Hexenprozesse: Straf­rechts­wis­sen­schaft zum Ver­b­re­chen der Magie

von Martin Rath

20.10.2019

Hexen und Zauberer konnten in Europa lange relativ friedlich leben, bis Rechtsgelehrte kamen, die in ihnen eine Gefahrenquelle entdeckten. Eine nun publizierte Doktorarbeit legt uns eines der wichtigsten juristischen Werke hierzu ans Herz.

Im Jahr 1580 gab der französische Jurist Jean Bodin (ca. 1530–1596) die erste Auflage seines Werks "De la Démonomanie des Sorciers" in den Druck.

Unter Kollegen bekannt ist Bodin heute für seine "Les six livres de la République". Diese "Sechs Bücher über den Staat" aus dem Jahr 1576 gelten als Ausgangspunkt der frühmodernen französischen Staatsrechtslehre und Bodin nachgerade als Erfinder der ursprünglichen Idee der Souveränität – die in unzähligen Mutationen bis heute die Lehre vom Staat beseelt.

Die Wertschätzung, die Bodin für seine Staats- bzw. Staatsrechtslehre genießt, trug dazu bei, dass seine Hexerei-Expertise gerne als eine schrullige Nebensache wahrgenommen wurde – obwohl die "Démonomanie" seinerzeit rund 20 Auflagen erlebte und eben nicht nur als zeittypische Abhandlung der damals verbreiteten Wissenschaft von der Magie gelten darf, sondern vor allem als wichtiges rechtswissenschaftliches Werk, adressiert an die Rechtsgelehrten und Richter dieser Epoche.

Esoterischer Unsinn zur historischen Hexerei ist schon gründlich widerlegt

Dass Bodin seit Jahrhunderten in der Rechtswissenschaft, wenn überhaupt, als Staatsrechtslehrer gelesen wurde, hatte zur Folge, dass sein Werk zur Hexenlehre in den letzten Jahrzehnten überwiegend von Historikern und Philosophinnen interpretiert wurde.

Von der historischen Forschung der vergangenen 40 Jahre wurde hier viel Aufklärungsarbeit geleistet. Dass es beispielsweise bei den europäischen Hexenverfolgungen zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert nicht um die Beseitigung frühfeministischer Heilpraktikerinnen ging, denen der Staat beim unerwünschten Verteilen von Jute-Kondomen ins Handwerk griff, zählt zu diesen Erkenntnissen. Auch mit der vom NS-Verbrecher Heinrich Himmler (1900–1945) ebenso wie von der linken US-Journalistin Barbara Ehrenreich (1941–) kolportierten Behauptung, es seien bis zu neun Millionen Hexen getötet worden – statt einiger Zehntausend – räumten neuere Hexerei-Historiker gründlich auf.

Mit diesem Basiswissen der neueren Hexereiforschung hält sich der Schweizer Jurist Christopher Lattmann natürlich nicht auf. Umso mehr eröffnet seine 2017 von der Universität Zürich als Dissertation angenommene Schrift, die unter dem Titel "Der Teufel, die Hexe und der Rechtsgelehrte" jetzt auch für das breitere Publikum herausgekommen ist, die Chance, den Staats- und Hexentheoretiker Jean Bodin vor allem wieder als einen Kollegen vom juristischen Fach kennenzulernen.

Hexerei-Wissenschaft: Juristen (m/w/d) sollten sie neu entdecken

Vom Schweizer Juristen für den nicht zuletzt juristischen Leser erschlossen, wirken der französische Rechtsgelehrte Jean Bodin und sein Hexerei-Werk viel vertrauter, als man vielleicht denken mag – es ist wie der Blick in einen uralten Spiegel: Man mag das nicht sehen, Erkennen stellt sich aber doch ein.

Eine zunächst eher oberflächliche Familienähnlichkeit mit Bodin und seiner Epoche findet sich dabei noch in manchmal fast amüsanten Fingerzeigen: Wenn Lattmann beispielsweise darauf hinweist, dass das Konzil von Basel, an dem zwischen 1431 und 1449 rund 150.000 Menschen teilnahmen – darunter viele Juristen und Theologen – wohl erheblich dazu beigetragen habe, dass aus dem von der Kirche des Mittelalters bekämpften Volksglauben an das Wirken magischer Mächte eine moderne akademische Fachfrage mit juristischen Konsequenzen wurde, mag man sich durchaus belustigt an heutige Großkonferenzen erinnert fühlen.

