Schwesternschaften: Kran­ken­ver­sor­gung als Men­schen­liebe in Uni­form

von Martin Rath

16.07.2017

Im Fall der "Ehe für alle" hieß es jetzt wieder einmal, dass ein Rechtsinstitut durch seine vorstaatliche Qualität tabu sei. Eine ähnliche Argumentation sorgte 1957 dafür, dass die moderne Krankenpflege in Deutschland ausgebremst wurde.

Sind Krankenschwestern und -pfleger normale Arbeitnehmer oder steht ihre Tätigkeit außerhalb des konventionellen Arbeitsrechts?

Als das Bundesarbeitsgericht im Februar 2017 beschloss, dass jene Schwestern, die als Mitglied einer Schwesternschaft des Deutschen Roten Kreuzes entgeltlich in einem fremden Krankenhaus eingesetzt werden, unter die Bestimmungen zur Arbeitnehmerüberlassung fallen, wird sich manch Außenstehender verwundert die Augen gerieben haben: Ist dies keine Selbstverständlichkeit?

Keineswegs. Krankenschwestern waren einmal etwas ganz besonderes, sollten es jedenfalls sein. Ein Blick in das "Gesetz über die Ausübung des Berufs der Krankenschwester, des Krankenpflegers und der Kinderkrankenschwester (Krankenpflegegesetz)" vom 15. Juli 1957 und in die rechtspolitische Diskussion vorweg zeigt einen etwas merkwürdigen deutschen Sonderweg in der pflegerischen Versorgung kranker Menschen.

Krankenpflege – vorstaatliches Konstrukt

Die zeitgenössische Kritik am Krankenpflegegesetz vom 15. Juli 1957 lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Es regelt ja gar nichts neu.

Im Wesentlichen erschöpfte sich das Gesetz tatsächlich darin, die Bezeichnung "Krankenschwester", "Krankenpfleger" und "Kinderkrankenschwester" in der Pflege von einer staatlichen Erlaubnis abhängig zu machen (§ 1).

Schon bei den Voraussetzungen, die an diese Erlaubnis zu stellen waren, taten sich weltanschauliche Abgründe auf. Während die sozialdemokratische Opposition beantragte, ungelernte Pflegekräfte aus der medizinisch immer anspruchsvoller werdenden Arbeit in den Krankenhäusern auszuschließen und die Krankenpflege aus Steuermitteln besser auszustatten, verwahrte sich die CDU/CSU-Fraktion eher am Rande mit dem Verweis auf die Kosten.

Ihr zentrales Argument gegen die Professionalisierung des Berufs: Die Krankenpflege sei ein so tief in der christlichen Nächstenliebe verwurzeltes Bestreben, dass sie dem staatlichen Zugriff nur begrenzt zugänglich sei und an ihrem Wesen – der Gutherzigkeit und Opferbereitschaft pflegender Frauen – Schaden nähme, wolle man es doch versuchen.

Ein Beispiel für diese Weltanschauungsgegensätze zeigte sich in der lebhaften abschließenden Lesung des Gesetzes im Deutschen Bundestag – heutige Debatten sind im Vergleich beschämend öde: So beantragte die eigenwillige und an sich durchsetzungsstarke Abgeordnete Margot Kalinke  (1909–1981) aus der Deutschen Partei, die Schwesternschulen zu mindestens 600 Unterrichtsstunden Theorie zu verpflichten, statt zu nur 400, die das Krankenpflegegesetz für die ersten beiden Jahre des insgesamt dreijährigen Lehrgangs vorsah.

Kalinke erklärte, dass einige Schwesternschulen nur 200, andere 1.200 Unterrichtsstunden böten und bat ihre Kollegen dringend darum, sich doch wenigstens der bescheidenen 600-Stunden-Forderung anzuschließen. Sie hatte keine Chance.

Die Wortführerin der CDU/CSU-Fraktion, Dr. med. Viktoria Steinbiß (1892–1971) beharrte auf einem Standpunkt, der vielleicht nicht unfair zusammengefasst ist mit: Man möge die jungen Frauen, die sich in den aufopferungsvollen Dienst der Pflege stellten, nicht mit zu viel theoretischem Wissen belasten.

Unterwerfung unter die Schwesternschaft

Dass die weltanschaulichen Gründe gegen eine allzu professionalisierte Krankenpflege vorgeschoben seien, mutmaßte mit guten Gründen beispielsweise der "Spiegel" in seiner Berichterstattung zum Gesetz.

Das betriebswirtschaftliche und juristische Organisationsmodell der Krankenhäuser beruhte, 1957 und in Teilen bis in die Gegenwart, darauf, dass sich vor allem Frauen in sogenannten Schwesternschaften organisieren und den Krankenhausbetreiber gegen Entgelt Arbeitskräfte zur Verfügung stellen.

Die Frauen verpflichteten sich zu einer Lebensführung, die sich stark am klösterlichen Modell orientierte, banden sich in ihrer Entlohnung und Alterssicherung vollständig an ihre Schwesternschaft. Dies galt nicht nur für die Schwesternschaften katholischer und evangelischer Richtung, sondern auch für die jene des Deutschen Roten Kreuzes. Im Verhältnis zum Krankenhausbetreiber traten diese Pflegekräfte nicht als Arbeitnehmerinnen in Erscheinung. Ihre höchste Autorität war die jeweilige Oberschwester.

Wegen der bereits in der Weimarer Republik, dann aber auch in der jungen Bundesrepublik stark nachlassenden Bereitschaft junger Frauen, sich für den Beruf der Krankenschwester einem nonnengleichen Lebenswandel zu unterwerfen, beschäftigten auch die Schwesternschaften konventionelle Arbeitnehmerinnen für den Ausleihbetrieb.

Wer sich der strikt konservativen Weltanschauung seiner Schwesternschaft nicht länger unterwerfen wollte, verlor mit dem Austritt die Altersversorgung und oft auch die Möglichkeit, vor Ort eine neue Beschäftigung zu finden.

Denn die Machtposition der Schwesternschaften wurde vervollständigt – das Ganze erinnert ein wenig an die mafiösen US-amerikanischen Gewerkschaften –  durch ihre Vertragsbeziehungen mit den Krankenhausbetreibern. Letztere verpflichteten sich, im Gegenzug zur Bereitstellung betriebswirtschaftlich flexibler und kostengünstiger, weil oftmals nicht tariflich bezahlter Arbeitskräfte, keine anderen als die von der jeweiligen Schwesternschaft gestellten Krankenschwestern zu beschäftigen.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Schwesternschaften: . In: Legal Tribune Online, 16.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23463 (abgerufen am: 03.10.2024 )

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