Eine ZDF-Doku erzählt von Ruja Ignatova, die mit "OneCoin" Milliarden erschlich. Katharina Reisch und Tim Nicklas Festerling erklären, wieso ihr Fall spannende kriminologische Fragen aufwirft und wo der Krypto-Scam nun weitergehen könnte.
Daniel ist Anfang 20, als er ins Kryptogeschäft einsteigt. Der junge Mann aus Uganda kratzt alle seine Ersparnisse zusammen und verkauft die zwei Ziegen seiner Familie. Für 700.000 Uganda-Schilling kauft er das Starter-Paket von "OneCoin" – einer Kryptowährung, die es nie gab. Sein Geld sieht er nie wieder. Willkommen im Geschäft der selbsternannten "CryptoQueen", Dr. Ruja Ignatova.
Ignatova ist eine charismatische Deutsch-Bulgarin. Besonders brisant: Sie ist Juristin, mit Abschlüssen aus Konstanz und Oxford. 2005 promovierte sie mit einer europarechtlichen Schrift an der Universität Konstanz. Gerne betonte Ignatova, bei der bekannten Unternehmensberatung McKinsey gearbeitet zu haben. Eine steile Karriere. Und Ignatova hatte große Ziele: Mit 30 Jahren wollte sie die erste Million auf dem Konto haben. Das hat sie mit hoher krimineller Energie geschafft und wurde Protagonistin eines der größten Betrugsfälle der Geschichte.
Eine ZDF-Doku erzählt jetzt die beispiellose Geschichte dieser Hochstaplerin und wirft interessante kriminologische Fragen auf: Warum beging Ignatova diesen Milliardenbetrug? Gibt es so etwas wie eine “Betrügerpersönlichkeit”? Welche Eigenschaften werden Betrügern allgemein zugeschrieben?
2016 sah ein Gericht noch eine "günstige Sozialprognose"
2010 steigt Ignatova ins kriminelle Business ein. Gemeinsam mit ihrem Vater kauft sie ein insolventes Unternehmen im Allgäu. Was dort geschehen ist, wertet das Amtsgericht Augsburg 2016 als Insolvenzverschleppung, Betrug und Verletzung der Buchführungspflicht. Es verurteilt Ignatova zu einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten auf Bewährung (AG Augsburg, Urt. v. 12.04.2016, Az.: 24 Ls 507 Js 112214/12 [2]).
Das Gericht sieht da bei Ruja Ignatova noch eine "günstige Sozialprognose". Es sei bei ihr zu erwarten, dass sie "künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird". Ein Irrtum.
"OneCoin ist eine Wahnsinns-Erfolgsstory"
Denn zu diesem Zeitpunkt war sie schon wieder mittendrin. 2014 rief sie mit ihrem Geschäftspartner Sebastian Greenwood "OneCoin" ins Leben – eine Fake-Kryptowährung, die angeblich einmal den Bitcoin ablösen sollte. Das Geschäft basierte auf einem Schneeballsystem, also einem Geschäftsmodell, das von einer stetig wachsenden Zahl an Teilnehmern abhängt. Kunden profitierten nur dann von "OneCoin", wenn sie selbst neue Kunden warben, die auch Geld in "OneCoin" investierten.
Man kann sich das vorstellen wie eine digitale Tupperparty. Einziger Unterschied: Anders als Tupperdosen existierte "OneCoin" nicht. Es gab keinen einzigen Server und es wurde auch nicht ein einziger Coin geschürft. International erfolgreich war das Unternehmen trotzdem: "Wir sind auf 5 Kontinenten und in über 190 Ländern. OneCoin ist eine Wahnsinns-Erfolgsstory", so Ignatova in einem "OneCoin"-Werbevideo. Mit der gefakten Kryptowährung "OneCoin" konnte man angeblich über die hauseigene Handelsplattform "Dealshaker" die "OneCoins" in Geld umtauschen oder Produkte damit kaufen. Praktisch klappte das jedoch nicht.
Menschen um über vier Milliarden US-Dollar betrogen
2016 weckte eine Geldwäscheverdachtsanzeige der Kreissparkasse Steinfurt das Misstrauen der deutschen Behörden. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) untersagte 2017 den Handel mit "OneCoins" in Deutschland, weil dieser gegen § 32 Abs.1 Kreditwesengesetz (KWG) verstieß.
Ein halbes Jahr später verschwand Ruja Ignatova. Bis heute fehlt von ihr jede Spur. Sie wird mit internationalem Haftbefehl gesucht. Das FBI zählt sie sogar zu den zehn meistgesuchten flüchtigen Kriminellen, darunter Bandenchefs und Menschenhändler. Die US-Regierung bietet eine Belohnung von bis zu 5 Millionen US-Dollar für Hinweise, die zu ihrer Festnahme und / oder Verurteilung führen.
