Ein wissMit an einem bayerischen Lehrstuhl fragt sich gar nicht mehr, wann er aufgehört hat, cool und angefangen hat, Jurist zu sein. In der Beschneidungsdebatte ist er als Moslem nicht bloß vom berüchtigten Juristenhumor betroffen. Ob auch seine Vorhaut mit der neu geregelten Entscheidungslösung transplantiert werden könnte, ist ihm egal. Seinen Dünndarm können dagegen alle haben, außer Kannibalen und Zivilrechtlern.
Es gibt nichts Unlustigeres als juristische Kolumnen. Und doch lesen wir sie (an), wahrscheinlich um uns diesbezüglich bestätigt zu fühlen. Es macht keinen Sinn, den Prozess der Veränderung nachzuzeichnen. Oder einen bestimmten Tag auszumachen. Es ist, als hätte man einen Schalter umgedreht.
Und plötzlich ist man uncool, verfasst juristische Kolumnen und unterscheidet sich nur noch durch den Schnurrbart und die Tatsache, dass das Fred-Perry-Polo-Shirt nicht im Breuninger, sondern im letzten Türkei-Urlaub gekauft und dinglich erworben wurde (die Einfuhr von gefälschten Markenklamotten ist übrigens nicht strafbar, kann allerdings als Ordnungswidrigkeit zu ahnden sein, vgl. hierzu *****).
Vielleicht war es der Tag, an dem ich mir in der Disco Gedanken darüber gemacht hab, wie es um die Zurechnung der schweren Folge bei einer Schlägerei gem. § 231 StGB bestellt ist, als die zwei angetrunkenen U-Bahn-Schläger auf den armen deutschen Zahnmedizinstudenten losgingen (zum Ganzen *****). Dass ich das mit der Nationalität betone, liegt daran, dass ich (der Verfasser) muslimischer Mitarbeiter, äh wissenschaftlicher Terrorist an einem Lehrstuhl in Bayern bin.
"Tat das nicht weh? Also Dir mein' ich?"
Keine Angst, trotzdem wird es im folgenden Text nicht um die Beschneidung als Körperverletzung gem. § 223 StGB gehen. Dafür nervt mich das Thema viel zu sehr, schon allein deswegen, weil es als Steilvorlage für den berüchtigt unlustigen Juristenhumor dient ("wer ist denn nun in seinen Rechten beschnitten? Hö hö hö").
Sie müssen mich verstehen. Kaum wurde die Thematik angeschnitten (ab jetzt werden derartige Sprüche stets mit einem "hö hö hö" gekennzeichnet), wurde ich von ehemaligen Kommilitonen und Kollegen am Lehrstuhl gefragt, was ich davon halte. Diese Frage hatte ich ja noch erwartet; doch bevor ich mich zu dem Problemkomplex der Reichweite der elterlichen Dispositionsbefugnis bei Ausübung der Einwilligung für das Kind ausführlich äußern konnte, unterbrach man mich und fragte: "Tat das nicht weh? Also Dir mein' ich?"
So viel kann verraten werden: Nicht so sehr wie derart deplatzierte Fragen. Hallo? Bei Beschneidungen bekommt man Geld, wird gefeiert wie ein König und es gibt ganz viele mediterrane Leckereien. Es besteht keine Gefahr zu ertrinken, man trägt rotes Samt statt "festliche schwarze Kleidung" (und das wird man als Jurist gerne, aber nie wieder tragen, wenn man kein 15- Punkte-Examen und die entsprechenden Connections hat) und es verbleibt nicht beim Esspapier als kulinarisches Highlight.
Ich kann den ganzen zirkulären Zirkumzisionszirkus ohnehin nicht nachvollziehen (zugegeben, jetzt ging es nur um die Alliteration). Ist es wirklich schlimmer, den Kleinen beschneiden oder ihn mit vier Jahren ins Ohr stechen zu lassen, damit er hip rüberkomme? Zugegeben: Das Ohrläppchen wächst zu (und das ist auch gut so: was mit vier noch hip ist, ist mit 14 nicht einmal mehr hop), die Vorhaut dagegen nicht nach. Aber Schürf- und Platzwunden verheilen ja auch mit der Zeit, die ja sowieso bekanntlich alle Wunden heilt … lassen wir das Thema.
Organtransplantation und die Vorhaut im Familienalbum
Beschäftigen wir uns lieber mit der damit durchaus in Zusammenhang stehenden, noch aktuelleren Thematik der Organtransplantation. Auch wenn ich nicht glaube, dass 2/3 der Hälfte der Menschheit nach ihrer unfreiwilligen Organverstümmelung im Kindesalter nun auf die Idee kommen werden, sich die Vorhaut freiwillig Beschnittener transplantieren zu lassen (jedenfalls nicht, bevor nicht eine allgemeine Umfrage in der Cosmopolitan ergeben hat, dass Frauen ein unbeschnittenes Gemächt ästhetischer finden): Der Gesetzgeber will ab August jeden Bundesbürger über seine Spendebereitschaft ausfragen und die Menschen durch Broschüren etc. umfassend informieren.
