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Strafrechtsprofessor bei "Jung & Naiv": Ambos mit dem Hammer

Rezension von Dr. Lorenz Leitmeier

20.08.2024

Kai Ambos bei Jung & Naiv

Screenshot aus dem "Jung und Naiv"-Interview mit Prof. Dr. Dr. h.c. Kai Ambos / Zuschnitt LTO

Juraprofessor Kai Ambos war bei "Jung & Naiv". Nach außen hin lässig im Shirt, inhaltlich aber mehr als staatstragend: Man hätte mehr aus dieser thematisch spannenden, aber schwer verdaulichen Folge machen können, findet Lorenz Leitmeier.

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"Jung & Naiv", Folge 720. Zu Gast: Kai Ambos, Strafrechtsprofessor in Göttingen und Richter am Kosovo-Sondertribunal in Den Haag. Optisch erlebt man, natürlich gefangen in Stereotypen, gleich eine Überraschung: Der Mann trägt nicht Hemd, sondern schwarzes T-Shirt, Aufschrift: "Kunst, Wissenschaft, Forschung, Lehre sind frei". Am Handgelenk keine Uhr, sondern ein Bunt-Armbändchen. Ende 50, Motto-T-Shirt, Promotionsthema Drogenhandel in Südamerika, früher für die taz geschrieben: wirkt wie ein Verzweiflungsmix aus Midlife-Crisis und Kommune, ist aber anspruchsvollstes Völkerrecht.

Zuvor allerdings wird die Juristenausbildung erledigt, im Sinne von Vorschlaghammer: Das Studium unmenschlich, das Examen barbarisch, noch heute quält Ambos ein Albtraum, in dem er zu spät zur Klausur kommt. Seinen Studis sagt er immer: Vermeiden hilft nichts, samstags Übungsklausur, Dabeisein ist alles, Olympia war ja gerade. Und am Ende weint man, weil man Bronze knapp verpasst hat.

Jung merkt an, laut BGH-Präsidentin Limperg, die neulich bei ihm zu Gast war, sei die Juristenausbildung elite-top. Aber da ist er leider, tennismäßig gesprochen, unvorbereitet ans Netz gestürmt: Wer war denn staatstragend im Dritten Reich? Genau: Juristen. Kurz danach stellt sich Ambos selbst die Zentralfrage, was denn ein Super-Jurist eigentlich sei. Antwort: Roland Freisler war ein Super-Jurist. Öha. Jung merkt gerade noch rechtzeitig an, dass er sein Jurastudium abgebrochen hat. Von Fünf-Stunden-Klausuren in einem Halbschritt zum Volksgerichtshof – rhetorisch ein Feuerwerk, argumentativ allerdings klingt das noch nicht nach Prädikatsexamen, eher wie Zu-spät-gekommen-zur-Klausur. Der Mann lebt anscheinend in Ausrufezeichen.

Diss, Lehrstuhl, Sondertribunal: alles so ergeben

Das Jurastudium begann Ambos, wie wir alle, mehr aus Verlegenheit, er wusste halt nichts Besseres. Erstes Examen in München, zweites in Freiburg, praktische Dissertation über Drogenkontrolle in der Andenregion, hat sich so ergeben. Habilitation im Völkerrecht, Lehrstuhl in Göttingen, hat sich so ergeben. Richter am Sondertribunal ist kein Problem, in der Wissenschaft ist man ja frei und hat Zeit. Sehr erfreulich, was sich bei manchen Juristen so ergibt. Bei den meisten ergibt sich ja doch eher Amtsgericht.  

Danach geht es ins Völkerrecht – und zwar auf den Grund: Wer gerade mal den Internationalen Gerichtshof (IGH) vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) unterscheiden kann, ist so vorbereitet wie der Fußball-Fan, der Abseits kennt und in einem Gespräch über den "abkippenden Sechser" und die "falsche Neun" landet. Kenntnisse über die FARC (Guerilla in Kolumbien), den Sendero Luminoso (Terrororganisation in Peru) oder die Revolution der Sandinisten (Befreiungsfront) in Nicaragua sind Allgemeinbildung. Kennen muss der geneigte Zuseher den Sechstagekrieg 1967, die Annexion des Golan 1981, den Oslo-Friedensprozess 1993 und die (ehemaligen) Chefankläger des IStGH Luis Moreno Ocampo, Fatou Bensouda und Karim Khan. Kennen sollte er Theodor Meron und Thomas Buergenthal (Völkerrechtler) oder Aaron Barak (Ad-hoc-Richter im IGH-Verfahren Israels gegen Südafrika), und gesehen haben kann er das berühmte Interview von Khan bei Christiane Amanpour (Journalistin, CNN, internationaler Durchbruch: Baerbock-Interview zur Kanzlerkandidatur).  

Man ertappt sich, dass man von den Koryphäen im Völkerrecht leider nur die Frau von George Clooney kennt, ehrlicherweise aber nicht aus dem American Journal of International Law. Laut Ambos zwar die Zeitschrift im Völkerrecht, liegt aber nie beim Zahnarzt im Wartezimmer. Erschwert wird der Sehgenuss durch das feine Völkerrechts-Denglisch, das Kai IchliebeLaw Ambos verhandlungssicher spricht: "Dann sagt die chamber zu den parties, please submitte eine redacted version." Und selbst Nachrichten-Maniker könnten ein Abkürzungsverzeichnis gebrauchen: "Dee-Ar-Cee" (Democratic Republic of Congo) und "I-Dee-Ef" (Israel Defense Forces) sind Grundlagenwissen, aber was ist "O-Tee-Pee"? Ah ja, Office of the Prosecutor, war noch nicht im passiven Wortschatz.

