Of all the things I’ve lost – I miss my mind the most – Wie das Jurastudium mich verändert hat: Neulich im Fitnessstudio

von Ahmet Kabakyer

10.11.2012

2/2: Lieber mit Falafel werfen

Doch dieses kaputte Unrechtsbewusstsein hat seinen Ursprung. In Deutschland löst man seine Probleme nicht mit wechselseitigen Beleidigungen, sondern mit einer Reaktion wie: "Waaaaaaas? Bitteeeeeee? Was für eine Unverschämtheit! Ich zeige Sie an" (wie oft kommt es auch vor, dass ein Deutscher zurückhupt?).

Und dann streitet man eben vor Gericht. Beispielsweise darüber, ob der Wurf eines Döner eine Beleidigung darstellt (man muss wohl differenzieren: Als Türke findet man es sicherlich schlimmer, wenn ein Grieche einen mit Gyros bewirft und umgekehrt. Falafel ist da neutraler). Ich sauge mir etwas aus den Fingern. Hauptsache es hört sich fachlich kompetent an. Ich sage ihm, er solle sich wegen sowas keine Sorgen machen, das werde eingestellt, bla bla, ggf. könnte man den Beleidigungstatbestand innerhalb des "Rap-Geschäfts" nach den Grundsätzen der "Asozialadäquanz" einschränken.

Die Leute kommen mit den schwachsinnigsten Fragen an, die man auch nicht sofort einordnen kann, weil man nicht in der Stimmung ist. Umgekehrt will man nicht unhöflich sein und potentielle Mandanten (beziehungsweise als Staatsanwalt potentielle Aufklärungsgehilfen) vergraulen.

Am besten machen Sie einfach nicht den gleichen Fehler wie ich. Verraten Sie an öffentlichen Orten wie Cafés, Schwimmbädern, Museen, Running-Sushi-Läden und schon gar nicht im Fitnessstudio jemandem, dass sie Jurist sind. Ich weiß nicht, warum die Anderen ("Nichtjuristen") von der Möglichkeit, kostenlos an eine Dienstleistung heranzukommen, ausgerechnet bei uns so derart intensiv Gebrauch machen wollen. Ich hab noch nie einen Typen mit dem Stethoskop im Fitnessstudio eine Frau abhören sehen; oder einen Physiklehrer, der während der Benchpress-Einheit dem Muskelprotz erklärt, welche Kräfte da auf ihn wirken.

Nix Garantie, ich mache Gewährleistung geltend! HA! Und jetzt?

Wenn es um ihr gutes Recht geht, kennen die Leute keine Höflichkeitsregeln. Kein Spaß: Man bat mich sogar einmal ernsthaft in der Sauna um Rechtsrat. Flüsternd. "Nur kurz etwas Juristisches" (und er hat kein Handtuch um!). Ich schließe die Augen und flüchte mich in ein anderes, nicht gerade wirklich passierendes Horrorszenario. Final Destination. Die typischen Ängste, die man in der Sauna eben hat. Die Tür geht nicht mehr auf. Es wird immer heißer. Man schmilzt etc.

Während meiner Vision höre ich Wortfetzen wie: "Garantie…Fernbedienung…Ambilight…Unverschämt…" Und am Ende: "Also kann man da was machen?" Flüsternd sag ich ja, kann man! Wieder das Final Destination Szenario. Diesmal modifiziert: Ich stehe draußen und halte den Schlüssel zur Saune in der Hand. Ich grinse fies durch das Bullauge -  drinnen der Typ, der langsam schmilzt und mich schwitzend anfleht: "LÄSST SICH DA WAS MACHEN? MEIN PHILLIPS AMBILIGHT FERNSEHER…HILFEEEE!" Am Ende meines Flashs schüttele ich nur den Kopf und verlasse die Sauna. Er hat das Kopfschütteln als "nein" interpretiert. Gut so!

Er hat eigentlich einen stinknormalen Gewährleistungsanspruch gem. § 437 Abs. Nr. 1, 439 BGB. Und jetzt wird er ihn nicht geltend machen. Ich reibe mir die Hände. Trotzdem. Der Mistkerl hat es geschafft. Trotz meiner Zuflucht in die Phantasie ratterte es im Hinterkopf und ich bin die einzelnen Anspruchsgrundlagen durchgegangen. Ja, und wie jeder nichtswissende Laie faselt er irgendwas von Garantie. Als käme es auf die Garantie an! Die hab ich sowieso am liebsten. Kassiererinnen, die mir sagen, auf das Gerät gäbe es keine Garantie mehr. "Wissen sie was? Es geht hier nicht um Garantie! Ich mache Gewährleistung geltend! HA! Was ist jetzt? Hat man ihnen das beim 'Wie wimmel ich Querulanten ab?- Seminar' nicht erklärt?"

Mann, das wollte ich schon so oft machen. An der Kasse den allwissenden Juristen markieren. An der Kasse, im Reisebüro, beim Autokauf, vor dem Strafrichter. Und dann lass ich mich jedes Mal mit den billigsten und rechtlich unhaltbaren Ausreden abspeisen. Doch das ist eine andere Geschichte...

Zitiervorschlag

Ahmet Kabakyer, Of all the things I’ve lost – I miss my mind the most – Wie das Jurastudium mich verändert hat: Neulich im Fitnessstudio . In: Legal Tribune Online, 10.11.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7513/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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