In der Republik Irland wurde nach dem ersten Weltkrieg versucht, den Verkauf von Bayer-Produkten zu unterbinden, die Marke sei schon vergeben. Seit dem 1. Mai 1967 bereitet dieser Streit der irischen Justiz aber keine Kopfschmerzen mehr.
Mit Anordnung vom 19. Mai 1966 untersagte John Kenny, zwischen 1961 und 1975 Richter am High Court zu Dublin, dem in Leverkusen ansässigen Pharmazieunternehmen Bayer im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, in der Republik Irland "chemische Produkte aller Art für medizinische Zwecke unter oder mit Bezugnahme auf die Worte 'Bayer', 'Bayer Germany', 'Bayer Leverkusen' oder 'Bayer Leverkusen Germany' feilzuhalten, zu veräußern oder zu vertreiben."
Ein knappes Jahr später, am 1. Mai 1967, hob der Supreme Court, das höchste Gericht der Republik Irland, diese für den Leverkusener Pharma-Riesen schmerzhafte Anordnung auf. Schmerzhaft vielleicht weniger hinsichtlich des überschaubar absatzstarken irischen Markts als vielmehr mit Blick auf die Firmengeschichte: Bereits seit 50 Jahren hatte das Unternehmen um seine wertvollsten Marken kämpfen müssen.
Immerhin versüßte der Supreme Court seine Entscheidung noch um eine böse Bemerkung über die pharmazeutisch, human- und veterinärmedizinisch gebildeten Kreise Irlands. Aber der Reihe nach.
Friedensvertrag schadet dem Aspirin-Produzenten
"Sind indes während des Krieges durch eine gesetzgebende, ausführende oder verwaltende Stelle einer alliierten oder assoziierten Macht hinsichtlich der Rechte deutscher Reichsangehöriger auf dem Gebiete des gewerblichen, literarischen oder künstlerischen Eigentums Sondermaßnahmen ergriffen worden, so behalten die auf Grund derselben getroffenen Anordnungen weiterhin ihre Gültigkeit und volle Wirksamkeit."
Mit dieser Vorschrift war der Krieg auch wirtschaftlich gründlich verloren worden: Artikel 306 Absatz 2 des Friedensvertrags von Versailles, hier zitiert nach der amtlichen deutschen Übersetzung (Reichsgesetzblatt I 1919, S. 687 ff.; S. 1.185), machte eine Ausnahme von der Regel, dass die während des Ersten Weltkrieges verletzten oder außer Kraft gesetzten gewerblichen Schutzrechte wieder wirksam wurden.
Die bis 1914/1918 weltmarktführende deutsche chemische und pharmazeutische Industrie verlor damit wertvolle Patent- und Markenrechte. Mit dem Versailler Vertrag ging für Bayer namentlich das Patent in den USA samt einer modernen Aspirin-Fabrik verloren, die einschlägigen Rechte werden von der Firma Sterling Drug, später Sterling Winthrop für 5,3 Millionen Dollar erworben.
In Irland wird wieder Fuß gefasst
Nach Feststellung der irischen Gerichte vertrieb die Firma aus Leverkusen seit 1958 wieder Arzneimittel, pharmazeutische und verterinärmedizinische Produkte in der Republik Irland, die sich seit 1921 in einem höchst verwickelten völker- und verfassungsrechtlichen Prozess aus dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Irland verabschiedet hatte. Übrigens mit teils bizarr anmutenden Verbindungen irischer Nationalisten zur deutschen Führung: Ein Sohn von Kaiser Wilhelm II. war als König von Irland im Gespräch, deutsche U-Boote brachten in beiden Weltkriegen über Irland Spione ins britische Weltreich und man fühlte sich im Briten-Hass mitunter traut vereint.
Doch bei den Bayer-Rechten schien die Freundschaft zunächst ein Ende zu finden: 1966 unterband Richter Kenny auf Antrag von Winthrop den Vertrieb der deutschen Bayer-Produkte in der Republik Irland.
Grundlage für das Verbot war die Klage des Bayer-Konkurrenten auf Grundlage des Common-Law-Instituts der "action of passing-off".