Dass er seine Hexenlehre 1580 zunächst in französischer Sprache vorlegte, bevor er die lateinische Fassung für den internationalen rechtswissenschaftlichen Fachdiskurs nachlieferte, lässt neben klugem Vermarktungsgeschick auch auf ein klares Bewusstsein Bodins dafür schließen, wo juristische Literatur zuerst gelesen werden muss, will sie Wirkung entfalten – also bei den Richtern und Anwälten im eigenen Land.

Hexenrechtliche Rechtsfiguren mit erheblichem Wiedererkennungswert

Es sind jenseits solcher Oberflächlichkeiten aber vor allem die juristischen Detailprobleme und ihre Erörterung in Bodins Werk "Démonomanie", die auf eine verdrehte Weise vertraut anmuten.

An zaubereiwissenschaftliche Überlegungen dazu, welche Gestalt der Teufel – nach seiner biblischen Konzeption ja eine Art Engel, jedenfalls ein Geschöpf Gottes –  hat, und der Festlegung darauf, dass er in leiblicher Natur auftreten könne, schließen sich bei Bodin beispielsweise ausführliche Erörterungen an, die den Teufel als Vertragspartei würdigen.

Zum außerordentlichen Verbrechen gegen den Staat wird die Tat der Hexe und des Zauberers eigentlich erst durch diesen Kontrakt mit dem Teufel. Jedoch war der Satan, der "Herr der Lüge", in der juristisch gelehrten Hexenwissenschaft als schlechter Vertragspartner bekannt. Damit war nach der römischen Rechtslehre, die seinerzeit in Europa neue Verbreitung fand, in Betracht zu ziehen, dass Verträge mit dem Teufel wegen Irrtums unwirksam sein könnten – wer sich unwissentlich mit ihm einließ, war also aus einer genuin juristischen Überlegung heraus womöglich keine Hexe, "weil hier kein übereinstimmender Wille der Parteien vorliegen kann".

Dieses Problem löste Bodin empirisch, indem er sich darauf berief, die Geständnisse der gerichtsbekannten Hexen zeigten, dass sich der Teufel beim Vertragsschluss als solcher gerne bekenne und seine Kontrahenten "jeweils vollends im Klaren darüber waren, mit wem und über was sie ein Rechtsgeschäft schlossen".

Der Pakt mit dem Teufel

Die Bandbreite der teuflischen Fähigkeiten, sich seinen Vertragspartnerinnen und -partnern mehr oder weniger körperlich zu zeigen, und die entsprechend möglichen Begehungsformen der magischen Verbrechen gaben Anlass zu juristischer Feinarbeit, die so fremd gar nicht wirkt: Hatte sich der Satan in körperlicher Gestalt eines Mannes gezeigt und mit der Hexe unzüchtig verkehrt, war der Tatbestand des Ehebruchs in Betracht zu ziehen. War er als Ziegenbock erschienen, war zusätzlich der Tatbestand der Sodomie zu prüfen.

Allen vielfältigen Deliktsformen lag nach Bodin aber eine ganz knappe, recht modern wirkende Definition zugrunde: Hexer ist, "wer sich wissentlich teuflischer Mittel bedient, um einen Erfolg herbeizuführen" ("Sorcier est celuy qui par moyens Diaboliques sciemments s’efforce de paruenir à quelque chose.")

An die Lehre vom Teufelspakt – zu den Vertragstypen, den Pflichten des Menschen und den Leistungen des Teufels aus diesem Synallagma – schließt sich das Fachwissen zu den wichtigen Deliktsformen an: vom Hexenflug über den Hexensabbat, von der Teufelsbuhlschaft bis zum Schadenszauber.