In den USA wurde Ignatova 2019 schon in Abwesenheit wegen Telekommunikationsbetrugs, Wertpapierbetrugs und Geldwäsche verurteilt. Ihren "OneCoin"-Mitgründer Greenwood verurteilte 2023 ein New Yorker Gericht zu 20 Jahren Haft. Die US-Staatsanwaltschaft zitierte hierbei aus einer E-Mail von Ignatova an Greenwood: "Wir […] erzählen den Leuten Scheiße". 2024 gab es das erste Urteil aus Deutschland: Drei ihrer Komplizen verurteilte das Landgericht Münster zu mehrjährigen Haftstrafen.
Die US-Behörden gehen davon aus, dass sie auf der ganzen Welt Menschen um über vier Milliarden US-Dollar betrogen hat.
"OneCoin" – ein kriminologisches Lehrbuchbeispiel
Im Nachhinein fragt man sich immer: Wie konnte das passieren? Die Kriminologie hält hierfür ein paar Antworten parat, auch wenn Ignatova insofern einen Sonderfall darstellt, als dass Wirtschaftsstraftäter sonst ganz überwiegend Männer sind.
Allerdings kamen bei Ignatova viele kriminalitätsbegünstigende Faktoren zusammen: Sie war stark motiviert, einen hohen finanziellen Gewinn zu erzielen und dadurch ein schillerndes Leben zu führen. Dabei ging es ihr mit Sicherheit nicht nur um den Kontostand, sondern auch um den gesellschaftlichen Status, der damit einherging.
Auf der anderen Seite befanden sich krypto- und anlageunerfahrene, aber dafür umso hoffungsvollere Menschen als geeignete Opfer. Gerade das Erkennen eines Schneeballsystems im Bereich des Kryptoinvestments kann Schwierigkeiten aufwerfen, sodass die viktimologischen Erkenntnisse aus diesem Fall wertvolle Informationen für die Prävention liefern konnten. Hinzu traten fehlende Schutz- und Kontrollmöglichkeiten im Bereich der damals noch neuen Kryptowährungen. Das weltweite, internetbasierte und diffuse Vorgehen der "CryptoQueen" war so nur schwer aufzudecken.
Ihre Tatgelegenheit war also äußerst günstig, bei insgesamt überschaubarem Risiko. Es liegt nahe, dass sie ganz rational abgewogen hat zwischen einem geringen Zeit- und Kostenaufwand, einer geringen Entdeckungswahrscheinlichkeit oder zumindest einer geringen (bis heute bewahrheiteten) Strafvollstreckungswahrscheinlichkeit einerseits und den exorbitanten Gewinnen, Ruhm und Macht andererseits.
Prototyp einer internationalen Betrügerin?
Vereinzelt finden sich in der kriminologischen Forschung auch genaue Beschreibungen von "Betrügerpersönlichkeiten" und den ihnen zugeschriebenen Eigenschaften. Im gleichen Atemzug muss jedoch betont werden, dass sich Betrugsfälle sehr stark voneinander unterscheiden können (vom zahlungsunwilligen Restaurantgast bis zum Krypto-Milliarden-Betrug) und die Beschreibungen selbstverständlich nicht immer voll zutreffend sind. Als allgemein betrugstypisch gelten dabei jedoch eine gewisse Intelligenz, Kreativität, ein starkes Selbstbewusstsein, manipulative Fähigkeiten, Lügenfähigkeiten und Stressresistenz.
Überschreiten die betrügerischen Handlungen internationale Grenzen, werden die nötigen Fähigkeiten weiter konkretisiert: Es werden mindestens zwei Sprachen perfekt beherrscht, es liegen ausgezeichnete Branchen- und Milieukenntnisse vor, es besteht eine hohe Auffassung- und Reaktionsgabe und ein "gediegenes" Auftreten wird genutzt, um die Tür zur Welt der High Society zu öffnen. Die promovierte Juristin, die sich gerne feiern ließ, Anleger bewusst über Jahre hinweg belog, das Vorgehen von "OneCoin" strategisch lenkte, mindestens drei Sprachen fließend spricht, im Bereich Unternehmensberatung und Kryptowährung versiert war und sich gerne mit den Reichen und Schönen umgab – sie würde auf der Checkliste der internationalen „Betrügerpersönlichkeiten“ vermutlich die volle Punktzahl mit einem Glitzersticker erhalten.
