"Die Kartoffel hat dem deutschen Volke von jeher über schwierige Zeiten hinweggeholfen": Wer es gesagt hat, wie es gemeint war und warum die Knolle oft vor Gericht gelandet ist, erklärt Martin Rath. Dumme Bauern sind dabei auch ein Thema.
Nur um wenige Jahre hat es die Kartoffel verfehlt, zur Leitfrucht des deutschen Notwehrrechts zu werden. Aber knapp vorbei ist eben auch danebengeschossen. Jedenfalls entschied das Reichsgericht mit Urteil vom 12. Oktober 1925 zur Frage, wie weit ein Bauer zur Verteidigung seines Ackers gehen durfte.
Zwei Jahre zuvor, in den Abendstunden des 18. Oktober 1923, war der später klagende Mann mit seinen Begleitern dabei angetroffen worden, Kartoffeln vom Feld des später beklagten Bauern zu entwenden. Der Landwirt war bewaffnet, er verletzte den Dieb durch Schrotschuss erheblich.
Das Landgericht (LG) Hannover wies die Klage des Kartoffeldiebes auf Schadenersatz ab. Das Oberlandesgericht (OLG) Celle gab ihr dagegen teilweise statt, mit dem Argument, dass der Bauer zwar nicht auf den klagenden Mann gezielt, aber einen Schreckschuss ins Erdreich in seiner Richtung abgegeben habe, was "wenn Menschen in der Nähe seien, stets eine Gefahr für Leib und Leben dieser Menschen bilde, besonders hier, wo es dunkel gewesen sei".
Nach Auffassung des OLG Celle war der Schuss "unter dem Gesichtspunkt der Notwehr nicht berechtigt", weil der Bauer ihn abgab, "nachdem sich die Kartoffeldiebe zur Flucht gewendet" hatten, und eine Rückkehr der Diebesbande nicht zu befürchten gewesen sei.
Das Reichsgericht sah die Sache anders.
Nach § 227 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist eine "durch Notwehr gebotene Handlung" bekanntlich nicht rechtswidrig. Dabei gilt: "Notwehr ist diejenige Verteidigung, welche erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem Anderen abzuwenden."
Dass sich die Kartoffeldiebe zur Flucht gewendet hatten, änderte laut Reichtsgericht noch nichts an der Gegenwärtigkeit ihres Angriffs, denn unstreitig "führte der Kläger, als er vor dem Beklagten davonzulaufen suchte, einen Rucksack mit gestohlenen Kartoffeln mit sich. Solange er bestrebt war, sich die Diebsbeute zu sichern, dauerte sein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff gegen das Eigentum des Beklagten noch fort, und der Beklagte war berechtigt, die zur Abwendung dieses vom Kläger angestrebten Erfolges erforderlichen Mittel anzuwenden, und zwar auch solche Mittel, die eine Gefährdung des Angreifers an Leib und Leben herbeiführen konnten" (Az. IV 205/25)
Wenn seither nach markigen Beispielen für das deutsche Notwehrrecht gesucht wird, hat der Kartoffelacker jedoch oft das Nachsehen. Denn schon fünf Jahre zuvor hatte der 1. Strafsenat des Reichsgerichts in einem ähnlich gelagerten Fall entschieden – nur war damals der Schuss zwischen Obstbäumen gefallen (Urt. v. 20.09.1920, Az. I 384/20, RGSt 55, 82–87).
Emotionales Verhältnis zur Kartoffel in Krisenzeiten
Dass in der juristischen Überlieferung der Kartoffel- vom Obstbauern aus dem Feld geschlagen wurde, ist bedauerlich – denn die emotionale Beziehung zum Grundnahrungsmittel wurzelt tief.
Nach dem Zweiten Weltkrieg drehten sich etwa sehr viele Anliegen zwischen den alliierten Besatzungsmächten und den wieder zugelassenen, zunächst nur zur Mit- und Selbstverwaltung eingeladenen deutschen Politikern um die Knolle.
