Köpfe im Rechtsmarkt: LTO Most Wanted mit Mohamad El-Ghazi

von Stefan Schmidbauer

09.05.2025

Mohamad El-Ghazi kennt keine Angst vor "schlechten" Paragrafen, zweifelt an der Aufrichtigkeit von ChatGPT und verrät, wo er echte Ruhe findet.

Prof. Dr. Mohamad El-Ghazi ist Inhaber des Lehrstuhls für Deutsches und Europäisches Strafrecht, Strafprozessrecht und Wirtschaftsstrafrecht an der Universität Trier; Dekan des Fachbereichs Rechtswissenschaft und geschäftsführender Direktor des Trierer Instituts für Geldwäsche- und Korruptionsstrafrecht. Nebenbei ist er auch noch als Podcaster (Das Letzte Wort) und Youtuber (NachJuStiert) aktiv.

Mein typischer Montag: Der Beruf des Hochschullehrers ist derart abwechslungsreich, dass es eigentlich nicht den "typischen" Arbeitstag gibt – erst recht nicht mehr, seit ich Dekan meines Fachbereichs bin.

Mein Tag startet in der Regel um sechs Uhr morgens. Gerne lese ich noch im Bett einen Beitrag oder Urteile und frühstücke nebenbei (meistens Brot mit Olivenöl und libanesischem Zaatar). Spätestens um acht Uhr beginnt mein regulärer Berufsalltag: Mails beantworten, Vorlesungen vorbereiten, wissenschaftliche Beiträge schreiben, Klausuren, Seminar- oder Doktorarbeiten lesen und bewerten und was sonst noch so ansteht. Abends häufig Abendessen mit Kolleg:innen und Nachrichtenstudium.

Mein Getränk und meine Bar: Aktuell trinke ich gerne wieder Club Mate und Cortado mit Hafermilch Monarch Bar am Kottbusser Tor – hier habe ich mein gesamtes Referendariat verbracht. Das ist nicht unbedingt eine Bar für Juristen.

Ein Song, ein Buch, eine Stadt: 

"New Home" von Bukahara

"Wenn Du erzählst, erblüht die Wüste" von Rafik Schami

Natürlich Beirut

Warum Jura? In jedem Fall auch wegen Diskriminierungserfahrungen, die meine Familie und ich in Deutschland gemacht haben. Meine Devise seither: Kenne Deine Rechte!

Zahl meiner Arbeitsstunden pro Woche: Echte Arbeitszeit: max. 50 Stunden; Jura: auch gerne mehr!

Ein juristisches Problem, das mich aktuell umtreibt: Heute: Die Grenzen der Verlesbarkeit von Sachverständigengutachten im Strafverfahren nach § 256 Abs. 1 Nr. 1 StPO. Die nächsten Wochen: Verfassungsmäßigkeit von Beweiserleichterungen im Einziehungsrecht.

Ein Paragraf des Grauens: Je "schlechter" die Vorschrift, desto mehr Arbeit für uns Hochschullehrer:innen. Insofern graut es mir nicht vor schlechten Paragrafen. Wenn Sie mich fragen, welche Strafvorschriften ich aus dem StGB streichen wollen würde, dann gehören dazu (natürlich) das Erschleichen von Leistungen und der Inzestparagraf.

Das größte Plus in meinem Job: Die Freiheit! Es gibt nur wenige Dinge, die ich als Hochschullehrer wirklich machen muss. Wenn mir heute eine spannende Rechtsfrage in den Sinn kommt, dann kann ich mich, wenn ich das denn wirklich wollte, die nächsten fünf Jahre während meiner Arbeitszeit mit dieser Frage befassen.

Das größte Minus in meinem Job: Auch wegen dieser Freiheit ist es nicht so leicht, zwischen Beruf und Privatem zu trennen. Wenn Sie sich für eine Frage wirklich begeistern, dann fällt es schwer, sich am Abend oder am Wochenende eine Auszeit vom Grübeln oder vom Schreiben zu nehmen. Seitdem ich einen Sohn habe, ist es aber deutlich leichter geworden.

