Vor 70 Jahren brachte das Bundesarbeitsgericht die Revolution und fällte ein zentrales Urteil zur Lohngleicheit zwischen Frau und Mann. Warum die Geschlechterungleichheit danach dennoch nicht endete, erzählt Martin Rath.
In der Sache war die bayerische Justiz selbst Partei – ein Umstand, der nicht selten Grund dafür gibt, es rechtlich ganz genau und von höchster Stelle wissen zu wollen.
Seit November 1949 war die spätere Klägerin als Reinigungskraft beim Arbeitsgericht Würzburg, Zweigstelle Schweinfurt, beschäftigt worden. Der Dienstvertrag verwies dabei auf die noch aus der NS-Zeit stammende Tarifordnung für den öffentlichen Dienst. Gelten sollte für das Arbeitsverhältnis künftig dann der demnächst zwischen der nun wieder freien Gewerkschaft und dem Arbeitgeber geschlossene neue Tarifvertrag.
Im vierten Beschäftigungsjahr wies das für die Justizbehörde zuständige Rechnungsprüfungsamt darauf hin, dass die weibliche Reinigungskraft zu hoch entlohnt werde. Denn im einschlägigen Tarifvertrag zwischen der Tarifgemeinschaft deutscher Länder und der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) sei festgelegt worden, dass ihr nur 90 Prozent des Stundenlohns eines männlichen Arbeiters zustehe.
Mittels Änderungskündigung, bei im Übrigen fortgesetzten Arbeitsverhältnis, wurde diese Entgeltregelung gegenüber der Frau durchgesetzt, die daraufhin auf die Feststellung klagte, dass ihr weiterhin der volle Lohn ihrer Tarifgruppe zu zahlen sei.
Während das Arbeitsgericht Würzburg die Klage abwies, gab das Landesarbeitsgericht Bayern ihr statt, die Revision zum Bundesarbeitsgericht wurde angesichts der noch neuen Rechtsfragen zugelassen.
Differenzierung nur nach dem Geschlecht ist unzulässig
Unstrittig war zwischen den Parteien, dass die Frau in die Lohngruppe für "alle Arbeiter mit einfachen Tätigkeiten" fiel, "die eine handwerkliche oder besondere Anlernung nicht erfordern, insbesondere auch Hausarbeiter, Boten, Reiniger von Treppen und dergleichen".
Nach der tarifvertraglichen Regelung zwischen der öffentlichen Hand und der Gewerkschaft ÖTV sollten Arbeiterinnen nur dann den vollen Stundenlohn für Männer erhalten, wenn ihre Leistungen jenen der Männer "gleichwertig" sind – anderenfalls war der Tarif von 90 Prozent einschlägig.
Mit Urteil vom 6. April 1955 (Az. 1 AZR 365/54) erklärte das Bundesarbeitsgericht (BAG), dass zunächst schon nicht einzusehen sei, warum die Klägerin nur diesen niedrigeren Lohn erhalten sollte – selbst wenn die genannte tarifvertragliche Regelung rechtmäßig sein sollte. Denn nach den Feststellungen der Vorinstanz sei klar, dass die Klägerin die gleiche Leistung wie männliche Arbeiter erbringe, die in ihre Lohngruppe fielen. Es fehle auch an Hinweisen darauf, dass im konkreten Fall die Leistungen der Frau jenen eines männlichen Arbeiters nicht gleichwertig seien.
Doch das erst seit dem April 1954 tätige BAG blieb in dieser grundsätzlichen Sache nicht bei einer derart verfahrensökonomischen Erkenntnis stehen, sondern stellte darüber hinaus fest, dass die einschlägige 90-Prozent-Regelung des Tarifvertrags nach seiner jüngsten Rechtsprechung auch wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 2 und 3 Grundgesetz (GG) nichtig ist.
Die entsprechenden Leitsätze des Urteils erklärten: "Eine Tarifklausel, die generell und schematisch weiblichen Arbeitskräften bei gleicher Arbeit nur einen bestimmten Hundertsatz der tariflichen Löhne als Mindestlohn zubilligt, verstößt gegen den Lohngleichheitsgrundsatz und ist nichtig." Und: "Es verstößt gegen den Lohngleichheitsgrundsatz, den gleichen Lohn nur unter der Voraussetzung der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit der Frauenarbeit zu gewähren."
In der seinerzeit – wegen vieler betroffener Tarifverträge – heiklen Frage, welche Regelung anstelle der nichtigen Norm zu gelten habe, gab das BAG hier den Arbeitgebern der öffentlichen Hand zudem noch den zarten Hinweis mit auf den Weg, dass für sie eine besondere Pflicht zur Verfassungstreue gelte. Damit kam das Gericht zügig zum Schluss, dass der 100-Prozent-Tarif anzusetzen sei, nicht irgendeine weiter zu klärende Lösung.