In einer Sitzung des Beirats für die Britische Zone am 27. März 1946 berichtete etwa der vor 1933 deutschnationale Landwirtschaftspolitiker Hans Schlange-Schöningen (1886–1960, CDU) lebhaft zur Lage:
"Als ich vor drei Tagen im Auto hierher gefahren kam, da bin ich – ich übertreibe nicht – an einem unermeßlichen Strom von Radlern vorbeigekommen. Diese Radler hatten auf dem Buckel etwa 3/4 Zentner Kartoffeln im Rucksack oder hinten auf dem Rad in Säcken aufgebaut. Ich schätze, daß ich auf einer Strecke von 11 km an Menschen vorbeigefahren bin, die 70 bis 80 [Zentner] Nahrungsmittel bei sich hatten. Das war eine einzige Straße nach Hamburg."
Während in den ausgebombten Städten die Lagerung von Kartoffeln zum Problem wurde (die Keller hatten vielfach als Wohnraum herzuhalten), beriet der Zonenbeirat über Möglichkeiten, den Schwarzhandel zu unterbinden. Irgendwie sollten zudem, während die Fettzuteilung auf 200 Gramm je Monat zur Diskussion stand, wenigstens zwei Kilogramm Kartoffeln pro Kopf und Woche bereitzustellen sein – alles im Bewusstsein, dabei wohl hinter den Wünschen zurückzubleiben.
Der Hamburger Bürgermeister Rudolf Petersen (1878–1962) erklärte in der Sitzung: "Die Kartoffel hat dem deutschen Volke von jeher über schwierige Zeiten hinweggeholfen. Mit Hafer erzielen wir längst nicht dieselbe Menge je Hektar, und wir erzielen die großen Mengen überhaupt nur in besonders günstigen Jahren. Ich möchte nicht die Verantwortung tragen, ein Jahr mit einer Hafermißernte zu haben, so daß wir nicht wissen, wie wir die Menschen drei Monate lang sattkriegen sollen."
Um den Deutschen nach dem 8. Mai 1945 die Demokratie wieder schmackhaft zu machen, galt es nicht zuletzt, für genügend Kartoffeln zu sorgen. Dabei blieben diese Liebesbekundungen zur Knolle im Jahr 1946 noch zurückhaltend. Zum Vergleich: Während des Ersten Weltkriegs hatte das Reichsgericht in der Zerstörung von Kartoffelpflanzen durch belgische Arbeitskräfte ein nachgerade hochverräterisches Unternehmen gesehen.
"Fahrendes Volk" als Gefahr für Kartoffelvorräte?
Wurde im Jahr 1914 die Bedrohung der deutschen Kartoffel in "reichsfeindlichen" belgischen Arbeitern entdeckt, sah sich ein Landwirt am Rand der Stadt Celle in den späten 1940er, frühen 1950er Jahren von "Zigeunern und sonstigem fahrenden Volk" bzw. "kriminellen Elementen" – im juristischen Sprachgebrauch damals ohne Anführungszeichen – bedroht.
Die Stadt Celle hatte 1934 in der Nähe seines Hofs einen "Wohnwagenplatz für durchziehende Zigeuner" errichtet, hinzu kamen 1935 eine "Baracke zur Unterbringung von Obdachlosen", in den Jahren 1937 und 1950 jeweils eine weitere Behelfsunterkunft.
Weil ihm durch Diebstahl insbesondere ein Pferd im Wert von über 900 DM sowie Kartoffeln im Wert von mindestens 200 DM abhandengekommen waren, verlangte er Schadenersatz aus Amtshaftung, § 839 BGB, von der Stadt, weil diese nicht genug getan habe, die Nachbarschaft vor der Gefahr zu sichern, die von den im Lager lebenden Menschen ausging – in diesem Punkt bestand offenkundig überhaupt kein Zweifel.
Die fortgesetzten Kartoffeldiebstähle waren nicht zuletzt aus Verjährungsgründen relevant.
Unter Vorsitz von Willi Geiger (1909–1994), vordem Staatsanwalt am Sondergericht Bamberg, jetzt gleichzeitig Richter am Bundesverfassungsgericht und am Bundesgerichtshof (BGH), entschied der BGH mit Urteil vom 1. Februar 1954 (Az. III ZR 299/52), dass bei der polizeilichen Gefahrenabwehr – der Einrichtung eines (Konzentrations-)Lagers für "alle asozialen Personen aus der Stadt" – die Belastung der Nachbarschaft berücksichtigt werden müsse. Den Zusammenhang zwischen den Diebstahlsfällen und den Bewohnern des Waldlagers hatte das Berufungsgericht jedoch noch zu klären.
