Historische (Rechts-)Persönlichkeiten: Isaac Newton, Ermitt­lungs­richter der Münze

von Martin Rath

25.12.2015

Am 25. Dezember 1642 kam Isaac Newton zur Welt. Seine Fähigkeiten zeigte er nicht nur im Bereich der Mathematik und Physik – sondern auch auf dem Feld der Kriminalistik.

In den Urban-Fantasy-Romanen um den magisch begabten Londoner Polizisten Peter Grant erinnert Ben Aaronovitch daran, dass der englische Mathematiker und Physiker Isaac Newton (1642-1726/Ortszeit) nicht zwingend allein als Held der modernen Naturwissenschaft gelten muss. Zwischen Phasen, in denen Newton nachgerade manisch daran arbeitete, mit den Bewegungsgesetzen die klassisch-moderne Mechanik zu formulieren, das Wesen des Lichts zu ergründen und die Infinitesimalrechnung zu entwickeln, arbeitete er sich fast ebenso eifrig in das alchimistische Schrifttum seiner Zeit ein – Grund genug, ihn in Werken der heutigen fantastischen Literatur am Leben zu erhalten.

Während die Leistungen seines deutschen Zeitgenossen und Konkurrenten Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) auf dem Gebiet der Rechtspflege weitgehend in Vergessenheit geraten sind, erinnert man sich in England gern der ungewöhnlichen Tätigkeit Isaac Newtons im Bereich der Strafverfolgung

Dispens von Professorenpflicht zur Priesterschaft

In seiner Jugend war der Sohn einer vergleichsweise wohlhabenden Patchworkfamilie von Landwirten und Pfarrersleuten noch selbst mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Beim Hüten von Schafen, einer Tätigkeit, die den begeisterten Leser, Sonnenuhrenbauer und Physikbaukasten-Teenager avant la lettre von seinen eigentlichen Interessen abhielt, gerieten etliche der Viecher auf ein Nachbarsgrundstück, wo sie erheblichen Flurschaden anrichteten. Der gelehrte Knabe wurde vom lokalen Inhaber der Grundgerichtsbarkeit zur üblichen Mischung aus Geldstrafe und Schadensersatz verurteilt.

Auch mit dem höchsten Richter seines Landes hatte Newton später zu tun. Als Bachelor des Trinity Colleges zu Cambridge hatte er schwören müssen, sich binnen sieben Jahren zum Priester weihen zu lassen, was ihm eine Pfründe und damit die Freiheit zu forschen garantierte. Bis ins 19. Jahrhundert beruhten die beiden englischen Universitäten auf geistlichen Stiftungen, die ihren lehrenden und forschenden Angehörigen den Eintritt in die zölibatäre Geistlichkeit vorschrieben, die hier – abweichend von der übrigen anglikanischen Kirche – beibehalten wurde. Auch wenn Newton zeitlebens Junggeselle blieb, stand er mit der Orthodoxie der englischen Kirche auf keinem guten Fuß, und hielt beispielsweise die Lehre von der göttlichen Dreifaltigkeit für Unsinn. Obwohl diese Ketzerei nie öffentlich wurde, beantragte er beim König den Dispens von der Verpriesterung seiner Professorenschaft, der ihm wider aller Erwartung auch gewährt wurde.

Ermittlungsrichter im Dienst der Münze

Seit Weihnachten 1696 diente Newton in verschiedenen Verwaltungspositionen der Königlichen Münze. An einen Dienst war zunächst eigentlich weniger gedacht als an eine Pfründe zur Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenz. Doch nahm Newton die Berufung mindestens ebenso ernst wie seine Studien zur Mathematik oder Alchimie. Die Münzfälscherei hatte seinerzeit, nicht zuletzt infolge der politischen Umbrüche – Ende der Republik 1660, Glorious Revolution 1688 – erhebliche Konjunktur.

Als Master of the Mint berief sich Newton selbst zum Friedensrichter für die an London angrenzenden Counties und ermittelte in Verdachtsfällen von Münzfälschung. Zwischen 1698 und Weihnachten 1699 sind über 100 Befragungen von Zeugen und Verdächtigen überliefert.
Münzfälschung galt, vielleicht in einer archaischen Interpretation des königlichen Antlitzes auf der zahlenabgewandten Seite des Geldstücks, als Hochverrat. Das hatte unangenehme Folgen.