Als typische Entscheidung des 1. Senats unter Vorsitz seines ersten BAG-Präsidenten Hans Carl Nipperdey (1895–1968) ging das Urteil auch in weiteren Fragen ins sehr Grundsätzliche. Beispielsweise erklärte es, konform mit der zwischenzeitlichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass es Sache der Arbeitsgerichte ist, die Verfassungsmäßigkeit von Tarifverträgen zu überprüfen, sodass eine Vorlage an das Karlsruher Gericht nach Art. 100 Abs. 1 GG unzulässig sei.
Sache der Frauen als Testfall für die Reichweite der Grundrechte
Nipperdey, der zu den wirkungsmächtigsten Richtern der Bundesrepublik Deutschland gezählt werden darf, deklinierte mit "seinem" Gericht nicht zuletzt seinen rechtlichen Standpunkt zur Frage durch, welche Rolle die Grundrechte über den Schutz des Bürgers vor staatlicher Gewalt hinaus einnehmen sollten.
In einem Rechtsgutachten des Instituts für Handels- und Wirtschaftsrecht der Universität Bonn vom 23. Mai 1950 vertraten etwa die Professoren Walter Schmidt-Rimpler (1885–1975), Paul Gieseke (1888–1967), Alexander Knur (1897–1987) und der spätere Richter des Bundesverfassungsgerichts Ernst Friesenhahn (1901–1984) ausdrücklich gegen Nipperdey einen restriktiven Ansatz.
Der Parlamentarische Rat habe zwar, erkannte das Gutachten an, den Grundsatz der Entgeltgleichheit bei gleicher Arbeit als Fall der Gleichberechtigung der Geschlechter gesehen, fraglich bleibe aber seine Anwendbarkeit.
Nach Auffassung der Bonner Professoren sollten die Grundrechte, insbesondere der Satz zur Gleichberechtigung von Mann und Frau, regelmäßig auf das hoheitliche Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen Staat und Individuum beschränkt bleiben.
Solange der Staat dies nicht konkret durch Gesetz untersage, müsse es auch den Tarifvertragsparteien – deren Verhältnis die Gelehrten als mehr privatrechtliches sahen – erlaubt bleiben, kollektivvertragliche Regelungen zu treffen, ohne Rücksicht auf den Gleichbehandlungsgrundsatz von Artikel 3 Abs. 2 und 3 GG zu nehmen. Sogar eine Allgemeinverbindlicherklärung solcher Tarifverträge durch den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung bleibe trotz Geschlechterdifferenzierung zulässig.
Das Bonner Gutachten war nicht einmal das radikalste
Im juristischen Meinungsstreit, wie weit die Rechtsordnung durch den Satz "Männer und Frauen sind gleichberechtigt", umzugestalten sei, nahm das Gutachten seinerzeit noch nicht einmal die radikalste Position ein.
In einer thematisch verwandten Auseinandersetzung um die künftige beamtenrechtliche Stellung von Frauen vertrat beispielsweise Walter Jellinek (1885–1955) die Auffassung, dass die sogenannte Zölibatsklausel, nach der weibliche Beamte zu entlassen waren, wenn sie durch Ehe einen hinreichenden anderweitigen Unterhaltsanspruch erworben hatten, auch unter Geltung des Grundgesetzes Bestand habe, weil sie als "hergebrachter Grundsatz" des Beamtenrechts nach Art. 33 Abs. 5 GG gelten könne und im Übrigen auch dem Schutz von Ehe und Familie, Art. 6 Abs. 1 GG diene, der einer Beschäftigung von Müttern und Hausfrauen in hoheitlichen Funktionen entgegenstehe.
Auch ausgesprochen konservative Rechtsgelehrte widersprachen solchen Auffassungen jedoch schon 1950. Wilhelm Grewe (1911–2000) wies etwa darauf hin, dass es mit Blick auf den verfassungsrechtlichen Schutz der Ehe kurios sei, wenn Beamtinnen vor die Wahl zwischen einer Heirat und der Fortsetzung ihres Dienstes gestellt würden.
Ein weiteres Kuriosum, das die Autonomie juristischen Denkens belegen mag: Camilla Jellinek (1860–1940), Gattin des in Deutschland weltberühmten Georg Jellinek (1851–1911), die Mutter des Gelehrten, zählte – wie nicht wenige Angehörige des deutsch-jüdischen Bürgertums – zu den führenden Köpfen der Frauenrechtsbewegung ihrer Zeit.
BAG entwickelt auch den Grundsatz der Lohngleichheit
Ob sich das BAG mit dem Hinweis im Urteil vom 6. April 1955, wonach die öffentliche Hand beim Abschluss von Tarifverträgen in der Pflicht sei, die Grundrechte zu wahren, einen besonders kessen Kommentar zu diesem Meinungsstreit erlaubte, muss dahingestellt bleiben.
