Ein populäres Kinderlied behauptet: "Die Wissenschaft hat festgestellt, festgestellt, festgestellt, dass Marmelade Fett enthält". Dank boulevardjournalistischer Aufbereitung werden vor allem die Ergebnisse US-amerikanischer Wissenschaft oft als besserer Witz dieser Art wahrgenommen. Die US-Forschung zur Angst unter Juristen hat dies vielleicht nicht verdient.
Menschliche Angst ins Zentrum rechtswissenschaftlicher Forschung zu stellen, dürfte im deutschen Schrifttum dieser akademischen Zunft eher selten zu finden sein. Bei allen Vorbehalten, die man angesichts der oft Public-Relations-optimierten Wissenschaftsberichterstattung US-amerikanischer Provenienz haben mag – in diesem Forschungsfeld finden sich Darstellungen, die uns die Angst auf interessante Weise näherbringen.
Beispielsweise informiert Debra S. Austin, Professorin für juristische Grundlagenkenntnisse am Denver Sturm College of Law, darüber, dass das Gehirn eines Jura-Studenten drei Pfund (1,36 kg) wiege, den Umfang einer Kokos- und die Gestalt einer Walnuss habe und der Substanz gefrorener Butter gleiche. Einen kleinen Schreck unter Professorenkollegen könnte es auslösen, dass Austin behauptet, die Gehirne von Juraprofessoren seien von gleicher Größe.
Intellektuelle Fitness ist standesrechtlich geboten
Die grundsätzliche Beschäftigung mit dem Juristenhirn (und einigen anderen grauen Zellen) folgt indes keinem rein launigen Zweck. Programmatisch behauptet die US-Juristin, dass die moderne Neurowissenschaft Aufschluss darüber gebe, wie ein "neuronal self-hacking" die kognitive Leistungsfähigkeit steigern könne.
Training in neuronaler Selbstoptimierung, das wirkt aus alteuropäischer Juristenperspektive sicher ein wenig amerikanisch-verdreht. Vielleicht ist man noch daran gewöhnt, von Rechts wegen nur forensisch mit dem menschlichen Gehirn befasst zu werden: dargeboten als psychiatrisches Gutachten im Strafprozess oder – im Fall obskurer rechtshistorischer Interessen – in Gestalt des Verbrecherhirns, das in Formaldehytlösung im Einmachglas schwimmt.
Sich des eigenen Juristenhirns anzunehmen, hat neben humanistisch-pädagogischen Erwägungen für die US-Professorin eine positivrechtliche Komponente. So deduziert sie aus einer standesrechtlichen Vorschrift der amerikanischen Rechtsanwaltsvereinigung, die eine allgemeine Fortbildungspflicht formuliert, dass sich Anwälte im Interesse ihrer Klienten um neurowissenschaftliche Optimierung ihrer kognitiven Fähigkeiten bemühen müssten.
Ihr humanistisch-pädagogisches Interesse am Stress begründet Austin damit, dass der Stress, dem Jurastudenten und Rechtsanwälte begegneten, Gehirnzellen sterben lasse und "in einem signifikanten Rückgang des Wohlbefindens [mündet], einschließlich Ängsten, Panikattacken, Depressionen, Drogenmissbrauch und Suizidneigung".
Jura verstärkt "psychopathological symptom responses"
Manche Empfehlung, die Professor Austin in ihrem 70-seitigen Aufsatz formuliert – einer Darstellung in der sie fleißig vom Gehirn der gemeinen Laborratte zum Juristengehirn und wieder zurück wechselt – gehört in die Abteilung Psychologie nach Hausmacherart: Dass das Gedächtnis wenig aufnahmefähig sei, wenn es unaufhörlich mit Buchwissen konfrontiert werde und körperliche Entspannung her müsse, zählt beispielsweise dazu.
Ein wenig profan, aber doch bemerkenswert, ist ihr Hinweis auf verbesserte kognitive Lernleistungen an US-amerikanischen Schulen, die ihre Eleven in den 1990er-Jahren mit systematischen Aerobic-Übungen traktierten. Dieser Zusammenhang von geistiger und körperlicher Bewegung ist immerhin so evident, dass man sich eigentlich wundern muss, dass nach hiesiger Kenntnis noch kein privatwirtschaftliches Repetitorium seine Kundschaft neben Skripten und Kommentaren auch Hanteln stemmen lässt, um damit die Befähigung zum Richteramt zu befördern.