Die Dunkle Triade der "CryptoQueen"
Weniger wohlklingende Eigenschaften fasst die sog. "Dunkle Triade" zusammen, ein Aufeinandertreffen von verschiedenen Eigenschaften: Narzissmus, Machiavellismus und Dissozialität. Das Vorliegen einer solchen "Dunklen Triade" kann ebenfalls einen kriminalitätsbegünstigenden Persönlichkeitsfaktor, insbesondere für Betrugstaten, darstellen. Es sind Eigenschaften, die auch Ignatova aufweisen könnte.
2016 etwa füllte sie die Wembley Arena in London bei einem "OneCoin"-Event mit tausenden Zuschauern, kam in einem glitzernden Abendkleid zu "Girl on Fire" von Alicia Keys, gewaltigen Feuerfontänen und unter tosendem Applaus ihrer Fans auf die Bühne. Wenn diese Rockstar-Attitüde narzisstische Herzen nicht höherschlagen lässt! Toppen kann dies vermutlich nur noch die kult- bzw. sektenartige Verehrung ihrer Anhänger, die sogar ein eigenes Handzeichen (👌) benutzten. Wer würde dieser bezaubernden jungen Frau mit beeindruckenden Jura-Abschlüssen nicht sein Geld anvertrauen?
Ignatovas grenzenlose Verfolgung des Ziels der Gewinnmaximierung, ihre fehlende Rücksichtnahme und ihr offensichtlicher Mangel an Empathie sind typische machiavellistische und dissoziale Eigenschaften. Sie führen dazu, dass jemand die Opfer als Menschen und die Folgen der Taten gut ausblenden kann. Schicksale wie das von Daniel aus Uganda müssen sie völlig kalt gelassen haben. Frei nach dem Motto: Dann sollen sie doch Krypto essen.
Wo der Krypto-Scam jetzt weitergehen könnte
Doch Ruja Ignatova war nicht die einzige, deren Kaltblütigkeit den großen Betrug erst möglich machte. Immer an ihrer Seite stand: Ihre Mutter, Veska Ignatova. Nach Rujas Verschwinden war sie Berichten zufolge ihre Nachfolgerin im "OneCoin“-Geschäft. Denn "OneCoin“ lief erstmal weiter. Dann wurde unter der Beteiligung von Veska Ignatova ein ganz ähnliches Unternehmen gegründet: "One Ecosystem" mit Sitz in Vietnam.
Auf der Webseite des Unternehmens heißt es: "Unsere Plattform wurde entwickelt, um Menschen weltweit zu helfen, ein besseres Leben für sich und ihre Familien aufzubauen". Es könnte "OneCoin"-Sprech sein für: Wer will, kann hier sein Geld verlieren. Dafür sprechen etwa die Bewertungen von "One Ecosystem" bei Trustpilot und Scamadviser und die enorme Ähnlichkeit des Angebots mit früheren "OneCoin"-Angeboten.
Wird gegen "One Ecosystem" ermittelt?
Und was sagt die BaFin dazu? "Die von Ihnen genannte Website ist hier bisher nicht bekannt; die BaFin wird sich dies näher anschauen", teilt ein Pressesprecher mit.
Die bislang für die Ermittlungen gegen Ruja Ignatova zuständige Schwerpunktstaatsanwaltschaft Bielefeld ermittelt nicht wegen "One Ecosystem", da man davon ausgeht, dass sich der Sitz von "One Ecosystem" tatsächlich in Vietnam befindet und die Staatsanwaltschaft Bielefeld daher gar nicht zuständig ist. Das wäre sie nur, wenn Ruja Ignatova selbst hinter "One Ecosystem" steckt. Dafür habe man derzeit aber keine Anhaltspunkte, erklärt ein Pressesprecher und Oberstaatsanwalt gegenüber LTO. Eine Anfrage der Süddeutschen Zeitung aus dem vergangenen Jahr ließ "One Ecosystem" unbeantwortet.
Nachdem die "CryptoQueen" vom Thron gestoßen wurde, bleibt nun ein großes Fragezeichen. Werden ihre möglichen Thronfolger bald an die Blockchain gelegt? Wir werden sehen.
Katharina Reisch promoviert bei Prof. Dr. Katrin Höffler am Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Humboldt-Universität zu Berlin und ist zugleich wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht von Prof. Dr. Uwe Murmann an der Georg-August-Universität Göttingen. Zudem ist sie freie Mitarbeiterin bei der LTO. Der Autor Dipl.-Jur. Tim Nicklas Festerling ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand bei Prof. Höffler.
Promovierte Juristin baut Krypto-Scam auf: . In: Legal Tribune Online, 22.02.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56598 (abgerufen am: 26.04.2025 )
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