1952 in Düsseldorf: Ein Pro­zess zum Krieg­s­ende

von Martin Rath

04.12.2022

Vor 70 Jahren sprach der BGH das letzte Urteil in der Sache eines Angeklagten, der im April 1945 an der Tötung eines von fünf Bürgern aus Düsseldorf mitgewirkt hatte. Ihr Ziel war die kampflose Übergabe der Stadt an US-Streitkräfte. 

In den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs war die rheinische Provinzmetropole Düsseldorf zur Frontstadt geworden. Von den gut 500.000 Einwohnern der Vorkriegszeit waren nur circa 250.000 vor Ort geblieben.  

Bevor amerikanische Truppen den rechtsrheinischen Teil der Stadt schließlich am 17. April 1945 von Süden her besetzen konnten, saßen die US-Streitkräfte rund sieben Wochen am linken Rheinufer fest – die Brücken waren zerstört, die Stadt wurde unter Beschuss gehalten. 

Während sich Friedrich Karl Florian (1894–1975), der neben seinem Parteiamt als Gauleiter der NSDAP auch die staatliche Funktion eines Reichsverteidigungskommissars ausübte – eines der zahllosen Ämter des NS-Staats mit wenig eindeutiger Kompetenzausstattung, oft übergriffiger Praxis – für eine bedingungslose Verteidigung der Stadt ohne Rücksicht auf zivile Opfer einsetzte, organisierte sich Widerstand gegen diese Politik der verbrannten Erde. Denn befürchtet wurde, dass die Alliierten eine verteidigte Stadt noch einmal mit mehreren hundert Bombern angreifen würden, um den Blutzoll ihrer Truppen am Boden zu begrenzen. 

Schon seit Februar 1945 hatten sich die Angehörigen der kleinen Widerstandsgruppen in Düsseldorf verständigt, auf eine möglichst kampflose Übergabe der Stadt an die alliierten Streitkräfte hinzuwirken.  

Einer der Gruppen gehörte der stellvertretende Polizeipräsident Otto Goetsch (1900–1962) an, ein promovierter Jurist und Laufbahnbeamter im Polizeidienst mit wechselhafter politischer Anbindung, 1920 bis 1933 Mitglied der SPD, seit 1934 der NSDAP. Beteiligt am Widerstand – der "Aktion Rheinland" – war auch Franz Jürgens (1895–1945), der Kommandant der Schutzpolizei Düsseldorf. Mit ihm trafen sich am 16. April 1945 Angehörige der Widerstandsgruppe um den Rechtsanwalt Karl August Wiedenhofen (1888–1958) im Polizeipräsidium.  

Wiedenhofen und ein Begleiter erhielten provisorische Ausweispapiere, die es ihnen erleichtern sollten, die Befehlsstelle der alliierten Truppen in Langenfeld, einer Nachbarstadt Düsseldorfs, zu erreichen. 

Während es Anwalt Wiedenhofen und seinem Begleiter, dem Architekten Aloys Odenthal (1912–2003), am Nachmittag des 16. April 1945 gelang, die Front zu übertreten und das Gespräch mit dem amerikanischen Kommandeur zu finden, war ihr Vorhaben in der Stadt selbst aufgeflogen. 

Standgerichte gegen die Männer des Düsseldorfer Widerstands 

Auf Betreiben von Gauleiter Florian, der sich noch wild entschlossen zeigte, dem Führerbefehl zur kompromisslosen Verteidigung gegen die alliierten Truppen zu folgen, wurden gegen die Widerstandsmänner, derer man habhaft geworden war, standgerichtliche Verfahren veranstaltet. 

Noch am 16. April wurden der Schutzpolizei-Kommandant Jürgens und vier weitere Düsseldorfer Bürger wegen Kriegsverrats zum Tod verurteilt, am Abend des gleichen Tages und in der Nacht zum 17. April 1945 auf dem Gelände einer Berufsschule erschossen, ihre Leichen verscharrt.  

Zum Opfer fielen diesen justizähnlichen Vorgängen neben dem Polizisten Jürgens der Bauunternehmer Theodor Andresen (1907–1945), der Malermeister Karl Kleppe (1889–1945), der Ingenieur Josef Knab (1894–1945) und der Jurastudent Hermann Weill (1924–1945). 