Das US-amerikanische Interesse an den Auswirkungen des Jurastudiums auf das menschliche Gehirn ist notorisch. Bereits 1986 präsentierten drei Psychiater im Forschungsjournal der American Bar Associaton die Erkenntnis, dass durch das Studium der Jurisprudenz ein zuvor normaler Grad an "psychopathological symptom responses" signifikant erhöht werde.
Angstgeschichten statt Juristen-Aerobic
Mit allzu viel Aerobic scheint seit 1986 derweil auch in den USA nicht gegen diesen Befund angeturnt worden zu sein. Im Vergleich zu anderen Studenten seien angehende Juristen überdurchschnittlich unzufrieden, demoralisiert und deprimiert, behauptet Abigail A. Patthoff, Professorin für "Legal Writing" an einer konfessionellen kalifornischen Universität. Sie will eine Ursache in der juristischen Didaktik und Kommunikation entdeckt haben.
Pathoff berichtet, wie juristische Fakultäten die Studenten und Gerichte "ihre" Rechtsanwälte dazu erziehen, sich professionell zu verhalten: durch mahnende Beispiele und Fallgeschichten, die vom peinlichen Scheitern juristischer Akteure handeln. Die Erziehungsziele sind ebenso schlicht wie ehrenwert: Es geht darum, Schriftsätze gegenzulesen, mit Richtern aufrichtig umzugehen, Zitierregeln einzuhalten und Argumente sorgfältig zu prüfen.
Den Studenten zu erzählen, wie kleinste Form- oder Fristversäumnisse zu dramatischen, ja existenzvernichtenden Konsequenzen führen können, ist nach Patthoff durchaus legitim und erfüllt bis zu einem gewissen Grad den Zweck, ins Studentenhirn vorzudringen. Auch sie leitet diese Zweckmäßigkeit neurobiologisch her – jene Nervenzellen, die Furcht erzeugen, sind leichter anzusprechen als jene, die für den nüchternen Verstand zu gebrauchen sind.
Allerdings seien diese Angstbotschaften im Übermaß kontraproduktiv. Die an sich sinnvolle Botschaft – z.B. eine Frist einzuhalten – könne sich in einer allgemeinen Tendenz, Risiken herunterzuspielen, auflösen. Daher sei insgesamt sogar das Gegenteil des professionell erwünschten Verhaltens zu beobachten.
Unvernarbtes Studium? Zukunftsmusik
Von der studentischen Klage, dass alles irgendwie zu viel sei, heben sich diese Ansätze, Stress und Angst unter Juristen in den Blick zu nehmen, angenehm ab. Sie lassen die hierzulande immer noch gern gehörte, dabei aber etwas herrische Ansicht, solche Härten müssten zur professionellen Abhärtung einfach sein, in einem anderen Licht erscheinen. Einerseits wird das von Patthoff geforderte Ideal einer wohldosierten Verwendung starker Angstbotschaften Deutschland kaum realisiert werden, weil im Vorlesungsbetrieb ein Professor kaum weiß, was der andere tut. Andererseits möchte man gern all jenen, die eine (seelische) Vernarbung als Beleg für akademische Professionalität ansehen, doch gerne die Mitgliedschaft in einer schlagenden Verbindung empfehlen.
Die US-amerikanische Forschung zur Angst unter Anwälten und Jurastudenten hält den Blick nicht zuletzt dafür offen, dass Menschen unter didaktisch und/oder professionell fragwürdigen Bedingungen auf der Strecke bleiben – nicht allein "fachlich" oder "professionell", sondern auch in der denkbar schlimmsten Form.
Darauf mag man dann keinesfalls das Lied von der unsinnigen Wissenschaft singen, die am Ende feststellt, dass "Marmelade Fett enthält".
Literaturhinweise:
Debra S. Austin in Loyola Law Review (Band 59, 2013, S. 791-851)
Benjamin, Koszinak, Sales, Shanfield: "The Role of Legal Education in Producing Psychological Distress among Law Students and Lawyers" in American Bar Foundation Research Journal (Band 11, 1986, S. 225-252)
Abigail A. Patthoff: "This is Your Brain on Law School: The Impact of Fear-Based Narratives on Law Students", demnächst in der Utah Law Review, 2015
Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.
Martin Rath, Juristenpsychologie: Angst macht dumm . In: Legal Tribune Online, 05.10.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13391/ (abgerufen am: 29.03.2024 )
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