Woher kommen die ungeschriebenen Regeln des juristischen Dresscodes? Welche geschichtlichen, geographischen und (pop-)kulturellen Einflüsse haben ihn geprägt? Anekdoten und Antworten liefert Alexander Grau.
Der Winter ließ lange auf sich warten, aber kaum war er da, wurden sie wieder aus dem Schrank geholt: die Ugg-Boots.
Weshalb junge, sonst durchaus modebewusste Frauen auf die Schnapsidee kommen, in solch unförmigen Tretern das Haus zu verlassen, gehört zu den ewigen Rätseln der Mode. Denn der Ugg-Boot konterkariert so ziemlich alles, was man mit einem Frauenstiefel verbindet: er ist weder besonders sexy noch macht er ein schönes Bein oder einen eleganten Gang.
Andererseits ist es natürlich charmant und zeugt von gesundem Selbstbewusstsein, sich bewusst irgendwelchen spießigen und altherrenhaften Erotikklischees zu verweigern. So betrachtet haben die knuffig-flauschigen Stiefel auf jeden Fall mehr Stil als irgendein Overknee.
Big Sur, 1972; Dick Rowan
Warme Füße für Surfer
Dass sich selbst ihre Erfinder keinen Illusionen über den ästhetischen Wert der Schuhe hingeben, zeigt schon den Name "Ugg". Und Frank Mortel, ein Niederländer, der 1956 nach Australien auswanderte und die Erfindung der Uggs für sich beansprucht, gestand, dass seine Frau das erste Paar dieser Stiefel als "hässlich" bezeichnet hätte. Doch niemand hörte auf Frau Mortel, und so nahmen die Dinge ihren Lauf.
Ob die Uggs tatsächlich von einem Holländer erfunden wurden, darf allerdings bezweifelt werden. Nicht wenige behaupten vielmehr, die Stiefel aus Lammfell wären schon in den 1930er Jahren von der Firma "Blue Mountains Ugg Boots" in New South Wales hergestellt worden.
Und auch der australische Surfer Shane Stedman reklamiert den Markennamen für sich. Stedman hatte nämlich festgestellt, dass die flauschigen Stiefel nach einem winterlichen Wellenritt prima die Füße wärmen. 1971 ließ er die Marke "Ugg Boots" in Australien registrieren.
Die internationalen Rechte an dem Namen "Ugg" hält derweil das Unternehmen "Deckers Outdoor Corperation" aus Kalifornien. Dort tauchten die Lammfellstiefel das erste Mal in den 1970er Jahren auf, verkauft von Leuten, die sie bei Surf-Events in Australien kennengelernt und importiert hatten. Und wie das häufig ist mit kuriosen und etwas abwegigen Ideen: sie gehen entweder geräuschlos unter oder verbreiten sich rasant. Bei den Uggs war letzteres der Fall, in der Surfszene Kaliforniens galten sie bald als neuester Schrei.
Einer der australischen Surfer, der Ugg Boots aus seiner Heimat nach Kalifornien importierte, hieß Brian Smith. Und da Brian nicht nur ein guter Surfer, sondern auch ein cleverer Geschäftsmann war, verkaufte er die von ihm importierten Schuhe unter einem eigenen Handelsnamen.
An den Füßen der Hollywoodprominenz
Bis in die 1990er Jahre blieb die Verbreitung von Ugg Boots im Wesentlichen auf Surfer und auf die Snowboardszene in Aspen/Colorado beschränkt. Dann gelang Smith der große Coup: 1994 trug das US-amerikanische Olympiateam die Schafsfellstiefel bei der Winterolympiade in Lillehammer. Ein Jahr später wurden das Football-Team "San Diego Chargers" damit ausgerüstet. Ergebnis: Der Umsatz der Marke explodierte.
Auf dem Höhepunkt verkaufte Brian Smith seine "Ugg Holding" an die Firma "Deckers", die in puncto Marketing noch einen Gang zulegte. Sie schaffte es, die flauschigen Stiefel an die Füße von Hollywoodprominenz wie Cameron Diaz, Kate Hudson, Leonardo DiCaprio und Jennifer Lopez zu bringen. Als die dann auch noch bei "Sex and the City" auftauchten und auf den Laufstegen von Paris und Mailand, wurden sie endgültig zu einem Massenphänomen. In den acht Jahren von 1995 bis 2003 stieg der Jahresumsatz der Uggs dadurch um das 50-fache auf knapp 700 Millionen Dollar.
So viel Erfolg weckt natürlich Begehrlichkeiten. Schon bald stiegen Billigproduzenten in den Ugg-Markt ein, die ihre synthetischen Produkte bei Einzelhandelsketten verramschten. Zugleich begann "Deckers" einen Feldzug gegen alle australischen Hersteller zu führen, die ebenfalls Ugg-Boots produzieren. Das war natürlich Nonsens. Denn "Ugg" ist nach australischem Verständnis einfach ein Oberbegriff für Lammfellstiefel. Entsprechend erfolglos blieben Deckers' juristische Anstrengungen: 2006 unterlagen sie gegen das kleine Unternehmen "Uggs-N-Rugs", nachdem das Gericht festgestellt hatte, dass die Bezeichnungen "Ug", "Ugh" und "Ugg" keine Markennamen sind
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Emanzipiertes Spiel mit weiblichen Klischees
Bis in die 90er Jahre wäre wahrscheinlich kein Australier auf die Idee gekommen, sich mit diesen seltsamen Schuhen in einem zivilisierten öffentlichen Raum zu zeigen. Uggs galten dort als bequeme, wärmende Schuhe für daheim oder für den Strand, aber sicher nicht für den Restaurant- oder Clubbesuch.
In diesem Sinne war der Hype um die Stiefel in Mitteleuropa ein einziges großes Missverständnis. Dort begannen Frauen schließlich, in den tapsigen Stiefeln so ziemlich überall rumzulaufen. Sie waren schließlich verdammt bequem – und was Sarah Jessica Parker in der "Vogue" getragen hatte, konnte ja kaum eine Modesünde sein.
Besonders sexy sind sie natürlich auch nicht. Im gewissen Sinne macht aber gerade das die "ugly Uggs" zu einem angemessenen und zeitgemäßen Kleidungsstück. Sie setzen nicht auf aufgesetzten Karrierechic, protzen nicht mit vulgärer Erotik, sondern sind ein lustiger und ironischer Kommentar auf alle möglichen Vorstellungen von Weiblichkeit.
Wenn die Schuhe ihre Trägerin dann auch noch bequem und warm durch den kalten Winter bringt – was spricht dann gegen sie?
Alexander Grau, Juristenmode: UGG Boots: Ugly Uggs . In: Legal Tribune Online, 23.02.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18399/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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