Metaphern für Juristen: Ein kleiner Spa­zier­gang durch den Gemü­se­garten

Gastbeitrag von Prof. Dr. Roland Schimmel

24.08.2019

Die Juristensprache wird kaum je als poetisch empfunden, als pathetisch allenfalls, nicht aber als gefällig oder gar schön Damit geschieht ihr Unrecht, meint Roland Schimmel, wollten Juristen doch nur Kompliziertes greifbar machen.

Die Juristensprache mag, geschuldet den vielen Fachausdrücken, hier und da spröde wirken, geradezu trocken, wie es häufig heißt. Aber in dieser Wüste blühen haufenweise Blumen. Denn eines ist sicher: Juristen sprechen und schreiben in Bildern - und zwar massenhaft. Man erkennt sie, wenn man nur ein wenig näher hinschaut.

Es sind dabei nicht nur die, die man im Alltag benutzt, wenn man über Rechtliches spricht, so wie die Mühlen der Justiz oder das Auge des Gesetzes. Vielmehr sind es die, die Fachangehörige für die Kommunikation untereinander nutzen.

Einige stehen im Gesetz, etliche findet man in Gerichtsurteilen und noch einmal so viele liefert die Rechtswissenschaft. Das ist wenig verwunderlich, denn wer abstrakte Konstrukte verständlich machen muss, greift gern zu Metaphern.

Die Bilder, die sie aufrufen, kommen aus ganz unterschiedlichen Gebieten.

Abgeschaut von Mensch, Maschine und Natur

Es menschelt etwa bei der Verletzung von Pflichten (§ 280 I 1 BGB) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 I GG), der Heilung von Formmängeln (§ 766 S. 3 BGB) oder beim Organ (§ 31 BGB) im Vereins-, Kapitalgesellschafts- und Staatsrecht und der Immunität des Bundestagsabgeordneten (Art. 46 II GG). Das Mutter- und das Tochterunternehmen in § 290 HGB, in der Wissenschaft weitergeführt auf Enkelgesellschaften usw., greifen zurück auf menschliche Abstammungs- und Verwandtschaftsverhältnisse. Nun gut, die Übertragung von der natürlichen auf die juristische Person liegt nahe.

Doch nicht nur der Mensch liefert die Bilder, sondern auch die Gegenstände seines Alltags: Schön sind die forderungsentkleidete Eigentümerhypothek im Immobiliarsachenrecht und die Schleierfahndung im Polizeirecht. Hierher gehören auch das Werkzeug bei der strafrechtlichen Lehre von der Täterschaft, die Lieferkette (§ 478 III BGB) und die Kettenbefristung im Arbeitsrecht sowie der Mietspiegel (558c BGB), aber auch die Geldwäsche (§ 261 StGB sowie § 1 I GwG).

Viele Metaphern greifen zurück auf die Natur, mal die belebte, mal die unbelebte: die stille Gesellschaft (§§ 230 ff. HGB), die Dunkelheiten (§ 320 I ZPO), die Erschöpfung des Rechtswegs (§ 90 II BVerfGG) und die Rügeverkümmerung(§ 274 StPO). Manchmal kommen die Bilder auch von Kraft und Kraftausübung: Die Rechtskraft im Prozessrecht (z.B.§ 322 I ZPO), im Strafrecht etwa die Erpressung (§ 253 StGB) und die Rechtsbeugung (§ 339 StGB), gesteigert zum Rechtsbruch. Physikalische Vorgänge kann man in der die Verschmelzung und der Spaltung im Gesellschaftsrecht erkennen.

Wer rastet, der rostet: Stillstand und Bewegung

Viele Bilder wurzeln ebenso in Beschreibungen einer Bewegung: Die Abwälzung von Schönheitsreparaturen im Mietrecht, der Durchgriff im Recht der GmbH (die amerikanischen Kollegen piercen bei dieser Gelegenheit den corporate veil), die aufschiebende Wirkung von Rechtsmitteln im Verwaltungsprozessrecht, die Drehtürkonstruktion im Arbeitsrecht, die Wechselreiterei im Strafrecht, im Verfahrensrecht das Nachschieben von Gründen, im Familienrecht die Güterstandsschaukel und die hinkende Ehe, die kollidierenden Tarifverträge (legaldefiniert in § 4a II 2 TVG), die schwebende Unwirksamkeit und der fliegende Gerichtsstand, der Stillstand der Rechtspflege (§ 245 ZPO) und die Schranken in der Grundrechtsdogmatik.

Die Zivilprozessordnung stellt sich den Rechtsstreit außerdem vor wie einen Kampf, vielleicht sogar wie einen Krieg, in dem Angriffs- und Verteidigungsmittel eingesetzt werden (§ 96 ZPO), den Arbeitskampf kennt sogar das Grundgesetz (Art. 9 III GG), die Anfechtung findet sich mit ähnlicher Bedeutung im allgemeinen Zivilrecht, im Insolvenzrecht, im Eherecht, im Aktienrecht und im Verwaltungsprozessrecht.

Auch jenseits des Juristischen geläufig ist die Schwarzarbeit. Im Gesellschaftsrecht kennt man die goldene Aktie und den goldenen Fallschirm, ähnlich ist die goldene Brücke für den Straftäter beim Versuch,

Je abstrakter die Materie, desto bunter geraten die Bilder. In der Methodenlehre und der Rechtstheorie kennt man die Rechtsquelle, die Normenkollision und die Gesetzeslücke; die Abwägung ist so allgegenwärtig, dass sie kaum noch der Erwähnung bedarf.

Woher kommen diese Bilder?

