, ja humanistischen Züge ihrer Fabrikation.  

Seit dem Jahr 1882 habe sich Maggi "außergewöhnlich zum Wohl der Menschen [engagiert] und verwendet Leguminosen (eiweißhaltige Hülsenfrüchte), um Fabrikarbeitern nährstoffreiche, preiswerte Lebensmittel zur Verfügung stellen zu können". 

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) finden sich jedoch Hinweise, die es erlauben, die Firmengeschichte über den steten Fortschritt vom Hülsenfruchtmehl über die Würzsoße zum Brühwürfel hinaus ein wenig zu verfeinern. 

Folgender Fall erlaubt, diese Spur aufzunehmen: Eine 1894 geborene Frau hatte 1929 ihre Maggi-Laufbahn im ostpreußischen Königsberg begonnen und war 1940 nach einem Intermezzo in der Berliner Niederlassung in die Kleinstadt Planá bei Marienbad gelangt – gelegen im 1938 vom Deutschen Reich annektierten Sudetenland. Der dortige Maggi-Betrieb endete spätestens 1946 mit der Vertreibung. 

In mehreren Anläufen stritt die vormalige Maggi-Beschäftigte um eine Entschädigung nach dem Lastenausgleichsgesetz, wobei unter anderem die Frage zu klären war, ob der Verlust ihrer wirtschaftlichen Existenz auf Flucht und Vertreibung zurückzuführen war. Das wiederum konnte von dem Befund abhängen, ob ihr Beschäftigungsverhältnis weiterhin der Berliner Maggi-Zentrale oder ihrem letzten Arbeitsplatz zu Kriegszeiten im nunmehr wieder tschechoslowakischen Planá u Mariánských Lázní zuzurechnen war. Das Bundesverwaltungsgericht gab der Vorinstanz auf, diesen Aspekt in der Würdigung des Vertreibungsschadensgeschehens näher zu prüfen (Urt. 10.07.1964, Az. IV C 146.63). 

Die geographischen Stationen in der Maggi-Laufbahn der Klägerin – Königsberg, Berlin, das böhmische Planá und das baden-württembergische Singen – wirken wahllos, passen aber konsequent zum Engagement des ursprünglich Schweizer Unternehmens in der deutschen Kriegswirtschaft. 

Bereits vor 1933 in fragwürdige Verhältnisse verstrickt, fand die Firma Maggi während des Kriegs in der Wehrmacht einen wichtigen Abnehmer und beutete Zwangsarbeiter aus. Deren Entschädigung wurde, anders als jene der ostpreußischen Maggi-Mitarbeiterin, bis auf Weiteres kein Anliegen von rechtlichem Interesse. 

Harmlosere Prominenz im Nachkriegsrecht 

Arbeiterinnen kannten Maggi aus der eigenen Küche, auch Bürgersöhne spätestens vom Wehrdienst – die Marke hatte im Publikum einen sehr hohen Bekanntheitsgrad, zu dem Anfang der 1960er Jahre noch eine spezifisch juristische Prominenz hinzukam. 

In einem bekannten Urteil vom 10. Januar 1964 entschied der Bundesgerichtshof (BGH) über ein Anliegen des Unternehmens im seinerzeit weit verbreiteten System der sogenannten Preisbindung zweiter Hand: Als Hersteller der bekannten Maggi-Markenartikel hatte das Unternehmen mit seinen Großhändlern vertraglich vereinbart, dass diese die Produkte nur an Einzelhändler abgeben würden, die sich ihrerseits der Pflicht unterwarfen, Maggi-Markenerzeugnisse zu einem gebundenen Endverbraucherpreis zu verkaufen. 

Dieses heute noch aus dem Absatz von Büchern und Zeitschriften bekannte System der vertikalen Preisbindung war bis 1974 auch für sonstige Markenartikel bedingt zulässig und weit verbreitet. In seinem "Maggi"-Urteil klärte der BGH noch einmal darüber auf, dass er Versuche, den gebundenen Preis zu unterbieten – eine lückenlose Überwachung der Preisbindung zweiter Hand etwa durch den Markeninhaber vorausgesetzt –, weiterhin als wettbewerbswidrig sah (BGH, Urt. v. 10.01.1964, Az. Ib ZR 78/62). 

Wegen eines sittenwidrigen Zusammenwirkens von Zwischenhändler und Endverkäufer sollte dem Berechtigten – in der Regel dem Hersteller und Markeninhaber – ein Auskunftsanspruch gegen den Endverkäufer über seinen Absatz zustehen. Weil zwischen dem Hersteller und einem der damals noch recht weit verbreiteten kleinen Einzelhandelsgeschäfte hier meist keine direkte Vertragsbeziehung vorlag, war dieser Auskunftsanspruch nicht nur ein zunächst rechtsdogmatisches Problem gewesen, es war auch gehäuft zu Konflikten wegen heimlicher Testkäufer und dem Versuch mancher Tante-Emma-Ladeninhaber gekommen, sie über das Hausrecht am Betreten des Geschäftslokals zu hindern. 

Juristischer Sinn für olfaktorische Kategorien 

Nach dem weitgehenden Ende der Preisbindung zweiter Hand scheint die Prominenz dieses Maggi-Urteils unter Juristinnen und Juristen ein wenig nachgelassen zu haben. In einer ästhetischen Frage könnten sie sich jedoch weiterhin von der Marke herausgefordert fühlen. 

Durch die seit über 120 Jahren etablierte Verbreitung der Würzsoße wird ihr Geruch bzw. Geschmack inzwischen mitunter als repräsentativ für ähnliche olfaktorische Wahrnehmungen gesetzt. 

So hatte das Oberlandesgericht (OLG) Hamm 2012 in einem Rechtsstreit über die Qualität von industrieller Milchsäure zu entscheiden, die unter anderem zur Herstellung von WC-Reinigern geeignet sein sollte. Hier führte die Klägerin an, dass sich Endverbraucher beschwert hätten, das Reinigungsmittel weise einen "sehr strengen Eigengeruch" nach Maggi oder Katzenurin auf (OLG Hamm, Urt. 26.03.2012, Az. I-2 U 222/11). 

Keine 200 Kilometer weiter südlich, vermutlich durch den geruchsästhetischen Feinsinn der ortsansässigen Winzer geprägt, drückte man sich in Koblenz beim Streit um einen "muffigen" Geruch etwas freundlicher aus, der sich in einer Weinabfüllanlage unter den dort eingesetzten Aluminiumkapseln bemerkbar mache: dieser Muff rieche "nach Liebstöckel (Maggi-Geruch)" (OLG Koblenz, Urt. 10.04.2006, Az. 12 U 190/05). 

Hier gilt es nun, künftig nicht wahllos Geruchsurteile abzugeben. Denn etwa in einem Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. April 2008 wird absolute Armut damit illustriert, dass die tägliche Nahrung des Antragstellers neben ein bis zwei Scheiben Brot allein aus einem Maggi-Produkt bestehe (Az. L 7 B 20/08 AS ER). 

Juristinnen und Juristen, die nicht den Eindruck vermitteln möchten, dass sie ihr Geschmacksurteil in der Küche der Arbeiterklasse oder im Dunst ausgebildet haben, den die Gulaschkanonen von preußischem Heer, Wehrmacht oder Bundeswehr verbreiteten, sollten daher im Bedarfsfall ihre olfaktorischen Anmutungen bei Gericht wohl besser nur mit "Levisticum officinale" – Liebstöckel – beschreiben. 

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Zitiervorschlag

Maggi für Juristen: . In: Legal Tribune Online, 24.10.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46434 (abgerufen am: 20.05.2025 )

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