Eindeutig ist hingegen, dass das Bundesarbeitsgericht – insbesondere der 1. Senat unter Nipperdey – sich gegen Versuche positionierte, den Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau zum bloßen Programmsatz herabzustufen.
Bereits mit Urteil vom 15. Januar 1955 hatte das Gericht auch den Grundsatz der Lohngleichheit bei gleicher Arbeit als verfassungsrechtliches Prinzip bestätigt und erklärt, dass nicht nur der parlamentarische Gesetzgeber, sondern auch die Tarifvertragsparteien daran gebunden seien – schließlich schüfen auch sie mit dem Tarifvertrag ein materielles Gesetz.
In der damaligen Welt, in der ein tiefgreifender Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft auf der Grundlage von Technologie, Energie und Datenverarbeitung noch weitgehend Zukunftsmusik war, standen jedoch körperlich stark belastende Arbeiten auf der Tagesordnung – objektive Leistungsunterschiede zwischen den Angehörigen beider Geschlechter waren damit noch sehr präsent.
Unterschied zwischen "leichter" zu "schwerer" Arbeit?
Das BAG regte daher regelrecht zu einem "gewissen Umbau der Tarifverträge" an. Es sei nun "möglich und notwendig, genauere Lohnkategorien zu bilden, insbesondere auch für leichtere und schwerere Arbeiten, die näher bezeichnet werden. Diese Lohnkategorien müssen aber für Mann und Frau gleich sein. Selbst bei den Fachgebieten, in denen vielfach ein Wechsel zwischen leichteren und schwereren Arbeiten eintritt, ist es möglich, darauf abzustellen, ob der betreffende Arbeitnehmer überwiegend leichtere oder schwerere Arbeit verrichtet und danach in die betreffende Lohngruppe gehört."
Gegen Entgeltunterschiede, die auf einer solchen objektivierten und am individuellen Leistungsvermögen orientierten Zuordnung beruhten, hatte das BAG ausdrücklich keine Einwände:
"Sollte eine solche Methode dazu führen, daß Frauen alsdann deshalb geringer entlohnt werden, weil gerade sie es sind, die die leichtere Arbeit oder die überwiegend leichtere Arbeit leisten, so bestehen dagegen keine Bedenken. Ebenso bleiben natürlich die zahlreichen anderen Lohndifferenzierungen nach Art und Dauer der Berufsausbildung, Dauer der Berufszugehörigkeit, Alter, Fähigkeiten usw. zulässig, wenn sie nur nicht auf ein Geschlecht abgestellt sind. Das Rechtsprinzip der Lohngleichheit von Mann und Frau bei gleicher Arbeit wird im wesentlichen nur beim Zeitlohn, nicht aber beim Akkord eine Rolle spielen, da hier nach den erzielten Ergebnissen bezahlt wird. Abgesehen von dem Akkord sind Leistungsprämien möglich, die unter Umständen dazu führen, daß die Männer höhere Löhne erzielen. Daneben sind soziale Zulagen für die Arbeitnehmer, die einen Gatten und (oder) Kinder zu ernähren haben usw., unter besonderen Voraussetzungen denkbar", (BAG, Urt. v. 15.01.1955, Az. 1 AZR 305/54).
Mit zunehmender Automatisierung und Digitalisierung, schließlich mit der Entkopplung von biologischer Reproduktion und Ehe samt diverser Unterhaltspflichten durch das liberalisierte Ehe- und Familienrecht seit dem Jahr 1977 sind solche "zahlreichen anderen Lohndifferenzierungen" inzwischen weit weniger "natürlich" geworden.
Aber darüber lässt sich bei anderer Gelegenheit jedes Jahr mit gleichen Argumenten streiten – denn seit 1966 gibt es ja zu diesem Zweck den "Equal Pay Day".
Hinweise:
Das Bonner Gutachten über "Die Lohngleichheit von Männern und Frauen: Zur Frage der unmittelbaren Einwirkung des Art. 3 Abs. 2 und 3 des Grundgesetzes auf Arbeits- und Tarifverträge" von Walther Schmidt-Rimpler et al. wurde im Archiv des öffentlichen Rechts (AöR) 76 (1950/51), S. 165–186, publiziert.
Wer unter dem Gefühl leidet, heute in der schlechtesten aller Zeiten zu leben, in der sozialer Fortschritt nie stattgefunden habe, liest auch die angenehm entspannte Kontroverse in: Walter Jellinek, Ernst von Caemmerer und Wilhelm Grewe: "Zur Gleichberechtigung der Geschlechter im Beamtenrecht: Drei Stellungnahmen", im gleichen Band des AöR, S. 137–164.
"Männer und Frauen sind gleichberechtigt": . In: Legal Tribune Online, 27.04.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56934 (abgerufen am: 29.04.2025 )
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