In dem Standgerichtsverfahren gegen den Schutzpolizei-Kommandanten Franz Jürgens führte sein Kollege Karl Brunshagen, ein Oberstleutnant der Schutzpolizei und Kommandeur einer der sogenannten Kampfgruppen im Stadtgebiet, den Vorsitz. 

Alsbald nach der Hinrichtung flohen Gauleiter Florian und andere führende NS-Vertreter aus der – mutmaßlich aus militärischen Gründen – kampflos geräumten Stadt. 

Gerichtliches Nachspiel nach dem Kriegsende 

Gut sieben Jahren nach der Hinrichtung der fünf Männer auf dem Grundstück der Berufsschule an der Düsseldorfer Färberstraße entschied der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 4. Dezember 1952 (Az. 3 StR 141/51) im Verfahren gegen den vormaligen Oberstleutnant und Standgerichtsrichter Brunshagen. 

Im ersten Durchgang hatte das Landgericht (LG) – Schwurgericht – Düsseldorf das Standgerichtsverfahren unter dem Vorsitz von Brunshagen für als rechtmäßig angesehen, der Oberste Gerichtshof (OGH) für die Britische Zone in Köln hob dieses Urteil auf und verwies die Sache an das LG Wuppertal. 

Auch das Schwurgericht Wuppertal sprach Brunshagen mit Urteil vom 13. Dezember 1950 vom Vorwurf des Mordes, § 211 Strafgesetzbuch (StGB) frei, verurteilte ihn allerdings wegen eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit – nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 Artikel II 1 c – zu einer Gefängnisstrafe von vier Jahren. Diese Vorschrift erklärte zum Verbrechen: "Atrocities and offenses, including but not limited to murder, extermination, enslavement, deportation, imprisonment, torture, rape, or other inhumane acts committed against any civilian population, or persecutions on political, racial or religious grounds whether or not in violation of the domestic laws of the country where perpetrated.

Staatsanwaltschaft wie Verteidigung gingen gegen das Wuppertaler Urteil in die Revision, inzwischen war der BGH insoweit an die Stelle des OGH für die Britische Zone getreten. 

Die Staatsanwaltschaft rügte den Freispruch in der Mordanklage, weil das Standgericht unter dem Vorsitz von Brunshagen auch die reduzierten prozessualen Anforderungen nach der "Verordnung über das Sonderstrafrecht im Kriege und bei besonderem Einsatz (Kriegssonderstrafrechtsverordnung)" vom 17. August 1938 und den zu ihr im Lauf des Krieges erlassenen Durchführungsregelungen verletzt habe. 

Der BGH befand jedoch, das LG Wuppertal habe trotz der "Eigentümlichkeiten" in den Standgerichtsverfahren gegen die fünf Männer des Düsseldorfer Widerstands zu Recht keine bloßen "Scheinverfahren" gesehen: Die "auch bei Standgerichtsverfahren unter allen Umständen zu beachtenden Vorschriften (Hauptverhandlung vor einem mit drei Richtern besetzten Gericht, Bekanntgabe der Anklage und rechtliches Gehör, Urteil mit Stimmenmehrheit unter schriftlicher Absetzung seiner Gründe, Bestätigung durch den Gerichtsherrn)" seien am 16. April 1945 eingehalten worden. Es führte der BGH hierzu aus: 

"Das Vorliegen einiger Verfahrensfehler brauchte daher den Standgerichtsverfahren nicht unbedingt das Gepräge von Scheinverfahren zu geben. Etwas anderes würde bei solchen Verfahrensverletzungen gelten, die erkennen ließen, dass sie aus bewusster Missachtung wesentlicher Rechte der damaligen Angeklagten begangen wurden." 

Zugunsten der seinerzeit aushilfsweise als Richter von Standgerichten tätigen Offiziere erklärte der BGH gnädig: "Im übrigen ist zu beachten, dass selbst in ruhigen Zeiten erfahrenen Berufsrichtern Verfahrensverstöße unterlaufen." 

Die Verurteilung, dann Hinrichtung von Jürgens wegen Kriegsverrats nach § 57 Militärstrafgesetzbuch in Verbindung mit § 91b StGB, sei zu Recht erfolgt – wobei sich der BGH noch ausführlich damit befasste, welche Pflichten die Männer des Düsseldorfer Widerstands verletzt haben könnten:  

"Die Strafwürdigkeit des Kriegsverrats … war aber nicht davon abhängig, ob eine weitere Verteidigung sinnvoll oder sinnlos war. Die Aufrechterhaltung der militärischen Ordnung konnte trotz unmittelbar bevorstehenden Zusammenbruchs wichtig, vielleicht sogar gerade dann von besonderer Bedeutung sein. Deshalb ist für die Frage, ob eine schwere Verletzung der militärischen Ordnung vorgelegen hat, in erster Linie entscheidend, dass diese Ordnung im Zeitpunkt der Tat noch bestanden hat." 

