Die unbeliebten Vorgänger von Charles III.: Einige Gesetze des vor­letzten Karl

von Martin Rath

18.09.2022

Der Mann war noch nicht im Amt, aber bei vielen Untertanen schon völlig unbeliebt: König Charles. Ein Blick ins englische Gesetzblatt zeigt, woher die Abneigung kam – es sind keine rosigen Erinnerungen für Monarchisten. 

Die Machenschaften einer geheimen Kongregation des Vatikans bildeten den Stoff für den Science-Fiction-Roman "Das Königsprojekt" des bayerischen Schriftstellers Carl Amery (1922–2005). 

Mit Hilfe einer von Leonardo da Vinci erfundenen Zeitmaschine entsendet dieser päpstliche Geheimdienst ausgewählte Schweizergardisten in die Vergangenheit, um für die katholische Kirche unangenehme Ereignisse der Geschichte zu korrigieren. 

Dabei bleibt er freilich stets erfolglos. Im "Königsprojekt" geht es um den Versuch, die Dinge auf der britischen Hauptinsel – England, Wales, Schottland – neu zu richten, indem der Geschichtsverlauf zulasten der aus Hannover stammenden Königsfamilie und zugunsten der älteren englisch-schottischen Dynastie der Stuarts korrigiert wird, die dem Katholizismus weitgehend treu geblieben war. 

Zum Glück, nicht nur für die britischen Untertanen, sondern wohl auch für den Thronprätendenten – Erben des Hauses Stuart sind die Wittelsbacher –, scheitert auch Amerys "Königsprojekt". Ein erstes Indiz für die Unbeliebtheit der Stuarts: Charles I. (1600–1649) wurde nach Urteil eines Sondergerichts, des High Court of Justice, durch das Schwert hingerichtet. Elf Jahre lang firmierten die britischen Inseln als Republik. 

Auch als sein Sohn, Charles II (1630–1685), im Jahr 1660 aus dem Exil zurückkehrte, um der Herrschaft der republikanischen Königsmörder ein Ende zu bereiten, jubelte in London zwar viel Volk, doch hatten Jahre relativer Pressefreiheit auch die garstigen Stimmen trainiert: "Wozu all dieser Wirbel, um einen Bastard heimzuholen", ist von einem Londoner überliefert. Ein Glaser aus Wapping – also ein Angehöriger des handwerklich und kapitalistisch begabten Bürgertums – bekundete, er habe "nicht übel Lust, mit meinem Messer den König zu erdolchen". In Newcastle hieß es, man wolle dem neuen König "das Fell über die Ohren ziehen" – Sachkunde lässt sich im Land der Schafe ja unterstellen. 

König Charles macht sich unbeliebt 

Durch die wiederhergestellte Herrschaft des Königs unmittelbar bedroht fühlen durften sich vor allem jene Angehörigen der englischen Oberschicht, die im Kern der republikanischen Verschwörung gestanden hatten. 

Zwar regelte das Gesetz – "An Act of Free and General Pardon, Indemnity, and Oblivion" – aus dem Jahr 1660 eine allgemeine Begnadigung für viele Verbrechen, die in den Jahren der Republik begangen worden waren. Ausgenommen von der Generalamnestie blieb aber neben Piraterie und Hexerei, wie es im Shakespeare-Englisch des Gesetzes heißt, auch der "murder", sofern der Mord nicht von Parlament oder Krone angeordnet war – erst recht die Beteiligung am Urteil und der Hinrichtung von König Charles I. im Jahr 1649. 

Sofern sie nicht gesondert begnadigt wurden oder ins Ausland fliehen konnten – oft ins Gebiet der heutigen Schweiz –, drohte den "Königsmördern" ein grausamer Tod. Der Abgeordnete Gregory Clement (1594–1660) beispielsweise, der zu den 59 Männern zählte, die das Todesurteil unterzeichnet hatten, wurde in auf dem Londoner Charing-Cross-Platz gehängt, ausgeweidet und gevierteilt – noch bis 1870 die formal angedrohte, in der Praxis aber später abgemilderte Sanktion für alle erdenklichen regierungsfeindlichen Straftaten im britischen Königreich. An den Überresten des vor der Rückkehr des Königs verstorbenen Oliver Cromwell (1599–1658) wurde die Hinrichtung immerhin symbolisch vollzogen: Leichenschändung lege artis. 

Ehe-, Armen- und Landgesetzgebung – tiefe Eingriffe in die Sozialordnung 

Wesentlich tiefer in die Welt der einfachen Leute griffen aber andere Gesetze ein. 

Mit der Republik der Jahre 1649 bis 1660 war etwa die weitgehende Beschneidung von Rechten der anglikanischen Hochkirche verbunden gewesen.  

In der heutigen konfessionellen Unverbindlichkeit wird dahinter oft ein harmloser Akt unverbindlicher religiöser Meinungsbildung verstanden. Doch hatte die republikanische Herrschaft der – oft holzschnittartig, teils sehr falsch als lustfeindlich verrufenen –Puritaner die Vertreter der anglikanischen Hochkirche ganz konkret aus dem Leben des einfachen Volks gedrängt. Seit 1653 wählten die Kirchengemeinden eine Art Standesbeamten. Der anglikanische Klerus wurde damit aus der Hochzeitszeremonie entfernt. Das neue Eherecht verlangte zwar nach wie vor von den Ehefrauen das Versprechen ab, ihrem Gatten "gehorsam" zu sein, im Übrigen versprachen sich die Eheleute aber nur, einander "liebevoll und treu" zu dienen. Das Heiratsalter wurde für Männer auf 16, für Frauen auf 14 Jahre festgelegt. Wer arm war, hatte nun bessere Aussichten, seine ungeordneten sexuellen Verhältnisse durch die Obrigkeit anerkannt zu finden. 

Mit dem "Act for Confirmation of Marriages" aus dem Jahr 1660 wurden diese Zustände – sofern formal und amtlich vollzogen – zwar anerkannt, doch wurde der anglikanische Klerus wieder in sein Recht gesetzt, das Liebesleben der einfachen Leute hoheitlich zu regeln, und zwar nach dem alten hochkirchlichen Ritual. Offiziell begründet wurde die Rückkehr zur alten Eherechtsordnung unter anderem mit der Erwägung, man wolle die Gemeinden von den Kosten für uneheliche Kinder entlasten, weil nun die sexuelle Moral wieder verbessert würde. 

Gravierende Konsequenzen für die Eigentumsordnung hatte ein Akt aus den Zeiten der Republik. Es war die Verfügungsgewalt über Grund und Boden ein Stück weit aus der alten feudalrechtlichen Ordnung – der König war ja fort – gelöst und mehr der Kernlogik eines eigentumsrechtlichen Systems unterworfen worden. Die Nutzungsinteressen der kleineren Bauern und Pächter blieben dabei weitgehend unberücksichtigt, was eine starke Effizienzsteigerung – Wirtschaftshistoriker sprechen von einer Industrialisierung – der englischen Landwirtschaft bedingte. 

Mit der Schattenseite dieser Ordnung, der weiteren Verdrängung kleiner Bauern vom primär zur Selbstversorgung genutzten Boden, befasste sich König Karls "Act for the better Releife of the Poore of this Kingdom". Geregelt wurde nun, welcher Gemeinde die Kosten für die Notversorgung der Armen aufzubürden waren. Die Friedensrichter waren ermächtigt, Arme aus den Orten ihres jeweiligen Aufenthalts auszuweisen. Dieses ortsgebundene Armenrecht wurde auch für Deutschland vorbildlich. 