Teils berühren sich die Metaphern der Rechtssprache mit denen der Alltagssprache, etwa die Mondpreise und die Schleuderpreise im Lauterkeitsrecht, das auch so bildhafte Begriffe kennt wie die Schwarze Liste für den Anhang zu § 3 III UWG, die Schleichwerbung (bei § 5a VI UWG) und das Schneeballsystem (vgl. § 16 II UWG). Oft ist es aber nicht ganz einfach zu sagen, wie die Bilder ins Recht geraten sind. Wie Stabreime und Reime (§ 923 III BGB), Hexameter (§ 923 I BGB) und ähnliche rhetorische Figuren kommen auch die Metaphern vermutlich überwiegend aus der Zeit, als Poesie und Recht noch im selben Bett schliefen.

Viele lassen sich ins Römische Recht zurückverfolgen, andere haben mittelalterliche Wurzeln. Manche kann man nur mit historischem Zusatzwissen verstehen, etwa die Schlüsselgewalt (§ 1357 BGB).Gelegentlich hilft ein etymologisches (Rechts-)Wörterbuch bei der Herkunftsbestimmung.

Schwer einzuschätzen ist, ob die Gegenwart mehr oder weniger produktiv ist als die Vergangenheit. Jedenfalls sind nicht alle Sprachbilder alt. Die strafprozessrechtlichen Früchte des vergifteten Baums - weitaus weniger farbig auch als erweitertes Beweisverwertungsverbot bezeichnet - lassen sich ziemlich klar auf ein Urteil des US-amerikanischen Supreme Court von 1939 zurückführen. Woran sich übrigens zeigt: Metaphern-Migranten sind willkommen.

Nicht examensrelevant: Weiß jemand, was eine Katachrese ist?

Wenn sie schief sind, sind die Bilder aber nicht mehr schön. Dann nennt man sie Katachresen.

Am Zeitraum in §§ 188 II, 191 BGB stören sich nur empfindsame Zeitgenossen. Aber recht eigentlich müsste es doch Zeitspanne heißen, wenn man das geometrische Bild des Zeitpunkts auf einen Zeitstrahl fortdenken wollte. Zumal ein Zeitraum nach einer Zeitfläche verlangt, um die Verwandtschaft zum Zeitpunkt herzustellen. Aber wer etwas so seltsames wie das Zeitfenster erfindet (wie viele juristische Sekunden passen da rein?), darf sich über schiefe Zeit-Bilder nicht beschweren.

Die Gesellschaftsrechtler lieben den räuberischen Aktionär. Wer sich an die ersten Semester im Strafrecht erinnert, würde ihn aber vermutlich den erpresserischen Aktionär nennen. Gewalt übt er nämlich eher nicht aus. Im Gegenteil: Er lässt sich die Ausübung seiner Rechte ganz friedlich abkaufen.

Ein weniger leuchtendes, aber dafür auch nicht schiefes Bild nennt ihn daher den Berufskläger, weil er bevorzugt Hauptversammlungsbeschlüsse vor Gericht anficht.

Eine verbreitete aber seltsame Metapher ist der Freischuss im Prüfungsrecht. Wer würde seine Seele dem Teufel verkaufen wollen, nur um das doofe Examen sicher zu bestehen? In den Landesjustizprüfungsordnungen heißt es deshalb Freiversuch.

Seit einiger Zeit zeigt man gern Sensibilität in Genderfragen, indem man statt von den Vätern des Grundgesetzes von den Eltern des Grundgesetzes spricht und schreibt. Ganz bis ins Detail möchte sich das Bild aber dann doch niemand ausmalen, bedenkend, dass von diesen Eltern nur vier Mütter waren, aber stolze 61 stolze Väter.

Solche schiefen Bilder irritieren, manchmal amüsieren sie - unfreiwillig. Man vermeide sie.

Wann man Metaphern benutzen "darf"

Darf oder sollte man denn nun als Autor eines juristischen Fachtexts überhaupt Metaphern verwenden? Die Frage ist streitig, na klar. Dass sprachliche Bilder der Genauigkeit nicht zuträglich sind, ist schwer zu leugnen. Teils ist deshalb die Rede vom Metaphernverbot. Das wird gelegentlich– neben dem bekannten Ich-Verbot – geradezu als Charakteristikum der Wissenschaftssprache verstanden.

Weil aber die Bilder andererseits nicht nur der Auflockerung, sondern auch der Veranschaulichung dienen, empfehlen die moderneren Anleitungen zum wissenschaftlichen Schreiben, siezurückhaltend zu verwenden. Als Leitlinie könnte man vielleicht sagen: Sprachbilder, die das Gesetz, die Rechtsprechung oder die Rechtswissenschaft verwenden, sind immer zulässig. Und wer selbst eine Metapher ersonnen hat, setze sie ein wie das Salz in der Suppe. Sparsam, aber wirkungsvoll.

Zur Vertiefung:

Eine beachtliche, nach sprachwissenschaftlichen Kriterien geordnete Sammlung juristischer Metaphern enthält Anhang B bei Cordula Kleinhietpaß, Metaphern der Rechtssprache und ihre Verwendung für Visualisierungen, Berlin 2005. Wer das Thema vertiefen möchte, greife zu Laura Münkler, Metaphern im Recht - Zur Bedeutung organischer Vorstellungen von Staat und Recht, in: Der Staat 2016, 181 ff.– oder gleich monographisch zu Jörg Michael Schindler, Rechtsmetaphorologie - Ausblick auf eine Metaphorologie der Grundrechte - eine Untersuchung zu Begriff, Funktion und Analyse rechtswissenschaftlicher Metaphern, Berlin 2016.

Zitiervorschlag

Metaphern für Juristen: . In: Legal Tribune Online, 24.08.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37223 (abgerufen am: 12.12.2024 )

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