Empfindliche Strafen für Geldfälscher

Für Frauen war die gesetzliche Strafe für Münzfälschung – als Ausdruck des Hochverrats am König – die Hinrichtung auf dem Scheiterhaufen, zuletzt vollstreckt an einer Catherine Murphy im Jahr 1789. Einige Jahre vor Newtons nachdrücklicher Ermittlungsarbeit traf die Strafe im Oktober 1690 eine Anne Rogers, die wegen Münzverfälschung lebendig verbrannt wurde, während ihr Gatte und Mittäter Thomas zunächst gehängt, dann ausgeweidet und gevierteilt wurde.

Zu den 28 Münz- und Wertpapierfälschern, zu deren Verurteilung die Ermittlungen Isaac Newtons entschieden beitrugen, zählte der verwegene William Chaloner. Newton präsentierte dem Gericht acht Zeugen, die aussagten, Chaloner beim Prägen falscher Münzen beobachtet zu haben. Verhandelt wurde die Sache vor dem Richter Salathiel Lovell (1631-1713), der nicht im Ruf besonderer Menschenfreundlichkeit stand – eine Gefängnis- und Prangerstrafe für den politischen Journalisten Daniel Defoe (1660-1731) ging auf seine Rechnung.

Einige Fundstellen besagen, dass der von Isaac Newton der Verurteilung zugeführte William Chaloner die gleiche Strafe erhielt, wie sie Thomas Rogers in der Zeit vor Newtons Ermittlungsrichterarbeit erlitt. Eine Quelle spricht davon, er sei nicht gehängt, sondern ertränkt worden. Die Hinrichtungsstätte Londons, Tyburn, war bis ins 19. Jahrhundert nicht nur Teil der britischen Strafrechtspflege, sondern auch einer grausamen Unterhaltungsindustrie: Flugschriften zu Hinrichtungen waren ähnlich populär wie die Inszenierung der öffentlichen Tötung selbst. Zuverlässig sind die Berichte daher nicht immer.

Bemerkenswertester Ermittlungsrichter seiner Zeit

Der am 25. Dezember 1642 (worüber man noch streiten könnte*) geborene Isaac Newton wurde übrigens weder für seine Verdienste um die Versorgung der britischen Wirtschaft mit sicherem Bargeld geadelt, noch für seine epochalen Leistungen auf dem Gebiet der Mathematik und der Physik. Es heißt vielmehr, dass ihn Königin Anne im Zusammenhang mit Aktivitäten im Wahlkampf zum Unterhaus zum Ritter schlug – Parlamentarier war der bemerkenswerte Ermittlungs- und Friedensrichter im Dienst der Münze nämlich auch noch.

Kein Wunder, dass noch die aktuelle Fantasy-Literatur auf Sir Isaac Bezug nimmt. Nachfolger in einem seiner Berufe, Ermittlungsbeamte und -richter, sind hoffentlich weniger manisch in ihren Aktivitäten, stattdessen nüchtern und von gemäßigtem Beamtentemperament – doch die Leistungen des großen Gelehrten dürften auch ihnen wie ein Fantasy-Märchen vorkommen.

Anmerkung: Isaac Newton wurde nur nach julianischem Kalender am 25. Dezember geboren, der zu seinen Lebzeiten in Großbritannien noch in Gebrauch war. Im moderneren, also katholischen Ausland zählte man bereits gregorianisch den 4. Januar. Newtons Todesjahr ist noch okkulter, weil die Briten Neujahr bis 1752 erst am 25. März begannen. Auf der Newton-Diskussionsseite der Arbeitsgemeinschaft deutscher Rechthaber, bekannt als wikipedia.de, führt das – aus der Außenperspektive – zu lustigen Diskussionen.

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Historische (Rechts-)Persönlichkeiten: . In: Legal Tribune Online, 25.12.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17968 (abgerufen am: 03.12.2024 )

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