 

Faszinierend, aber anstrengend

Inhaltlich ist es, soweit man das beurteilen kann, hochinteressant: Errichtung des IStGH (Rom-Statut, nicht nur Produkt des Westens, afrikanische Staaten maßgeblich), Ablehnung durch Israel (Siedlungspolitik als Kriegsverbrechen) und die USA ("exceptionalism"). Problem Doppelmoral: USA wirft Russland vor, Urteile des EGMR nicht zu befolgen – erkennt aber die Jurisdiktion des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht an? Extralegale Tötungen durch US-Drohnenangriffe über Ramstein? Riesenthema, wie soll man das anderen Staaten verbieten ("Blueprint-Argument")? Und was ist an "targeted killing" bitte "targeted", wenn der "collateral damage" so groß ist?

Staatsräson als autoritäres Konzept (Machiavelli) lehnt Ambos ab, der Gefangenenaustausch (Tiergartenmörder) war Simulation von Recht, eine politische Entscheidung. Der Nahostkrieg ist völkerrechtlich hochkomplex: militärische und zivile Seite der Hamas, wer hat Kommandogewalt, wer ist Kombattant, wer "active participant in hostilities"? Hamas als nicht staatlicher Akteur, Golan kein Staatsgebiet Israels, völkerrechtswidrig annektiert, aber Parallele zu Taliban in Afghanistan. Staatlichkeit Palästinas? Keine "single unity", sondern fragmentiert; Rückzug der Siedler 2005, aber Kontrolle der Zugänge zu Gaza, IGH vertritt die "functional occupation". Komplizierung der Komplexität. Der Wortbeitrag von Jung bei einer Stunde, 47 Minuten von insgesamt drei Stunden und 48 Minuten reduziert sich auf ein unterkomplexes "Aaaargh". Na, vielleicht doch lieber Fünf-Stunden-Klausuren?

Revolutionäres IGH-Gutachten zu Israel: Illegal ist gesamte Besatzung, nicht nur Siedlungspolitik. Absolute Festlegung der Bundesregierung, Israel betreibe keinen Genozid: unklug. Die deutsche "submission" im Haftbefehlsverfahren gegen Ministerpräsident Netanjahu und Verteidigungsminister Galant vor dem IStGH wurde geheim gehalten – warum? Haftbefehlsantrag gegen Netanjahu als Lackmus-Test: Vorwurf eines "post(neo?)kolonialen Gerichts" (gegen Afrika) nur zu entkräften, wenn breit ermittelt wird. Ambos versteht sich als Freund Israels, die Regierung ist aber extrem, die Kosten einer Unterstützung sind sehr hoch. Die Parole "From the River to the Sea"? Kontextabhängig, Meinungsfreiheit stark unter Druck, Temperatur bei diesem Thema zu heiß. Anders als beim blutleeren Nullzunull-Gespräch mit Limperg sieht man bei Ambos ein spektakuläres Spiel, allerdings im Block der Ultras, direkt neben dem Dauer-Trommler. Faszinierend, aber anstrengend.

Hoffnungslose Überforderung

Danach kommt Politikredakteur Hans Jessen mit den Chat-Fragen: Ist es nicht das Grundproblem, dass Völkerrecht nicht durchsetzbar ist (Enforcement-Defizite)? Für Ambos nichts Besonderes, auch nicht jedes nationale Räumungsurteil wird vollstreckt. Klingt arg bemüht, Henry Kissinger jedenfalls könnte wohl noch tot einen Impulsvortrag halten über die Anarchie zwischen Staaten. Apartheid in Palästina nur mit Fragezeichen: Welche Definition, welche Subsumtion, Absicht gegeben? Kosovo-Einsatz der NATO 1999? Fällt dem Westen auf die Füße, weil Putin das als Argument benutzt für Abspaltung von Krim und Ostukraine. Guantanamo? Schlecht (Doppelmoral). Assange? Gute Lösung. Putin eines Tages in Den Haag? Kann man nicht wissen. Compact-Verbot durchs Bundesinnenministerium? Es gilt das Zensurverbot (zwei Zeigefinger auf das T-Shirt).

Unverhofft gibt es einen goldenen Moment psychischer Entlastung: Jessen fragt, ob die Intervention in Syrien 2011 gerechtfertigt war. Während man konzentriert um Anschluss kämpft (Aleppo? Giftgas? Obama? Rote Linie?), antwortet Ambos kundig mit Liebe zum Detail. Jessen nickt, man versteht sich. Zwei Fragen später Nachtrag Jessen: "Kleine Korrektur aus dem Chat: Ging es vorher nicht eher um Libyen als um Syrien? – Äh, ich glaube, das ist richtig. Danke für den Hinweis."

Fazit: Man steht drei Stunden lang, Björn-Borg-Holzschläger in der Hand, einer Tennisballmaschine gegenüber, die auf 130 Stundenkilometer und Frequenzstufe zehn eingestellt ist – hoffnungslose Überforderung. Aber, wie hat man kürzlich so schön aufgeschnappt: Vermeiden hilft nichts, Dabeisein ist alles.

Der Autor Dr. Lorenz Leitmeier ist Richter am Amtsgericht, derzeit hauptamtlicher Dozent an der Hochschule für den öffentlichen Dienst in Bayern (HföD), Fachbereich Rechtspflege. 

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Strafrechtsprofessor bei "Jung & Naiv": . In: Legal Tribune Online, 20.08.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55237 (abgerufen am: 17.05.2025 )

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