Der Fall Harry Wörz im Ersten: Der falsche Mann

von Jochen Thielmann

25.01.2014

2/2: Ein Thriller über Polizeikorruption?

Der Fall gewinnt dadurch an Brisanz, dass Silke Wörz Polizistin und nach der Trennung von ihrem Ehemann mit einem Kollegen liiert war. Der generelle Tatverdacht gegen Mitglieder des Freundes- und Bekanntenkreis hätte sich daher auch gegen Polizeibeamte richten müssen. Doch dazu kam aufgrund der (vor-)schnellen Verhaftung von Harry Wörz gar nicht erst.

Damit nicht genug, waren es genau diese Freunde und Kollegen des Tatopfers, die die Ermittlungen aufnahmen und am Tatort Beweise sicherten. Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um bei einer solchen Ausgangssituation Probleme zu erkennen. Die sofortige Festlegung auf den Ehemann als Tatverdächtigen und die folgende Konzentration auf seine Überführung, die keine anderen Überlegungen zuließ – und dadurch den etwaigen Tatverdacht auf Polizeibeamte gar nicht erst aufkommen ließ – ist einer der Hauptgründe dafür, dass dieser Fall zu solch trauriger Berühmtheit gelangte.

Es ist nicht auszuschließen, dass in dem Fall nicht nur ein Gerichtsdrama, sondern auch ein Lehrstück über korrupte Polizeibeamte steckt, wie man dies im amerikanischen Kino aus Filme wie "Serpico", "Prince of the City" oder "Copland" zur Genüge kennt.

Gibt es doch noch ein weiteres Kapitel?

Ob das letzte Kapitel des Falls schon geschrieben ist, ist immer noch nicht klar. Für ein klassisches Gerichtsdrama wäre die Überführung des wahren Täters der perfekte Abschluss, aber die Wirklichkeit sieht oft anders aus.

Bis heute ist nicht geklärt, wer für die Tat verantwortlich ist. Das Opfer kann nichts zu der Identität des Angreifers sagen. Silke Wörz hat bleibende Schäden davon gezogen. Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe hat Anfang 2013 die Akten geschlossen, weil es keinen Anfangsverdacht bezüglich eines anderen Täters gebe. Nicht wenige sehen dies anders, unter ihnen Harry Wörz selbst – auch deshalb verbleibt ein bitterer Beigeschmack.

Aber dieser ist dem Rechtsstaat zueigen, wenn er nach dem Grundsatz in dubio pro reo Angeklagte freispricht oder Verdächtige gar nicht erst anklagt. Manchmal führen viele Jahre nach einem Verbrechen trotzdem neue Erkenntnisse die Ermittlungsbehörden auf die richtige Spur. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass in Zukunft noch ein weiteres Kapitel in diesem spektakulären Justizkrimi geschrieben wird.

Erstausstrahlung: ARD, 29. Januar, 20.15 Uhr.

Zitiervorschlag

Jochen Thielmann, Der Fall Harry Wörz im Ersten: Der falsche Mann . In: Legal Tribune Online, 25.01.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10778/ (abgerufen am: 23.04.2024 )

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