2/2: Die action of passing-off
Bei der action of passing-off handelt es sich möglicherweise um eine der ältesten Formen gewerblichen Rechtsschutzes. Bereits im Jahr 1618 stritt im Fall "Southern v. How" ein englischer Schneider darum, seine Schnitte vor Kopien eines Konkurrenten auf billigerem Stoff zu schützen. Bis heute wird im angelsächsischen Rechtskreis auf dieses Institut zurückgegriffen, das a) einen geschützten Geschäftswert ("goodwill"), b) eine Täuschung ("misrepresentation") sowie c) eine Beeinträchtigung des Geschäftswerts verlangt.
Bedingt durch ihre rechtshistorische, richterrechtliche Patina veranlassen "passing-off"-Klagen Richter offenbar etwas mehr als die doch abstrakt-formaleren kontinentaleuropäi-schen Markenrechtskonstruktionen dazu, auch einen Aspekt des lauteren Geschäftshan-delns beider Parteien mit in den Blick zu nehmen – erst recht im Irland des Jahres 1967, einer Insel fern der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und soeben erst mit einem modernen Markenrechtsgesetz ausgestattet. Nicht allein die hohle Form "Marke" steht dabei im Vordergrund, auch die geschäftliche Fairness rückt ins Interesse.
Vorteil aus Versailler Vertrag wird eingehegt
Im Beschluss vom 1. Mai 1967 – im notorisch feiertagsarmen Irland auch dies kein "Kampf-tag der Arbeiterklasse", sondern ein gewöhnlicher richterlicher Arbeitstag – nimmt der Supreme Court auch die Fairness, die Lauterbarkeit des Bayer-Konkurrenten in den Blick:
Nicht nur, dass das Recht von Winthrop, allein die Marke "Bayer" zu benutzen – diese Frucht des Ersten Weltkriegs –von den Leverkusenern nicht verletzt worden sei; nein, das deutsche Unternehmen habe es ebenso vermieden, den Begriff "Bayer" ohne erklärende Zusätze in Irland zu gebrauchen.
Darüber hinaus habe Winthorp selbst es darauf angelegt, dass seine medizinischen Produkte den Eindruck erweckten, "dass eine deutsche Verbindung bestand oder dass ihre Produkte in irgendeiner Form aus Deutschland stammten".
Daher handele der Bayer-Konkurrent unlauter, indem er die Verwirrung der irischen Marktteilnehmer – die Winthorp mit der "action of passing-off" beklagte – eigentlich selbst zu verantworten habe.
Chemie ist nur richtig gut, wenn sie deutsch ist
Trotz verlorenen Schutzrechts am Wort "Bayer" konnte das deutsche Pharmautnernehmen seit dem 1. Mai 1967 in Irland mit Wortverbindungen wie "Bayer Germany", "Bayer Leverkusen" oder "Bayer Leverkusen Germany" hausieren gehen – ohne den lästigen Gedanken daran pflegen zu müssen, 1919 mit zu den Verlierern des Ersten Weltkriegs gehört zu haben.
Keinesfalls vorenthalten werden darf noch ein beunruhigender Gedanke, den der Dubliner Supreme Court am 1. Mai 1967 aussprach: Obwohl die Bayer-Produkte – also jene von Winthrop als auch jene aus Leverkusen – in ihrer äußeren Gestalt zu unterschiedlich ausfielen, um ein "passing-off"-Vertriebsverbot für das deutsche Unternehmen zu rechtfertigen, hingen in den Augen der Richter die irischen Human- und Veterinärmediziner sowie Pharmazeuten gleichwohl weitgehend der Idee an, dass die Chemie eben aus Deutschland komme – und bei diesen Marktteilnehmern handele es sich doch um akademisch gebildete Menschen.
Gemessen daran, dass die "action of passing-off" nach richterlichem Ermessen keinen "moron in a hurry" – keinen Idioten in Eile – vor Verwechslungen schützen will, liegt darin keine freundliche Erkenntnis.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.
Martin Rath, Bayer nach dem ersten Weltkrieg: Ein irisches Acetylsalicylsäure-Problem . In: Legal Tribune Online, 01.05.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22789/ (abgerufen am: 05.12.2023 )
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