Lauf weiter und starr auf die Monitore? Selbst auf dem Laufband ist der Jurist nicht vor Inanspruchnahme seiner Dienstleistung gefeit. Trotzdem ist Rechtsberatung kein guter Flirtaufhänger, während ein Schnurrbart im Sportstudio ganz hilfreich sein kann - auch wenn der Anabolheini mit dem Teleskoptotschläger mehr Angst vor einer Verleumdungsanklage hat als vor Impotenz oder einer Quellen-TKÜ.
Ich laufe geradeaus. Ein stressiger Tag. Ich bin im Fitnessstudio und laufe 6,5 km/h. "Die blonde, 1,79 große Staatsanwältin hasst mich, weil ich ihren ganz besonderen Vorschlag zurückwies, den sie mir in der kurzen Verhandlungspause machte. Ausnahmsweise ein Deal, der auf der Männertoilette nicht nur ausgehandelt, sondern auch gleich abgewickelt werden sollte."
So könnte meine Kolumne beginnen, denk ich mir. Und mir wird klar, dass der Tag wirklich zum Vergessen war, da ich versucht bin, meine absolut sinnfreie Recherche zu den Voraussetzungen der Verständigung im Strafprozess nach § 257c StPO durch eine chauvinistische Phantasie zu ersetzen, in der ich aussehe wie Keanu Reeves und aus moralischen Gründen einen Pharmakonzern habe hochgehen lassen.
Nein, so war es nicht. Du warst 8 Stunden in der Bibliothek und hast erst im Löwe/Rosenberg, dann noch im Leib'discher Gömendaar geschmökert. Und Du siehst nur aus wie Johnny Depp. Was ist nur los mit Dir? Lauf einfach weiter und starr auf die Monitore. Entspanne dich. Denk nicht mehr an § 242 StGB (und erst recht nicht an § 242 BGB). Du wirst fett. Letztes Jahr hast du bei Halloween noch ein Kissen benutzt, um einen Bauch zu faken. Nächstes Jahr müsstest du als Marshmallow-Man gehen, um nicht mit der Wahrheit konfrontiert zu werden.
Und selbst beim Sport bestätigt sich, dass man als Jurist nicht unbehelligt fernsehen kann. Ich schwitze bereits leicht und auf dem Monitor erklärt Aiman Abdallah, ob der Nachbar den Mittelfinger-Zwerg beseitigen muss oder nicht. "Wo gibt es die schärfste Curry-Wurst" wäre mir lieber gewesen. Oder die fünf ekligsten Speisen der Welt. Wenigstens hat mich bisher noch keiner hier gefragt, ob ein Arzt-Attest zur Kündigung des Fitnessvertrages ausreicht. Ich muss aufpassen; ich benutze die Rechtsberatungsgeschichte als Flirtaufhänger. Das hätte ich – jedenfalls im Fitnessstudio – nicht tun dürfen. Sowas spricht sich herum.
Angst vor Verleumdung statt vor Impotenz oder einer berechtigten Quellen-TKÜ-Maßnahme
Da passiert es schon. Ein Glatzkopf. Er kommt auf mich zu. Wahrscheinlich hat es ihm das blonde Dummchen auf dem Stepper neben mir erzählt. Sie hatte mich gefragt, ob es zulässig ist, 90 Prozent Rabatt auf Haarspray zu erhalten. Sie wohnt überm Schlecker.
Nachdem ich ihr erklärt hatte, dass es in Ordnung ist, als Verbraucher Unternehmer auszunehmen (also kein strafbarer Wucher oder so etwas anzunehmen ist; vielleicht sehe ich das zu lässig…hö hö hö), wollte ich sie gerade zum Schlecken… äh Essen einladen, aber sie hatte ihre Kopfhörer schon wieder auf. Wenigstens hätte sie meine Eigenschaft als Jurist für sich behalten können.
Jetzt ist er fast da. Er macht grad eine Protein-Drink-Pause. Ich erhöhe das Tempo, um vor dem Gespräch wegzurennen. Aber das ist der Preis dafür, dass du im Warmen joggst und nicht da draußen im Matsch. Ich renne und renne, aber komme nicht von der Stelle. Der aufgepumpte Anabolheini mit einem Adidas Chile Anzug und einem "THUG-LIFE"-Oberteil steht bereits neben mir. Ich drücke auf den „Chill“-Knopf, signalisiere ihm damit: Ich höre dir zu und wünsche mir auch einen Kopf-Chill-Knopf. Auch wenn er ziemlich aggressiv dreinschaut, kann mir nichts passieren. Dank meines Schnurrbarts weiß ich: Er glaubt, ich sei auf seiner Seite.
Er entwickelt seine Fragestellung folgendermaßen: Ey du hascht doch Jura studiert oda? Dann pasch mal auf…isch machsch Musik, weisch. So Big Buisseness, weisch? Hab isch paar fette Lines. Hör zu: 'Im Straßengesetz gibt es kein Paragraph für Rückgaberecht.' (Gesetz und Recht reimt sich…nicht!) 'Und ich bin öfter in Gerichten als Salz und Pfeffer. Yeah.'
Dieser Schrank, der einen Teleskoptotschläger unter seiner Autofußmatte versteckt hat und 2 kg Eigenbedarf Tilidin im Handschuhfach mit sich führt, fragt mich ernsthaft: "Glaubst du, so wenn ich Richter oder andere Rapper diss (Diss steht hier nicht für Dissertation, sondern bedeutet im Jargon der Gangster-Rapper "Beleidigung durch Sprechgesangsartisten"), ist das strafbar? Hab gehört, es is so Verleumdung und so."
