Karneval im Unrechtsstaat: Krakehlkopfentzündung

von Martin Rath

10.02.2013

2/2: Kammerpflicht für Karnevalisten

Das Reichskulturkammergesetz vom 22. September 1933 (RGBl. I, S. 661) schrieb in der unglaublichen Blankett-Norm seines § 1 außerdem vor: "Der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda wird beauftragt und ermächtigt, die Angehörigen der Tätigkeitszweige, die seinen Aufgabenkreis betreffen, in Körperschaften des öffentlichen Rechts zusammenzufassen."

Damit wurden alle, die im Zusammenhang mit dem Karneval öffentlich tätig werden wollten, von der Kammerpflicht erfasst. Der Büttenredner Karl Küpper (1905-1970), der heute vom linksliberal-grünen Alternativkarneval verehrt wird, benötigte für seine Auftritte die Genehmigung der zuständigen Teilkammern – was diesen einerseits zwar die Nachzensur seiner teils regimekritischen Reden erlaubte, andererseits aber den durchaus lukrativen Markt der Karnevalskunst leerräumte. Für die wenigen 'Comedians' der NS-Unterhaltung sind Jahreseinkommen von stolzen 10.000 Reichsmark überliefert. Für die Kammermitglieder lohnte sich die Unfreiheit.

Was an Scherzen kam, war manchmal mutig, aber doch flach: Küpper hob beispielsweise bei Karnevalssitzungen den rechten Arm, eine Anspielung auf den Hitlergruß, und bemerkte: "Su huh litt bei uns dr Dreck em Keller." ("So hoch liegt bei uns der Dreck im Keller.")

Nach einer Inhaftierung durch die Gestapo erzählte Küpper in einer Sitzung „ich han en Krakehlkopfentzündung. Fünf Zäng, die mohten eraus. Die han ich m’r durch de Nas trecke loße! Ich mache de Muhl nit mih op!" ("Ich habe eine Krakehlkopfentzündung. Fünf Zähne mussten heraus. Die habe ich mir durch die Nase ziehen lassen. Ich mache das Maul nicht mehr auf!")

Wie die Tanzmariechen weiblich wurden

Zum Gegenstand eines eigenen Karnevalswagens beim Rosenmontagszug von 1936 wurden die im Reichsgesetzblatt von 1935 (Teil I S. 1145 ff.) veröffentlichten Gesetze.

Der vom Kölner Architekten Franz Brantzky (1871-1945) entworfene Motivwagen zeigt eine "Paragraphen-Figur", die einem Mann auf den Schlips tritt. Der solcherart gewürgte Mann ist – mit wulstigen Lippen, riesiger Nase und übergroßen Händen – dem antisemitischen Klischee der Zeit entsprechend gestaltet.

Die mit einem "Däm han se op d’r Schlips getrodde!" ("Dem haben sie auf den Schlips getreten!") kommentierten Normen sind die der Nürnberger Gesetze. Man muss das als zynische Verharmlosung werten, entzogen diese Gesetze doch Juden die deutsche Reichsbürgerschaft, verboten Eheschließungen zwischen Juden und Personen "deutschen oder artverwandten Blutes" und stellten außereheliche Sexualkontakte unter Strafe. Gesetze, die von der sozialdemokratischen Exilpresse zurecht als Ausdruck eines sexualpathologischer Wahns beschrieben wurden.

Für diese normativen Entrechtungsprozesse hat Ernst-Wolfgang Böckenförde das Wort "Bürgerverrat" geprägt. Das wirkt ein bisschen harmlos. Nicht wegen der Verbrechen, die dann noch folgen sollten. Davon wussten die schamlosen Kölner Karnevalisten 1936 ja noch nichts. Harmlos ist es angesichts der Verratstiefe: Zwölf Jahre zuvor hatte Architekt Brantzky für die jüdischen Gefallenen des Ersten Weltkriegs eine Gedenktafel an der Kölner Hauptsynagoge gestaltet. Man nimmt was man bekommt und verrät seine Mitbürger. Das ist a priori erbärmlich.

Eine bis heute nachwirkende Spur im Karneval hinterlässt auch das Gesetz vom 28. Juni 1935 (RGBl. I, S. 839, 841): Das so genannte Tanzmariechen der uniformierten Karnevalsregimenter war bis zum Erlass dieses Gesetzes – das neben dem ausdrücklichen strafrechtlichen Analogie-Gebot auch drastisch verschärfte Strafbarkeit männlicher homosexueller Handlungen vorschrieb – ein als Frau verkleideter Mann gewesen. Auch die "Jungfrau" im "Dreigestirn" musste jetzt einem weiblichen Darsteller Platz machen. Während das prestigeträchtige Jungfrauenamt nach 1945 wieder an einen Mann ging, blieben die "Tanzmariechen" bis heute weiblich – auch aus Gründen der höheren Popularität und der bald einsetzenden TV-Vermarktung des rheinischen Frohsinns.

Lichtblicke in der NS-Karnevals- und Rechtsgeschichte

Angesichts so viel unerfreulicher Daten muss der Held des Düsseldorfer Vereinskarnevals erwähnt werden, Leo Statz (1898-1943).

Wurde gegen den Kölner Büttenredner-Star Karl Küpper in der Vorkriegszeit wegen Verstoßes gegen das Heimtückegesetz ermittelt, liefen Kritiker des NS-Staats seit dem 26. August 1939 Gefahr, nach § 5 der Kriegssonderstrafrechtsverordnung (RGBl. I, S. 1455) abgeurteilt zu werden. Der prominente Düsseldorfer Karnevalist Leo Statz soll 1943 einem verwundeten Soldaten gegenüber geäußert haben, dass der seine Knochen für Hitler hingehalten habe und es, so schwer beschädigt, nicht leicht haben werde. Der Volksgerichtshof unter Vorsitz von Dr. iur. Roland Freisler verurteilte Statz wegen Wehrkraftzersetzung zum Tod (Urteilstext hier).

Josef Grohé, der Kölner Gauleiter, der den Kölner Oberbürgermeister – über die traditionelle Funktion dieses Amtes im Fasching hinaus – zum "Treuhänder des Karnevals" ernannt hatte, war offenbar selbst ein zurückhaltender Karnevalsgast gewesen – was seine Besuchsfrequenz betraf.

Als er am 12. Februar 1934 doch einmal zu einem Ball der "Roten Funken" Zutritt verlangte, natürlich ohne Karte und daher zunächst erfolglos, schlug Grohé dem wachhabenden "Funk" Otto Fey die Vorderzähne ein. Fey, ein zwei-Meter-Mann, blieb auf seiner Zahnarztrechnung sitzen und wurde in der Folgezeit schikaniert.

Das ist natürlich unerfreulich. Erfreulicherweise inhaftierte die britische Besatzungsmacht den Kölner Gauleiter nach dem Krieg für insgesamt gut vier Jahre. Und die Briten zerschlugen noch in den 1950er-Jahren – also nach Gründung der Bundesrepublik – ein NS-Netzwerk innerhalb der nordrhein-westfälischen FDP, in das auch Grohé verstrickt gewesen sein soll.

Immerhin blieb der zweiten deutschen Republik damit ein böser Narr als aktiver Politiker erspart.

Literatur:
Zurückgegriffen wurde auf die Disseration von Marcus Leifeld: "Der Kölner Karneval in der Zeit des Nationalsozialismus" (Bonn 2012). Für Wertungen und Zwischentöne ist aber der Autor des vorliegenden Essays allein verantwortlich.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Karneval im Unrechtsstaat: Krakehlkopfentzündung . In: Legal Tribune Online, 10.02.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8129/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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