Freispruch auch vom Vorwurf des Menschheitsverbrechens 

Obwohl mit der Rechtmäßigkeit des Standgerichtsurteils der Vorwurf der vorsätzlichen Tötung erledigt war, hatte das LG Wuppertal den Angeklagten Brunshagen wegen eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit – nach Hannah Arendt (1906–1975) sollte besser von einem Verbrechen gegen die Menschheit gesprochen werden – zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. 

Dabei hatte es das Schwurgericht als strafwürdig im Sinne des Kontrollratsgesetzes angesehen, dass der Angeklagte, der an beiden Standgerichtsverfahren des 16. April 1945 beteiligt war, "in beiden Fällen auf die Vollstreckung der Urteile ohne zwingenden Grund geradezu gedrängt habe, obwohl er gewusst habe, dass die Verurteilten keine gewöhnlichen Verbrecher, sondern Patrioten gewesen seien, die aus den lautersten Beweggründen heraus gehandelt" hatten. 

Hier war seit dem Wuppertaler Urteil im Dezember 1950 die Rechtsgrundlage entfallen. In der britischen Besatzungszone waren zur Anwendung des Kontrollratsgesetzes Nr. 10, soweit Täter und Opfer eines Menschheitsverbrechens deutsche Staatsangehörige waren, generell die deutschen Gerichte ermächtigt worden. Mit Verordnung vom 31. August 1951 hatte der Britische Hohe Kommissar die Ermächtigung aufgehoben, die westdeutsche Justiz sah sich insgesamt nicht mehr dazu berufen, dieses materielle Recht weiter anzuwenden – das Rückwirkungsverbot, Artikel 103 Abs. 2 Grundgesetz (GG), stand dem sichtlich entgegen. 

Späte Rehabilitation und frühe Geschichtspolitik 

Die Standrechtsurteile vom 16. April 1945 wurden erst durch das "Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege" vom 25. August 1998 aufgehoben. 

Während sich heute, bald 25 Jahre nach diesem Aufhebungsgesetz, vergangenheitspolitische Vorgänge dem Verdacht ausgesetzt sehen, gemütliche Bekenntnisakte zu produzieren – mancher Gemeinderat hat sich inzwischen sogar an die sogenannte Rehabilitation vor mehr als 250 Jahren hingerichteter Hexen gemacht – durfte sich 1998 immerhin noch einer der tapferen Männer, die am 16. April 1945 die kampflose Übergabe Düsseldorfs an die amerikanischen Streitkräfte in die Wege leiten wollten, für seine Kameraden freuen: Aloys Odenthal, jener Architekt, der den Anwalt Karl August Wiedenhofen an diesem Tag ins Kommando der US-Streitkräfte in Langenfeld begleitete, starb hochbetagt im Jahr 2003. 

Vom Umstand abgesehen, dass die Gegenwart zu viel unbequemes Unrecht enthält, als der Zugriff aufs Vergangene dem Vorwurf der Bequemlichkeit entgehen könnte, kam die Aufhebung 1998 allzu spät: So machten etwa in Mettmann, einer idyllischen Ortschaft im Speckgürtel von Düsseldorf, in der Nachkriegszeit gleich zwei prominente Ex-NSDAP-Mitglieder von sich reden. In kleinen Gemeinden wirft das ja oft lange Schatten. Der eine, Werner Vogel (1907–1992), zählte zur frühen Prominenz der "Grünen".  

Der andere war der vormalige Gauleiter von Düsseldorf Friedrich Karl Florian, der sich bis zu seinem Tod im Jahr 1975 dadurch ins Recht gesetzt glaubte, dass die Beteiligten an der Justizfarce im April 1945 von der Nachkriegsjustiz freigesprochen worden waren. 

Martin Rath arbeitet als freier Lektor in Ohligs, unweit der genannten Orte. 

Zitiervorschlag

1952 in Düsseldorf: Ein Prozess zum Kriegsende . In: Legal Tribune Online, 04.12.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50353/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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