Er hat keine Angst vor Impotenz, keine Angst vor kreisrundem Haarausfall, keine Angst vor einer berechtigten Quellen-TKÜ-Maßnahme. Er hat Angst, dass sein Diss-Track als Beleidigung durchgehen könnte und er mit einer Geldstrafe rechnen muss.
2/2: Lieber mit Falafel werfen
Doch dieses kaputte Unrechtsbewusstsein hat seinen Ursprung. In Deutschland löst man seine Probleme nicht mit wechselseitigen Beleidigungen, sondern mit einer Reaktion wie: "Waaaaaaas? Bitteeeeeee? Was für eine Unverschämtheit! Ich zeige Sie an" (wie oft kommt es auch vor, dass ein Deutscher zurückhupt?).
Und dann streitet man eben vor Gericht. Beispielsweise darüber, ob der Wurf eines Döner eine Beleidigung darstellt (man muss wohl differenzieren: Als Türke findet man es sicherlich schlimmer, wenn ein Grieche einen mit Gyros bewirft und umgekehrt. Falafel ist da neutraler). Ich sauge mir etwas aus den Fingern. Hauptsache es hört sich fachlich kompetent an. Ich sage ihm, er solle sich wegen sowas keine Sorgen machen, das werde eingestellt, bla bla, ggf. könnte man den Beleidigungstatbestand innerhalb des "Rap-Geschäfts" nach den Grundsätzen der "Asozialadäquanz" einschränken.
Die Leute kommen mit den schwachsinnigsten Fragen an, die man auch nicht sofort einordnen kann, weil man nicht in der Stimmung ist. Umgekehrt will man nicht unhöflich sein und potentielle Mandanten (beziehungsweise als Staatsanwalt potentielle Aufklärungsgehilfen) vergraulen.
Am besten machen Sie einfach nicht den gleichen Fehler wie ich. Verraten Sie an öffentlichen Orten wie Cafés, Schwimmbädern, Museen, Running-Sushi-Läden und schon gar nicht im Fitnessstudio jemandem, dass sie Jurist sind. Ich weiß nicht, warum die Anderen ("Nichtjuristen") von der Möglichkeit, kostenlos an eine Dienstleistung heranzukommen, ausgerechnet bei uns so derart intensiv Gebrauch machen wollen. Ich hab noch nie einen Typen mit dem Stethoskop im Fitnessstudio eine Frau abhören sehen; oder einen Physiklehrer, der während der Benchpress-Einheit dem Muskelprotz erklärt, welche Kräfte da auf ihn wirken.
Nix Garantie, ich mache Gewährleistung geltend! HA! Und jetzt?
Wenn es um ihr gutes Recht geht, kennen die Leute keine Höflichkeitsregeln. Kein Spaß: Man bat mich sogar einmal ernsthaft in der Sauna um Rechtsrat. Flüsternd. "Nur kurz etwas Juristisches" (und er hat kein Handtuch um!). Ich schließe die Augen und flüchte mich in ein anderes, nicht gerade wirklich passierendes Horrorszenario. Final Destination. Die typischen Ängste, die man in der Sauna eben hat. Die Tür geht nicht mehr auf. Es wird immer heißer. Man schmilzt etc.
Während meiner Vision höre ich Wortfetzen wie: "Garantie…Fernbedienung…Ambilight…Unverschämt…" Und am Ende: "Also kann man da was machen?" Flüsternd sag ich ja, kann man! Wieder das Final Destination Szenario. Diesmal modifiziert: Ich stehe draußen und halte den Schlüssel zur Saune in der Hand. Ich grinse fies durch das Bullauge - drinnen der Typ, der langsam schmilzt und mich schwitzend anfleht: "LÄSST SICH DA WAS MACHEN? MEIN PHILLIPS AMBILIGHT FERNSEHER…HILFEEEE!" Am Ende meines Flashs schüttele ich nur den Kopf und verlasse die Sauna. Er hat das Kopfschütteln als "nein" interpretiert. Gut so!
Er hat eigentlich einen stinknormalen Gewährleistungsanspruch gem. § 437 Abs. Nr. 1, 439 BGB. Und jetzt wird er ihn nicht geltend machen. Ich reibe mir die Hände. Trotzdem. Der Mistkerl hat es geschafft. Trotz meiner Zuflucht in die Phantasie ratterte es im Hinterkopf und ich bin die einzelnen Anspruchsgrundlagen durchgegangen. Ja, und wie jeder nichtswissende Laie faselt er irgendwas von Garantie. Als käme es auf die Garantie an! Die hab ich sowieso am liebsten. Kassiererinnen, die mir sagen, auf das Gerät gäbe es keine Garantie mehr. "Wissen sie was? Es geht hier nicht um Garantie! Ich mache Gewährleistung geltend! HA! Was ist jetzt? Hat man ihnen das beim 'Wie wimmel ich Querulanten ab?- Seminar' nicht erklärt?"
Mann, das wollte ich schon so oft machen. An der Kasse den allwissenden Juristen markieren. An der Kasse, im Reisebüro, beim Autokauf, vor dem Strafrichter. Und dann lass ich mich jedes Mal mit den billigsten und rechtlich unhaltbaren Ausreden abspeisen. Doch das ist eine andere Geschichte...
Ahmet Kabakyer, Of all the things I’ve lost – I miss my mind the most – Wie das Jurastudium mich verändert hat: Neulich im Fitnessstudio . In: Legal Tribune Online, 10.11.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7513/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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