Dieses Gesetz habe ich schon einmal gebrochen: § 242 StGB (mit 14 Jahren – Verfahren eingestellt gemäß § 45 JGG) und § 29 Abs. 1 Abs. 1 Nr. 1 BtMG (Anbau von Cannabis – verjährt und inzwischen legal!).

Wäre ich kein Jurist, dann würde ich: Vielleicht in der Kita arbeiten. Beim Spielen mit Kindern entdecke ich wieder das Kind in mir. Was spricht gegen eine Runde Verstecken spielen? Gerade in einem guten Versteck finde ich manchmal einen Moment echter Ruhe.

Meine letzte Frage an ChatGPT: "Kannst Du mir die Fußnoten in dem Aufsatz nach dem folgenden Muster … anpassen?" Hat leider nicht wirklich funktioniert. Ich muss das Prompten wohl noch ein bisschen üben! Außerdem frage ich ChatGPT häufig, ob ein Text von "ihm" stammt. Die Antwort auf diese Frage war bisher immer nein. Dabei bin ich mir ziemlich sicher, dass der Text mit generativer KI geschrieben war. Manche Sachen kann sich auch kein Studierender ausdenken.

Zwei Ideen zur Reform der juristischen Ausbildung: Vielleicht mehr Klausuren im Studium, dafür weniger Stoff im Examen. Die Idee, bestimmte Stoffbereiche (z. B. Arbeitsrecht, Handels- und Gesellschaftsrecht, Baurecht, Strafprozessrecht) im Studium verpflichtend abzuprüfen und diese Bereiche dafür aus dem Examensstoff auszuklammern, finde ich spannend.

Wir dürfen die theoretische Schulung unseres Nachwuchses keinesfalls vernachlässigen. Gleichzeitig müssen wir aber den Praxisbezug weiter stärken. Eventuell wäre ein echtes Praxissemester in einer frühen Phase des Studiums hilfreich. Die Studierenden sollen in der Praxis erleben, wofür sie eine gute universitäre Ausbildung benötigen.

Eine Vorlesung, die Jura-Studierende auf keinen Fall schwänzen sollten: Ich selbst habe keine Vorlesung im Arbeitsrecht bei Prof. Wolfgang Däubler (damals Universität Bremen) geschwänzt. Herr Däubler wusste die Studierenden für die Materie zu begeistern – erstklassiges Entertainment. 

Aber auch die Vorlesungen im Strafrecht Allgemeiner Teil von Prof. Hoyer von der Universität in Kiel sollte man nicht verpassen, gerade nicht die Einheit zum unmittelbaren Ansetzen bei mittelbarer Täterschaft. Herr Hoyer hat früher echten Bärwurz (sog. Bärwurz-Fall bzw. Passauer Giftfalle, BGHSt 43, 177 ff.) in der Vorlesung ausgeschenkt.

Diese/n Juristin/Juristen müssen die LTO-Leser kennenlernen: Jan Philipp Albrecht, ehemaliger Abgeordneter im EU-Parlament, Landesminister in Schleswig-Holstein, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung und nebenbei ein guter Jurist und herzlicher Mensch!

Mehr Most Wanted? Hier geht es zu den bisherigen Ausgaben: Tom Braegelmann | Incoronata Cruciano | Joachim Ponseck | Marc Roberts | Maximilian Riege | Fatima Hussain | Anne Graue | Victoria Fricke | Ann-Kathrin Ludwig | Stephanie Beyrich | Christiane Eymers | Martina Rehman | Martina Flade | Saskia Schlemmer | Marco Buschmann | Neda Wysocki | Anosha Wahidi | Gregor Gysi | Dirk Wiese | Konstantin von Notz | Sabine Stetter | Katharina Humphrey | Jutta Otto | Hanno Kunkel | Alfred Dierlamm

Zitiervorschlag

Köpfe im Rechtsmarkt: . In: Legal Tribune Online, 09.05.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/57142 (abgerufen am: 14.05.2025 )

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