Schokolade und veredelte Kartoffeln: Slapstick bei der Bundeswehr
Vom heißbegehrten Grundnahrungsmittel zum Naschwerk einer langsam verfettenden Gesellschaft veredelt spielte die Kartoffel nur gut zehn Jahre später in einer juristischen Bundeswehrgroteske ihre Rolle. Derlei kam gar nicht selten vor, als hätten gelangweilte Männer mittleren Alters in Uniform einen Hang zum Absurden.
In einer damals als "Schule der Technischen Truppe I" genutzten Kaserne in Darmstadt war im Lauf des Jahres 1965 ein Verschwinden von Schokolade, fischförmigem Knabbergebäck und Kartoffelchips aus einem Vorratsraum festgestellt worden.
Um den mutmaßlichen Dieb endgültig zu überführen – ein Soldat hatte sich erfreulicherweise bereits durch raschelndes Verpackungsmaterial verdächtig gemacht –, betrieb die Truppe einen erstaunlichen Aufwand. Die Zugänge zum Vorratsraum wurden derart reduziert, dass nur noch ein Weg möglich war, und von einer Türe die Klinke entfernt, damit ein Kamerad, dem die Überwachung befohlen wurde, ein gutes Beobachtungsloch erhielt.
Zunächst zur Entfernung aus dem Dienst verurteilt, wehrte sich der solcherart überführte Soldat erfolgreich, wobei ihm attestiert wurde, "unbestritten gute Dienste geleistet und in Krieg und Frieden seinen Mann gestanden" zu haben.
Die Berufungsschrift des Beschuldigten deutete jedoch wie ein stummer Schrei auf die Tatsache hin, dass die Bundeswehr erst im Lauf der 1970er Jahre zur militärisch seriösen, also NATO-kompetenten Truppe werden sollte – und bis dahin vielfach noch Versorgungseinrichtung für ehemalige Wehrmachtsangehörige blieb. Zwar führte der Soldat noch nachvollziehbar an, dass das Truppendienstgericht ihm unzulässig frühere Kartoffelchips- und Schokoladendiebstähle angelastet hatte, vor allem aber habe es seine "psychologische Situation" verkannt.
Ausgerechnet, weil ihn seine Kameraden bereits zuvor als tatverdächtig behandelt hätten, habe er "versucht, irgend etwas anzustellen, um in persönlichen Kontakt mit den von ihm geschätzten Kommandeur der Schule zu kommen. Dazu habe er bewußt bei einer Tat ertappt werden wollen. Nachher sei dann alles ganz anders gekommen. Sein Verhalten könne nachträglich betrachtet naturgemäß nur als dumm und nicht etwa als besonders durchtrieben bezeichnet werden, wie dies das Truppendienstgericht meine. Er habe keinen Anlaß gehabt, die wertlosen Dinge zu stehlen. Er esse selbst überhaupt keine Schokolade. Hieraus ergebe sich die Folgerung, daß er entweder nicht im vollen Besitz der geistigen Kräfte gewesen sei oder völlig kopflos gehandelt habe, und zwar dies selbst in Anbetracht des planvollen Handelns beim Einpassen der Schlüsseln."
Für die "psychologische Situation" des Soldaten sollte es, so führte er an, auch noch nachteilig gewesen sein, dass er im Zweiten Weltkrieg eine schwere Kopfverletzung erlitten und am 16. August 1965 Blut gespendet hatte – drei Monate, bevor man ihn durchs Schlüsselloch beim Zugriff auf die Vorräte beobachtete.
Weil ihm nur ein Schokoladen-, nicht aber vorhergehende Kartoffelchips-Diebstähle nachgewiesen werden konnten und – wie erwähnt – bisher "gute Dienste" attestiert wurden, wurde der Soldat zwar degradiert, nicht aber aus dem Dienst entfernt (Bundesdisziplinarhof, Urt. v. 21.06.1967, Az. I WD 36/66).