Bis dato ist man schließlich auf Sendungen wie "Extrem Schön" angewiesen, die einem eindringlich demonstrieren, wie viel Gutes man durch plastische Chirurgie und Gewebetransplantationen erreichen kann. Manche Menschen ähneln ja Picasso-Bildern. Sie haben ihre Knorpel an den falschen Stellen. Eigentlich haben sie eine schöne Nase, doch die muss eben etwas verrückt werden (wie Grenzzeichen gemäß BGB - hö hö hö) oder würde auf einem anderen Gesicht wesentlich besser passen.
Neben diesen Informationspflichten brachte die Novellierung des TPG auch die so genannte Entscheidungslösung mit sich, das heißt der Bürger hat in regelmäßigen Abständen positiv zu bekunden, ob er Spender sein will oder nicht. Erstes Semester Psychologie: Wenn Sie eine Frau fragen, ob Sie mit ihnen Essen geht, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie mit Ihnen auch tatsächlich essen geht, höher, als wenn Sie sie gar nicht gefragt hätten. Ebenso wie die Wahrscheinlichkeit exponentiell in die Höhe schnellt, dass Sie eine vernichtende und Sie für immer prägende Abfuhr erteilt bekommen; so war das bei mir jedenfalls. Deswegen hab ich auch nicht gefragt.
Jedenfalls bin ich froh, dass sich der Gesetzgeber gegen die Widerspruchslösung entschieden hat. Ich wäre schlicht zu faul, zum Amt zu rennen beziehungsweise zum Telefon zu greifen und dagegen zu protestieren, im Falle meines Todes werde mir meine Vorhaut abgenommen (die Haut ist Gewebe i.S.d. Transplantationsgesetzes gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 TPG). Mal ganz abgesehen davon, dass das bei mir persönlich ja auch gar nicht mehr ginge. An dieser Stelle eine Information vom muslimischen Insider nicht nur für die mitfühlenden Nachfrager: Manche Eltern bewahren das plötzlich in Deutschland so berühmte Stück Haut - ähnlich wie Weisheitszähne - auf und kleben es in Erinnerungsalben. Die Vorhaut findet sich gern ein paar Seiten hinter der verwelkten Rose, die man beim Heiratsantrag überreicht hat. Man sieht sich das Album an und gerade war es noch romantisch, dann blättert man um und es ist einfach nur noch ekelhaft.
"Was wollen's denn mit dem Herz anfragen?" und Obdachlosen-Geschäftsmodelle
Die Debatte zeigt jedenfalls, dass in Deutschland der liberale Rechtsstaat noch funktioniert. Da wird selbst die Entscheidungslösung angezweifelt und man fragt danach, ob der Bürger denn vor eine Entscheidung gestellt werden dürfe. Spanien ist übrigens noch lieber zu seinen Bürgern. Dort ist man so nett, ihnen die Entscheidung beziehungsweise die Niere einfach abzunehmen. Ich bin jedenfalls auf die Aufforderung gespannt; wenn ich mich nicht entscheiden kann, kreuze ich einfach "Vielleicht" an. Das wäre immerhin das erste Mal in meinem Leben, dass mir jemand einen Ja/Nein/Vielleicht-Zettel schickt.
Warum ist man da überhaupt so zurückhaltend? Wer nach meinem Tod noch meine Leber haben will, ist ohnehin selbst schuld. Aber es ist jedenfalls besser, als den Leichnam dem Ungeziefer zu überlassen, das man bereits zu Lebzeiten so verabscheut hat (Simon Beckett erklärt ihnen, wie schnell die Viecher ebendiesen zersetzen).
Dann lasse ich mich lieber auseinandernehmen, wenn jemand etwas mit meinen Organen anfangen kann. Und schließlich fragen wir den Spendenempfänger nicht: "Was wollen‘s denn mit dem Herz anfangen?" Trügt das Gefühl, dass Menschen sich ertappt fühlen, die eigentlich nichts spenden wollen, dies aber mit irgendwelchen Gründen rechtfertigen wollen (sowas nennt man das Neutralisierungstechnik).
Wenn ich an einem Obdachlosen vorbeilaufe, werfe ich ihm entweder etwas in den Hut oder nicht. Wenn ich sehe, dass er hungert, kommt es auch schon vor, dass ich meinen Cheeseburger teile und ihm den Teil mit der Gurke drauf reiche. Aber wieso fragen die Leute den Obdachlosen aus, was er denn mit dem Geld anstellen wolle, um das er bettelt. Was erwarten diese Personen? Was geht sie das an und vor allem: Welche Antwort würde sie dazu bewegen, etwas abzudrücken? Denken die wirklich, dass der Penner jetzt vier bis fünf Ordner auspacken und sein umfassendes Geschäftsmodell erklären wird, wie er mit dem Euro ein neues Imperium in Griechenland aufbauen will?
Entweder man spendet oder man tut es nicht, aber man ist kein Held, wenn man sich damit brüstet oder den Empfänger davor gefragt hat, was er mit der Spende anstellen werde. Letztlich ist das mit der Organspende auch eine Frage des Einzelfalls. Man will ja nicht jedem dahergelaufenen Punk seinen Pankreas (hö hö hö) spenden. Soweit ich Bedingungen stellen könnte (keine Kannibalen, keine Zivilrechtler), hätte ich nichts gegen eine Wiederverwertung meines Dünndarms.
Ahmet Kabakyer, Of all the things I’ve lost, I miss my mind the most – Wie das Jurastudium mich verändert hat: . In: Legal Tribune Online, 18.08.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6874 (abgerufen am: 05.12.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag