Kleine Hotels: Zuhause-Ersatz statt Wellness-Landschaft

von Gil Eilin Jung

23.04.2010

Wer auf Geschäftsreisen die Nase voll hat von anonymen First-Class-Festungen und nicht unbedingt auf einen 24-Stunden-Bügelservice oder Sterne-Küche Wert legt, findet in manchen Mittelklassehotels eine kuschelige Alternative. Klein, nicht ganz so fein, aber Dein - so heißt die Losung.

In Ulrich Straten steckt, wie in vielen Hoteliers, eine Art Hobby-Analytiker. Ein Blick genügt dem 52-jährigen Besitzer des Bremer "Residence Hotels", und er kann mit der Präzision eines Chirurgen sagen, was dem Hotelgast fehlt.
"Der Punkt ist, dass ich als Chef eines kleinen Hauses die Witterung physisch aufnehmen kann und Sorgen, Nöte und Wünsche des Gastes ad hoc erfasse und umsetze", betont Straten.

Ein nicht zu unterschätzender Vorteil für Stratens Haus der Kategorie "Komfort plus" (gehobener Drei-Sterne-Bereich) gegenüber der dienstleistungsstärkeren First-Class-Konkurrenz. Denn wo namhafte Hotelketten dem anspruchsvollen Business-Traveller mit Hang zum Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom hinterherhecheln, können sich die kleineren Häuser entspannt dem widmen, was sie am besten können: eine heimelige, rundherum gemütliche Atmosphäre schaffen. Das Ergebnis: ein Hotel als Zuhause-Ersatz.

Sauberkeit und Ruhe wollen die Gäste

Auf die Frage nach den Prioritäten der Gäste fand der Deutsche Hotel- und Gaststätten-Verband Dehoga in seiner jüngsten Studie heraus, dass vermeintliche Banalitäten wie "Dusche/Bad und WC", "ruhiges Schlafen" und "Frühstücks-Buffet" die ersten drei Plätze belegten. Erst weiter hinten auf der Liste finden sich Kriterien wie "Wellness" oder "Sauna und Dampfbad". Synome dafür, es sich gut gehen zu lassen.

Das hängt mit der Veränderung der Bewertungskriterien zusammen, wie der Hauptgeschäftsführer des Hotelverbandes Deutschland, Markus Luthe, meint. Luthe spricht vom Ende des klassischen "Zwei-Säulen-Modells" in dem allein Einrichtungs- und Ausstattungskriterien überwogen haben: "Jetzt wird die Säule der Dienstleistungskriterien deutlich breiter."

Ob nun aber groß und anonymer oder klein und intimer, hängt nicht zuletzt mit Alter und Status des Gastes zusammen, wie Ulrich Straten beobachtet hat. Der Bremer Hotelier der 60 Betten starken "Residence" glaubt, dass es "zum Leistungspaket aufstrebender Karrieremenschen" dazu gehöre von ihren Firmen hofiert zu werden mit Dauerabos für Ritz Carlton, Hyatt oder Hilton.

Später jedoch, mit zunehmendem Alter und höherem Posten, so der Bremer Hotelier, wollten dieselben Menschen das gar nicht mehr. "Das sind dann Gäste, die zu uns kommen, weil sie sich freuen, wenn am Empfang noch die Dame vom letzten Jahr sitzt, die auch im nächsten Jahr noch dort ist, sich an den Namen erinnert und drei fröhliche Sätze mit einem spricht."

Mit Kleinigkeiten überraschen

Kleine Hotels seien näher am Kunden, enger in der Führung von Mitarbeitern, gezielter bei den Gästen, so Straten. "Ein kleines Haus bedeutet: reinkommen, wiedererkannt werden, das zweite Kissen ohne Aufforderung auffinden, die Latte Macchiato zum Frühstück nicht extra zahlen, mit Kleinigkeiten überrascht werden." Damit dieses Konzept aufgehe, müsse das Management groß denken: "Von der Struktur her läuft solch ein Hotel wie ein großes Haus - aber mit dem Fingerspitzengefühl eines kleinen Hauses."

Auf Freundlichkeit und Intimität wird auch in Hotels mit vier oder mehr Sternen geachtet. "Das ist aber unecht", wendet Straten ein. "Dort werden 25-jährige Deskmanager morgens mit Gästelisten gedrillt und der Gast hört seinen Namen so penetrant oft, dass ihm die Ohren abfallen. Bei uns kennen wir den Kunden wirklich."

Aber auch im mittleren Hotelsegment steigen die Ansprüche. Dinge wie WLAN in allen Räumen, internationale TV-Programme und "Kissenmenues" sind inzwischen Standard. Der Unterschied besteht in der Bodenhaftung der Kunden. "Unsere Gäste sind nicht überzogen anspruchsvoll. Mitunter sind sie aber solventer als solche, die de luxe absteigen", erzählt Straten. Oft seien es Unternehmer mittelständischer Firmen, die "vor lauter Bodenhaftung mit den Schuhen auf dem Asphalt festkleben".

In die – wenn auch nur gedankliche – Versuchung, einmal Chef eines Luxus-Hotels zu werden, kommt Dreieinhalb-Sterne-Mann Straten nicht: "Den Fünf-Sterne-Kunden finde ich so fürchterlich anstrengend, weil seine Ansprüche derart überzogen sind, dass sie selbst ein gutes Haus kaum erfüllen kann." Da müssten Dienstleistungen erbracht werde, die mehr mit der Ehrerbietung an den Status des Gastes zu tun hätten, als mit Servicegedanken.

Zitiervorschlag

Gil Eilin Jung, Kleine Hotels: Zuhause-Ersatz statt Wellness-Landschaft . In: Legal Tribune Online, 23.04.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/383/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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