Fleißige Gesetzgebung, nicht alles hatte Bestand 

Während der Jahre der britischen Republik hatte zeitweise eine für europäische Maßstäbe ganz außerordentliche Pressefreiheit geherrscht. Nach Angaben des Historikers Christopher Hill (1912–2003) waren im Jahr 1640 in England nicht mehr als 22 Flugschriften erschienen. Im Zeitalter Königin Elisabeths I. (1533–1603) hatte man die Gefahren der Gutenberg'schen Medienrevolution erkannt und mit strenger Zensur vorgebeugt. Für das Jahr 1642 zählte Hill nicht weniger als 1.966 Publikationen – nach heutigen Maßstäben eine vielleicht immer noch geringe Zahl, bei der aber die Verbreitungsformen einer mündlich kommunizierenden Kultur nicht unterschätzt werden dürfen – etwa das Vorlesen oder Singen von gedruckten Texten in Gastwirtschaften. 

Zu den Schriften, die in der Zeit der als lust- und geistfeindlich verrufenen Puritaner die englischen Druckerpressen verließen, zählten eine Übersetzung des Koran, die für strikt monotheistische christliche Sektierer sehr interessant war, oder sogar Schriften über freie Liebe und Polygamie. 

Damit war dank der neuen Zensurgesetzgebung von König Charles II. erst einmal Schluss. Namentlich kirchliche Amtsträger übten wieder eine strenge Vorzensur aus. Freilich hielt das Druckverbot mit Erlaubnisvorbehalt nur bis 1695, weil die niederländische Konkurrenz zeigte, wie viel Geld sich mit unzensierten Schriften verdienen ließ. 

Das Parlament unter König Charles II. kümmerte sich auch um harmlose Dinge, etwa die problematische Qualität von Käse und Butter. Die Regelungen des "Act for reforming of Abuses committed in the Weight and false Packing of Butter" aus dem Jahr 1662 mussten allerdings vom 18. bis ins 20. Jahrhundert vom britischen Gesetzgeber immer wieder neu in Erinnerung gerufen werden. Käseverfälschung war offenbar ein lukratives Geschäft. Die Brexiteers wussten wohl nicht immer, für welche Souveränität sie kämpften. 

Jamaika, Dünkirchen und die esoterische Medizin 

Die Abneigung der Regierung von Charles II. gegen legislative Vorgänge aus den Zeiten der Republik machte es nicht nur im Eherecht notwendig, für Ordnung zu sorgen. 

Noch unter Cromwell hatte sich das Commonwealth of England die Herrschaft über die Karibikinsel Jamaika und über Dünkirchen in den Spanischen Niederlanden gesichert. Mit einem Parlamentsbeschluss vom 11. September 1660, der nun die Krone zur Annexion dieser Gebiete aufforderte, konnte Charles II. nur bedingt etwas anfangen: Dünkirchen verkaufte er 1662 gegen den horrenden Betrag von fünf Millionen Pfund an seinen französischen Kollegen Ludwig XIV. (1638–1715). Jamaika, diese trotz jüngster Postcolonial-Wissenschaft, nicht königliche, sondern republikanische Eroberung, wurde hingegen zum Herzstück des transatlantischen Sklavenhandels und der mörderischen karibischen Plantagenwirtschaft im Dienst der Zuckerproduktion. 

Vage zu befürchten, dass Charles III (1948–). in die Fußstapfen von Charles II. treten wird, ist übrigens schlimmstenfalls auf dem Gebiet der Heilkunst.  

Während sich der heutige Fürst der Briten immerhin als recht rabiater Lobbyist der Homöopathie betätigt hat, arbeitete sein Vorgänger noch selbst auf dem Feld der esoterischen Medizin: Dank seiner Ausstattung mit den magischen Fähigkeiten, die den englischen und französischen Königen zugeschrieben wurde, soll Charles II. während seiner Regierungszeit bis zu 92.000 Menschen die Hand aufgelegt haben, um sie von der Hautkrankheit der Skrofeln zu heilen. 

Das wäre nun eine ausschließlich lustige Geschichte, müsste man nicht fürchten, dass sogar eingefleischte Republikaner stets hohe Heilserwartungen in jegliche politische Führung setzen. Zeitmaschinen bräuchte es eben ab und zu nicht nur, um gekrönten Häuptern den Kopf zu waschen. 

Zitiervorschlag

Die unbeliebten Vorgänger von Charles III.: . In: Legal Tribune Online, 18.09.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49646 (abgerufen am: 06.12.2024 )

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