Durch US-Krimiserien wurde sie auch hierzulande bekannt: Die Miranda-Formel, nach der eine beschuldigte Person über ihr Recht auf einen Anwalt belehrt wird. Ihre Entstehung ist nicht weniger spannend als die Rolle, die sie im TV spielt.
Zum unfreiwilligen Namenspatron der berühmten Formel, wonach die Polizei eine Person, die sie einer Straftat beschuldigen möchte, frühzeitig über ihr Recht belehren muss, sich selbst nicht belasten zu müssen und einen Anwalt hinzuziehen zu dürfen, wurde Ernesto Arturo Miranda (1941–1976).
In seiner Strafsache Miranda gegen Arizona entschied der U.S. Supreme Court am 13. Juni 1966.
Miranda war am 13. März 1963 in der Stadt Phoenix unter dem Verdacht inhaftiert worden, zehn Tage zuvor eine 18-jährige Frau entführt und vergewaltigt zu haben. Nach zweistündigem Verhör unterzeichnete er ein Geständnis, das neben seiner Aussage zur Tat auch ein förmliches Bekenntnis enthielt, freiwillig und im vollen Wissen um seine förmlichen Rechte abgegeben worden zu sein. Allerdings hatte man ihn weder über sein Recht, einen Anwalt zu konsultieren, unterrichtet, noch über jenes, sich nicht selbst belasten zu müssen.
Im folgenden Strafprozess wurde Miranda allein aufgrund des Geständnisses zu einer Freiheitsstrafe von 20 bis 30 Jahren für jeden Tatvorwurf verurteilt. Ungeachtet des Umstands, dass sein Pflichtverteidiger – eine Figur, deren ambivalenter Ruf wohl ebenfalls auf US-Filme zurückzuführen ist – die Verwertbarkeit dieser Aussage bestritt, war die Freiwilligkeit ihres Zustandekommens doch zweifelhaft. Zur Freiwilligkeit der Aussage bedürfe es der formal dokumentierten Kenntnis der Alternative, vor allem also des Rechts, zur Beschuldigung schweigen zu dürfen, so die Argumentation des Verteidigers.
Richter gegen konservative Politik
Das Urteil des U.S. Supreme Courts vom 13. Juni 1966 hob die Verurteilung von Ernesto Miranda auf und formulierte als wesentlichen Grund seiner Entscheidung, dass jede inhaftierte Person vor der Befragung klar über das Recht zu unterrichten sei, in der Sache schweigen zu dürfen, dass alles, was sie sagt, vor Gericht gegen sie verwendet werde, dass sie das Recht auf anwaltlichen Beistand während der Befragung habe, und dass man ihr diesen bei Bedarf stellen werde.
Mit Blick auf den leicht zu skandalisierenden Tatvorwurf - Entführung und Vergewaltigung einer jungen Frau - zeigte das Gericht ein erstaunlich starkes Rückgrat, zumal Miranda im weiteren Prozessverlauf auf der Grundlage weiterer Beweismittel erneut verurteilt wurde. Er starb nebenbei angemerkt 1976 bei einer Wirtshausstreitigkeit.
Dass nunmehr jeder amerikanische Provinzpolizist – die bösen "Police Academy"-Filme sind hier ja gar nicht so weit weg von der Realität – die bald sogenannte Miranda-Formel im Munde führen musste, rief naturgemäß Widerstände unter konservativen und reaktionären Politikern hervor, denen der Chefrichter des Supreme Court, Earl Warren (1891–1974, im Amt 1953–1969), manch rhetorischen Zahn ziehen musste.
Die förmliche Belehrung über das Recht, einen Anwalt hinzuzuziehen, zählte zu den Routinen des F.B.I., das unter dem berühmten Behördenleiter J. Edgar Hoover (1895–1972, im Amt 1924–1972) kaum dem linksliberalen Lager zuzuschreiben war. Trotz des Aufschwungs an organisierter und hoch kapitalisierter Kriminalität als Resultat der Alkoholprohibition von 1920–1933 war die Durchsetzung bundespolizeilicher Kompetenzen ein umstrittenes Staatsgeschäft. Vor Ort Anwälte hinzuzuziehen erhöhte hier das Vertrauen.
Über das Recht zu schweigen war nach der Prozessordnung des US-Militärstrafrechts förmlich zu belehren - und damit ebenfalls keine Domäne liberalen Rechtsdenkens.
Martin Rath, 50 Jahre Miranda-Formel: . In: Legal Tribune Online, 12.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19636 (abgerufen am: 10.10.2024 )
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