Juristenbiografien: Schlechte, schlechte Richter

von Martin Rath

02.03.2014

Satte 150 Fälle gleichzeitig auf 09:00 Uhr terminieren, selbst aber erst um 13:00 im Gericht erscheinen? Keine Frage: das macht einen schlechten Richter aus. Graeme Williams' "Bad Judges" ist voll von solch offenkundigen, aber auch von subtileren Fällen justiziellen Versagens. Was alles drinsteht, und warum es ein solches Buch bislang nicht für Deutschland gibt, erläutert Martin Rath.

Zur Faschingszeit sind Ausführungen über ältere Herren, die sich mit merkwürdigen Perücken zieren, im Grunde nicht weiter rechtfertigungsbedürftig. Doch gibt es einen weiteren Anlass, der etwas für die Freunde des eher subtilen Humors ist. Der britische Kronanwalt Graeme Williams, der im November 2013 verstarb, veröffentlichte im vergangenen Jahr eine Sammlung kleiner biografischer Skizzen zu einigen weniger rühmenswerten Köpfen des perückengeschmückten Justizwesens zählten.

Seine Beispiele haben Format. Wollte sich die politische Klasse Deutschlands bei der Besetzung juristischer Spitzenämter ähnlich in die Nesseln setzten, wie es die britische im ersten von Williams nachgezeichneten Fall tat, müsste man den Vorgang schon erfinden. Walter Leisler Kiep, die Zentralfigur der CDU-Spendenaffäre zum Anwalt beim BGH machen? Wolfgang Schäuble, statt im Finanzministerium als Verfassungsrichter dienen lassen? Bei den Briten ging manches: Richard Bethell, der spätere Lord Chancellor Westbury, bietet ein frühes Beispiel für einen umtriebigen Juristen in der Robe eines der höchsten Richter.

Scharfzüngig-ruhmreicher Richter stolpert übers Geld

Bevor Bethell im Jahr 1861 zum Lordkanzler berufen wurde – ein Amt, das seinerzeit mit richterlichen Funktionen im Privy Council und im Richtergremium des House of Lords verbunden war – hatte er eine "kometenhafte" (Williams) juristische Karriere absolviert. Schon als Schüler zeigte er alle Anzeichen von Hochbegabung, war mit 23 Jahren aktiver Anwalt, wurde vergleichsweise jung zum Generalstaatsanwalt für England und Wales berufen.

Zu den Fällen, in die Bethell als Richter des Judical Comittee of the Privy Council (JCPC) involviert war, zählte die Angelegenheit zweier anglikanischer Geistlicher, die 1860 in einer Schrift behauptet hatten, die Bibel könnte nicht Gottes höchstselbst verfasstes Wort sein, woraufhin der später als Darwin-Gegner populäre Bischof von Oxford, Samuel Wilberforth, ihre Suspendierung betrieb.

Vom JCPC, dem Appellationsgericht für Disziplinarsachen der anglikanischen Staatskirche, wurde die Suspendierung der bibelungläubigen Geistlichen aufgehoben. Bethell verteidigte das Urteil öffentlich auch noch, als Wilberforth eine geistliche Synode dazu brachte, das Buch als ketzerisch zu verurteilen: Das nachgeschobene Synodal-Verdikt sei "ein so gut geschmierter Schriftsatz, so ölig und seifig, dass niemand ihn zu fassen bekäme".

Unmöglich wurde dieser liberale Held des Viktorianischen Zeitalters über Pensionsaffären. In einem Fall geriet ein für Insolvenzen zuständiger höherer Justizbeamter wegen Unregelmäßigkeiten in Verruf. Bethell genehmigte ihm, statt eine Entfernung aus dem Amt zu betreiben, die Pensionierung aus Gesundheitsgründen. Später wurde ruchtbar, dass Bethells Sohn zu den Insolvenzfällen im Sprengel des Beamten zählte.

Als Richterversetzungen richtig schmerzen konnten

Ein Zusammenhang zwischen der allzu ehrenhaften Verabschiedung eines zweifelhaften Justizbeamten und dessen Zuständigkeit für die Aufsicht über die Insolvenz seines Sohnes, brauchte Bethell gar nicht nachgewiesen zu werden. Dass diese Sache Anstoß verursachte, genügte zum Rücktritt. In der einen Sache ein liberales Schandmaul, in der anderen von höchster Naivität – diese für einen Richter eher ungünstige Kombination brachte Bethell die Würde eines "Bad Judges" ein.

Deutlich unfreundlicher, aber doch in heiter-ironischem Ton, urteilt Graeme Williams über Fälle fauler und überforderter Richter. Wiliam Ramshay, 1850 als Protegé des örtlichen Hochadels zum Richter in Liverpool berufen, zählte offenbar zu dieser Gattung. Anhörungen zogen sich bei ihm über Tage hin, Ramshays Umgangston litt erheblich, er nannte Zeugen und Parteien nicht selten "Schafsköpfe" und "Idioten". Kurz suspendiert, ließ er für den ersten neuen Arbeitstag, 9 Uhr morgens, nicht weniger als 150 Fälle terminieren, er selbst erschien aber erst um 13 Uhr bei Gericht.

John Willis, einem überforderten oder faulen Richter dieser Zeit, gelang es, zunächst vom Gouverneur aus seinem Richteramt in Ontario entfernt zu werden, weil er sich weigerte, seinen Pflichten als Vertreter im Amt eines Richterkollegen nachzukommen. Der Privy Council sah ihn zwar – mit fadenscheinigen Argumenten, wie Williams befindet – vom Vorwurf der Pflichtverletzung entlastet, entsandte ihn dann aber als Richter nach Britisch-Guayana. Williams nennt das freundlich eine "nicht sehr erstrebenswerte Position".

Man kann die Versetzung eines Richters in eine malariaverseuchte südamerikanische Kolonie in der weitläufigen Nachbarschaft der französischen Teufelsinsel auch als Versuch der vorgesetzten Behörde verstehen, ihren Standpunkt klarzumachen. Richter Willis überlebte den Dienst, was in Zeiten spärlich entwickelter Tropenmedizin nicht selbstverständlich war, und wurde nach Australien weiterversetzt. Den Standpunkt hatte er gleichwohl nicht verstanden: Dort ereilte ihn bald wieder eine Amtsenthebung, weil er sich einer Vertretung verweigerte.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Juristenbiografien: Schlechte, schlechte Richter . In: Legal Tribune Online, 02.03.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11202/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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