Kein Sprichwort ohne Gegenstück
Die Verteidigungsstrategie, im Dienst bei der Bundeswehr bleiben zu dürfen, weil man psychisch nicht ganz auf der Höhe (gewesen) sei, diese Verbindung aus Schläue und Unbedarftheit, lässt sich vage als Variante eines Satzes verstehen, der dem französischen Staatsmann Charles-Maurice de Talleyrand (1754–1838) zugeschrieben wird: "Deserteure müsste man gleichzeitig wegen Feigheit erschießen und wegen Klugheit auszeichnen."
Dieses hübsche Paradox, das zum biografisch sehr wendigen Talleyrand passte, vereint zwei normative Aussagen – ein Phänomen, das sich in Alltagsweisheiten leider oft auf mehrere Sprichwörter oder prinzipielle Sätze verteilt findet. Ein Gegenstück zu: "Der dümmste Bauer erntet die dicksten Kartoffeln" bilden etwa die sprichwörtlichen Aussagen "Ohne Fleiß kein Preis" oder "Wer ernten will, muss säen."
Andere Sprachen kennen ähnlich gegensätzliche Sprichwortpaare, im Englischen etwa: "Even a blind squirrel finds a nut" und: "Success is 1% inspiration, 99% perspiration." Und möglicherweise gibt es überhaupt kein klassisches Sprichwort, zu dem sich nicht auch ein entsprechendes Gegenstück findet.
Der amerikanische Gelehrte Herbert A. Simon (1916–2001) wies 1946 in seinem Aufsatz "The Proverbs of Administration" für die seinerzeit teils noch recht jungen Sozialwissenschaften darauf hin, dass die Anwendung eines "Sprichworts" ohne Rücksicht auf sein Gegenstück in die Irre führe. 1978 mit dem Alfred-Nobel-Gedenkpreis der Schwedischen Reichsbank für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet, ist Simon heute auch als Vordenker von Problemen der künstlichen Intelligenz bekannt.
Dicke der Kartoffel lässt nicht auf Qualität des Bauern schließen
Die frühe Betriebswirtschafts- und Organisationslehre war, so ein Ausgangspunkt Simons, vielfach noch davon geprägt, Prinzipien einseitig zu betonen. So konnte es geschehen, dass etwa ein Organisationstheoretiker energisch zum Beispiel die Vorteile von Einheitlichkeit und Geschwindigkeit würdigte, die durch eine Zentralisierung von Entscheidungen in einer Hierarchie entstehen, dabei aber die Vorteile dezentraler Entscheidungen vernachlässigte oder ganz ausblendete – etwa ihre bessere Passung an konkrete Umweltbedingungen.
Noch heute dürfte ein nicht unwesentlicher Teil des Geschäfts von Unternehmensberatern darauf beruhen, zunächst die vorteilhafte Seite von vagen Prinzipien wie “Zentralisierung führt zum Erfolg” oder "Flache Hierarchien erhöhen die Transparenz" stark zu machen, um erst im weiteren Consulting wieder auch die Bedürfnisse von Dezentralität oder optimaler Kontrollspannen ins Spiel zu bringen.
Sogar Fragen der Staats- und Verwaltungspraxis werden, vor allem, wenn "Reformen" gewünscht sind, nicht selten auf einem Reflexionsniveau verhandelt, das nur eine Seite der Medaille sehen will. Für Geduld in der Politikberatung bekommen Staatsrechtslehrer vermutlich die vielen "h.c. mult.".
Juristinnen und Juristen sind zwar von jeher rhetorisch zu gewitzt, um sich allzu lange auf einseitige Prinzipien vom Typ des "dümmsten Bauern" einzulassen. Wer sich etwa zu einem "fiat iustitia et pereat mundus" versteigt, wird ja rasch mit einem "summum ius summa iniuria" konfrontiert.
Aber leider findet sich wegen dieser Vorsicht auch nur selten ein kreativer Gebrauch juristischer "proverbs". Dem Berliner, im Londoner Exil verstorbenen Zivilrechtslehrer Martin Wolff (1872–1953) wird zum Beispiel die witzige Aussage zugeschrieben, es gebe im Grunde nur zwei juristische Prinzipien: "Da könnte ja jeder kommen!" und "Das wäre ja noch schöner!"
Von der Dicke dieser Kartoffel lässt sich also kaum auf die Qualität des Bauern schließen.
Rechtsgeschichte: . In: Legal Tribune Online, 12.10.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/58357 (abgerufen am: 14.11.2025 )
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