Der Bauzeichner Harry Wörz hat eine Berühmtheit erlangt, auf die er sicher gerne verzichtet hätte. Er ist die Hauptfigur eines jahrelangen Justizkrimis, in dem das letzte Kapitel womöglich immer noch nicht geschrieben ist. Jochen Thielmann wirft einen Blick zurück auf die Eigenheiten des Falles und einen Blick voraus auf dessen Verfilmung.
Bei den meisten Tötungsdelikten sucht die Polizei zunächst im engsten Umkreis des Opfers nach dem Täter. Nicht selten wird sie dort auch fündig. Es war also keine sonderlich aufregende Entwicklung, als im April 1997 der getrennt lebende Ehemann von Silke Wörz unter dringendem Tatverdacht festgenommen wurde, nachdem die Frau schwer verletzt aufgefunden worden war. Jemand hatte sie mit einem Schal gewürgt.
Auch die Verurteilung durch das Landgericht (LG) Karlsruhe zu elf Jahren Freiheitsstrafe wegen versuchten Totschlags nach nur wenigen Hauptverhandlungstagen erregte kein bundesweites Interesse – trotz offensichtlicher Polizeifehler und etlicher Ungereimtheiten.
Ein Fall wie gemacht für eine Verfilmung
Es gibt in der Strafjustiz eines Rechtsstaates immer mal wieder Fälle, die das Klischee des klassischen Gerichtsdramas perfekt erfüllen. Ermittelt wird wegen einem schweren Verbrechen. Die Akteure sind ein unschuldiger Angeklagter, ein engagierter Verteidiger, ein vorschnell überzeugter Staatsanwalt, zwielichtige Zeugen und ein oberflächliches Gericht. Am Ende steht ein Fehlurteil.
Kommt es zu einer Fortsetzung, sieht man den nun Verurteilten verzweifelt in Haft sitzen, sein Verteidiger kämpft weiter oder wurde durch einen anderen Anwalt ausgetauscht. Und plötzlich taucht Licht am Ende des Tunnels auf. Es kommt zum Happy End, das das Justizopfer allerdings nicht wirklich glücklich zurücklassen kann.
Der Fall des Bauzeichners Harry Wörz hat das fast alles. Es war also wohl unvermeidbar, dass sich Filmemacher des Stoffs annehmen würden.
2010 setzte sich bereits der Dokumentarfilm "Leben unter Verdacht", mit dem Schicksal von Harry Wörz auseinander. Zu dieser Zeit war das Verfahren noch immer beim Bundesgerichtshof anhängig, das letzte Kapitel noch nicht geschrieben.
Nun folgt ein Spielfilm unter der Regie von Till Endemann. Anfänglich stand Harry Wörz dem Projekt eher ablehnend gegenüber, später unterstützte er die Filmemacher jedoch bei den Dreharbeiten. Der verantwortliche SWR-Redakteur Michael Schmidt hält die Verfilmung, die zur besten Sendezeit gesendet und über die im Anschluss in einer Talkshow diskutiert wird, für sehr wichtig: "Wenn die Justiz versagt, geht uns das alle an, das kann jeden selber treffen."
Kein Wort der Entschuldigung
Die Dynamik, die der Fall irgendwann erhielt, ging nicht von den Strafrichtern aus, sondern von ihren Kollegen beim Zivilgericht. Sie hatten sich 2001 mit der Klage der Eltern von Silke Wörz auf Schadensersatz und Schmerzensgeld zu beschäftigen und die Aufgabe, die Angaben der Klageschrift, die sich auf die rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung stützte, auf ihre Schlüssigkeit zu überprüfen.
Nach sorgfältiger Prüfung hielten sie die Schuld des Beklagten nicht für erwiesen. Den daraufhin gestellten Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens lehnte das Landgericht (LG) Mannheim zweimal ab, schließlich musste das Oberlandesgericht Karlsruhe ein Machtwort sprechen. Im Oktober 2005 wurde der inzwischen seit vier Jahren auf freiem Fuß befindliche Wörz von den Mannheimer Richtern schließlich freigesprochen.
Damit war die Odyssee durch die deutschen Gerichtssäle jedoch noch nicht beendet. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hob das Urteil nämlich auf. Nach umfangreicher und akribischer Sachverhaltsaufklärung im dritten Prozess erfolgte 2009 erneut ein Freispruch, den ein Jahr später auch Karlsruhe akzeptierte.
Nachdem der Kampf der Justiz um die Richtigkeit schließlich ein Ende gefunden hatte, gab es kein Wort der Entschuldigung beim Justizopfer Wörz. "Die waren total zufrieden mit sich", erzählte er später in einem Interview. Wahrscheinlich war bei Anklägern und Richtern die Überzeugung vorrangig, dass sich das deutsche Strafprozesssystem auch bei diesem sehr ungewöhnlichen Verfahrensverlauf doch einmal mehr bewährt und der Rechtsstaat gesiegt hatte.
Auch wenn diese Einstellung nicht ganz falsch ist, wäre es allenthalben angemessen gewesen, sich die begangenen schweren Fehler einzugestehen, damit sie in Zukunft unterbleiben, und sich bei den Leidtragenden zu entschuldigen. Denn Harry Wörz hat nicht nur 1.675 Tage zu Unrecht im Gefängnis verbringen müssen, sondern auch den Kontakt zu seinem Sohn verloren, der nach der Tat bei seinen Schwiegereltern aufgewachsen ist.
Der Fall Harry Wörz im Ersten: . In: Legal Tribune Online, 25.01.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10778 (abgerufen am: 12.12.2024 )
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