Interview mit dem haitianischen Anwalt Patrick Laurent: "Das Gericht tagt unter einem Zelt"

Patrick Laurent hat den Schreibtisch in seiner Kanzlei in Port-au-Prince für einige Tage mit dem Fußballrasen in Antalya getauscht. Am Rande der Fußball-WM für Anwälte Mundiavocat 2010 sprach LTO mit ihm über das Erdbeben im Januar 2010 und die Lage von Haitis Juristen sechs Monate danach.

Der hochgewachsene Anwalt mit dem sorgsam gepflegten Schnurrbart betreibt eine Kanzlei in Port-au-Prince. Das Cabinet Patrick Laurent et Associés liegt auf Bois Verna, einem der fünfzehn Hügel der haitianischen Hauptstadt, knapp zwei Kilometer von der Karibik entfernt.

Neben seinem Beruf lehrt Patrick Laurent Strafrecht an der Rechtsfakultät und bekleidet höchste Ämter im haitianischen Anwaltsverein, in der Anwaltskammer von Port-au-Prince und nicht zuletzt im nationalen Fußballverband. Mit der Fußballmannschaft der Anwälte von Port-au-Prince nahm er zum ersten Mal an der Mundiavocat teil.

LTO: Maître Laurent. Ihre Mannschaft wurde Gruppenzweite und ist nun im Achtelfinale ausgeschieden. Sind Sie mit der Leistung zufrieden?

Laurent: Im Großen und Ganzen bin ich zufrieden. Nach dem Erdbeben war es uns wichtig, der Welt zu zeigen, dass das Leben bei uns wieder seinen Gang nimmt.

LTO: Wie gestaltete sich unter diesen Umständen die fußballerische Vorbereitung?

Laurent: Sehr schwierig. Auf den meisten Fußballplätzen sind Behelfsunterkünfte eingerichtet worden. Unsere Mannschaft musste einen Monat nach dem Beben auf dem Gelände der École de la Magistrature, der Richterschule, trainieren.

LTO: Wie haben Sie den Tag des Bebens erlebt?

Laurent: Ich glaubte, das Ende der Welt sei gekommen. Unser Justizpalast ist in sich zusammengestürzt, der Präsidentenpalast auch. Ebenso unsere Kathedrale, die Universitäten. Man hat mehr als 300.000 Tote gezählt. Es fällt schwer zu glauben, dass so etwas passiert. In knapp 30 Sekunden wird das Leben auf den Kopf gestellt, nichts ist mehr so wie vorher.

LTO: Wie sehr sind Sie und Ihre Kollegen vom Beben betroffen gewesen?

Laurent: Mit der Hilfe Gottes habe ich mein Leben gerettet. Meine Kanzlei und mein Haus haben dem Beben standgehalten. Während dieses tragischen Tags war ich jedoch bei einem Kollegen, dessen Haus eingestürzt ist. Er hat ein Kind von drei Jahren verloren. Die Anwaltskammer war im Justizpalast angesiedelt, wir haben dort alles verloren.

"Für junge Anwälte ist es am schwierigsten"

LTO: Wie ist die Lage nun, knapp ein halbes Jahr nach dem Beben?

Laurent: Das Leben setzt Schritt für Schritt wieder ein. Der Kammervorstand hat sich beim Präsidenten der Anwaltskammer oder in meiner Kanzlei getroffen. Das Gericht tagt unter einem Zelt bei der Staatsanwaltschaft. Tatsächlich arbeiten nur die Strafkammer und die Wirtschaftskammer im Eilverfahren.

LTO: Welches sind die dringendsten Probleme?

Laurent: Im Grunde ist alles dringend. Man hat den Justizpalast noch nicht wieder bezogen, die Anwaltskammer hat die ganze Bibliothek verloren sowie die IT. Unsere Sorge ist es auch, den Anwälten die Arbeit wieder möglich zu machen, vor allem den jungen Anwälten.

LTO: Vor welchen Problemen stehen denn besonders die jungen Anwälte?

Laurent: Mit weniger als fünf Jahren im Beruf haben die meisten jungen Anwälte kaum Mandanten und können nur durch die von der Anwaltskammer organisierte Prozesskosten- und Beratungshilfe etwas Geld verdienen...

LTO: …was Sie selbst zwei Jahre lang gemacht haben...

Laurent: ..., bis sie sich einen Mandantenstamm aufgebaut haben. Sie sind die Verletzlichsten, wenn keine Mandanten kommen.

LTO: Seit dem Beben betätigen sich viele Nichtregierungsorganisationen in Haiti. Hat das nicht zu einer Fülle von neuen Mandaten geführt?

Laurent: Ja, aber es sind die erfahrenen Anwälten, die von der Präsenz der Nichtregierungsorganisationen profitieren. Die Mehrheit der Anwälte, die ihre Mandanten vor Ort hat und keine Mandate aus dem Wirtschaftsrecht, ist praktisch arbeitslos. Schließlich ist vor allem ihr Mandantenstamm dem Beben zum Opfer gefallen. Es sind sehr schwierige Zeiten für uns in Haiti.

LTO: Welche Unterstützung erfahren Haitis Juristen von ihren Kollegen aus aller Welt?

Laurent: Die Anwaltskammer von Québec arbeitet über die internationale Hilfsorganisation „Avocats sans Frontières“ mit unserer Anwaltskammer zusammen. Die Pariser Anwaltskammer hat uns 100.000 Euro zugesagt. Im Moment ist unser Kammerpräsident auf einer Konferenz in Paris, wo er abschließend über die Hilfsleistung verhandeln möchte. Vor dem Beben hat die Pariser Anwaltskammer jedes Jahr einen jungen Anwalt zu einem Praktikum eingeladen. Doch wir haben seit zwei Jahren keine Einladung mehr erhalten.

LTO: Nun, die nahende Fußball-WM in Südafrika sollte auch eine Stunde der Versöhnung sein. Auf welches Land setzen Sie für den WM-Titel?

Laurent: Ich träume ja von einem Finale Brasilien gegen Deutschland. Ob nun Brasilien Weltmeister sein wird oder Deutschland, ich werde dabei auf jeden Fall nur gewinnen können.

Mit Maître Patrick Laurent sprach Jean-Claude Alexandre Ho.

Zitiervorschlag

Jean-Claude Alexandre Ho, Interview mit dem haitianischen Anwalt Patrick Laurent: "Das Gericht tagt unter einem Zelt" . In: Legal Tribune Online, 09.06.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/678/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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