Kein obskur esoterisches, sondern ein klar rechtswissenschaftliches Problem betraf etwa die Frage, ob dem Hexereiverdächtigen ein konkreter Taterfolg durch den Schadenszauber nachzuweisen sei – jedenfalls, wenn eine Todesstrafe zu begründen war – oder ob der Beleg des Vertrags mit dem Teufel hierzu genüge. Bodin reichte letzteres. Der Schadenszauber galt ihm nur als "eine Zugabe zur Beleidigung göttlicher Majestät" durch den Teufelspakt – möglicherweise, weil bis in die jüngere Vergangenheit magische Praktiken u.a. im ländlichen Frankreich zu weit verbreitet waren, als dass sie ohne Zutun des Leibhaftigen strafwürdig sein konnten. Kein Grund zum Hochmut hierzulande übrigens: Wer gesetzliche Krankenkassen Homöopathie bezahlen lässt und Waldorf- als staatliche Ersatzschulen anerkennt, steht insoweit vor eigenen Vernunftproblemen.

Warum sollte man auch juristische Hexenwissenschaft studieren?

"Die Hexen in meiner Nachbarschaft geraten jedesmal in Lebensgefahr, wenn ein neuer Autor den Wirklichkeitsgehalt ihrer Visionen nachzuweisen sucht", schrieb Bodins Zeitgenosse Michel de Montaigne (1533–1592) in seinem berühmten Essai "Über die Hinkenden" (III-11) – und es spricht nichts dagegen, dass der Jurist und Philosoph Montaigne bei diesem milden Spott nicht nur an die Strafrechtswissenschaft im Allgemeinen, sondern insbesondere an seinen Kollegen Bodin dachte.

Noch weniger spricht dagegen, die ganze moderne Strafrechtswissenschaft seit Mitte des 18. Jahrhunderts als Abwehrversuch gegen rechtswissenschaftliche und -politische Bedürfnisse zu verstehen, die Bedrohungsvisionen einer Gesellschaft in materielles Strafrecht und Strafprozessrecht zu übersetzen.

Dass zum Beispiel der Grundsatz der freien Beweiswürdigung, § 261 Strafprozessordnung (StPO), nicht zuletzt auf der Erfahrung beruht, dass durch Folter erzwungene Geständnisse zu Zeiten der Urgroßeltern unserer Urgroßeltern zum Vollbeweis des Teufelspakts reichten, mag heutigen Juristinnen und Juristen noch halbwegs bewusst sein.

Wer aber in Christopher Lattmanns Dissertation zu Jean Bodin liest, wie systematisch dieser französische Rechtsgelehrte im Kampf des göttlich inspirierten Staates gegen das dämonische Böse wider die Effizienzlücken eines konservativen Strafprozesses stritt, oder davon, wie gut man seinerzeit mit dem opferlosen Verbrechen der Hexerei dogmatisch klarkam, wird hoffentlich skeptisch gegenüber der Vernunft in heutigen rechtswissenschaftlichen und -politischen Kontroversen – und das manchmal ganz konkret:

So zeigte sich Bodin beispielsweise entzückt über eine Erfindung aus Schottland: Dort hatten Juristen die anonyme Anzeige im Kampf gegen das organisierte Verbrechen der Hexerei für zulässig befunden, technisch umgesetzt mit sogenannten Denunziationskästen zum Einwurf verdächtiger Namen.

Der Blick in diesen dunklen Spiegel öffnet vielleicht mehr die Augen als ein Pflichtprogramm zur deutschen Unrechtsgeschichte im 20. Jahrhundert. Es wäre zu wünschen, dass Christopher Lattmanns großartige Bodin-Studie viele studentische Leserinnen und Leser findet – und natürlich auch unter Juristen, die beruflich oder politisch bereits aktiv am Wirklichkeitsgehalt von Visionen arbeiten.

Christopher Lattmann: "Der Teufel, die Hexe und der Rechtsgelehrte. Crimen magiae und Hexenprozess in Jean Bodins De la Démonomanie des Sorciers", Klostermann-Verlag 2019. XVI, 390 Seiten. 69,00 €
ISBN 978-3-465-04389-8.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Hexenprozesse: . In: Legal Tribune Online, 20.10.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38265 (abgerufen am: 13.11.2024 )

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