Glühwein und Justiz: Durch Deut­sch­land muss ein Schluck gehen

von Martin Rath

15.12.2024

Wenn der klebrige Duft von Alkohol, Fett und Zucker die Innenstädte durchströmt, ist klar, dass nur ein Getränk als heißer Anwärter für die abendländische Leitdroge in Frage kommt: der Glühwein. Natürlich ist die Substanz gerichtsbekannt.

Während Zeiten der heidnischen Antike feierten die Römer in den Tagen vor der Wintersonnenwende die Saturnalien – eine Art Karneval, bei dem sich die Herren der ewigen Stadt als Sklaven verkleideten und sich maßlos betranken. Hinzu kam sexuelle Zügellosigkeit.

Dass derart penetrante Ausdrucksformen von Lebensfreude mit dem Fest zu Ehren des Saturn einhergingen, ist nur konsequent, denn dieser Gott ist von jeher mit der Melancholie assoziiert – und in der dunklen Jahreszeit wurde eben zu allen antidepressiven Mitteln gegriffen, die einer Gesellschaft vor den Erfindungen der modernen Psychopharmakologie zur Verfügung standen.

Unangemessenes Verhalten beim Bundesnachrichtendienst

Wenigstens werden uns nicht auch noch die Saturnalien als römisch-christlich-jüdisches Erbe Europas verkauft.

Zwar hat der bayerische Staatsrechtslehrer Walter Leisner (1929–2023) einmal den Beweis anzutreten versucht, dass selbst noch die moderne Bundesrepublik gewissermaßen vom magischen Geist der antiken römischen Staatsidee durchweht, ja beseelt werde, zum forensischen Argument ist diese Idee aber nie gereift.

Mit Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. Februar 2024 (Az. 2 A 7.23) wurde folgerichtig ein Beamter des Bundesnachrichtendienstes vom Regierungsamtmann zum Regierungsoberinspektor zurückgestuft, weil er in der Vorweihnachtszeit des Jahres 2021 mit einer Praktikantin seiner Behörde "zum Zwecke der Verschleierung des operativen Dienstgeschäfts einen Weihnachtsmarkt" aufsuchte.

Dort nahm er nach Feststellungen des Gerichts "drei bis vier Glühwein" zu sich. Die recht junge Frau konfrontierte er im weiteren Gespräch mit Fragen zu bevorzugten Praktiken beim Sexualverkehr und mit der Einladung, seine Gattin und ihn beim Besuch eines Swingerclubs zu begleiten. Körperliche Annäherung kam hinzu.

Das Gericht würdigte diesen Vorgang als Verstoß gegen die Pflicht des Beamten, sich achtungs- und vertrauenswürdig zu verhalten, § 61 Abs. 1 Satz 3 Bundesbeamtengesetz (BBG).

Für solches Verhalten ist im Staatsbetrieb unter dienst- und arbeitsrechtlichen Auspizien kein Platz. Allzu kräftig weht der Wind der antiken Staatsidee also nicht. Und so schlank, dass er als römisches Feldzeichen taugt, ist der Bundesadler auch mit viel Mühe nicht zu machen.

Fahnenflucht des liebeskranken Glühweintrinkers endet glimpflich

Durch Glühweinkonsum verschärft wurde in der Vorweihnachtszeit des Jahres 1983 das Liebes- und Lebenselend eines Soldaten, der zuletzt als Stabsunteroffizier im Logistikbetrieb der Luftwaffe diente.

Vom Gericht später wenig freundlich als "geistig einfach strukturiert" beschrieben, hatte sich der Mann die Gunst seiner Freundin durch aufwendiges Konsumverhalten erkaufen wollen, musste die Beziehung mit ihr aber unglücklich und widerwillig beenden, als absehbar wurde, dass er sich zu diesem Zweck nicht weiter würde verschulden können.

In dieser seelischen Situation suchte der Soldat am 3. Dezember 1983 einen Weihnachtsmarkt auf. Nach dem "zweiten oder dritten Glas Glühwein" fiel ihm ein, dass er nach seiner Freundin auch mit der Bundeswehr Schluss machen könnte, indem er der französischen Fremdenlegion beitritt.

Am 5. Dezember 1983, einige geografische und alkoholische Umwege weiter, fand er seinen Weg zum Rekrutierungsbüro der Fremdenlegion in Straßburg, wurde auch zügig aufgenommen und mit dem bei dieser Truppe üblichen Pseudonym und erster Dienstkleidung ausgestattet. Ein Transport der Fremdenlegion brachte ihn unter Bewachung nach Marseille.

In der Zwischenzeit fand man in der offenbar gängigen Durchsuchung der zurückgelassenen Kleidungsstücke jedoch den Truppenausweis der Bundeswehr, woraufhin man den Soldaten in einen Zug zurück nach Deutschland setzte, wo er sich am 12./13. Dezember 1983 wieder zum Dienst in Fürstenfeldbruck meldete.

Das Amtsgericht Fürstenfeldbruck verurteilte den Soldaten wegen Fahnenflucht zu Arrest von drei Monaten, zur Bewährung ausgesetzt. Mit Urteil vom 6. September 1984 befand das Truppendienstgericht Süd, dass er durch die Fahnenflucht, § 16 Wehrstrafgesetz, "seine Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit dauernd zerstört" habe, womit seine Entfernung aus dem Dienstverhältnis zwingend sei.

Der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts sah mit Blick auf den "geistig einfach" strukturierten und von schwachem Selbstwertgefühl geprägten Soldaten die Sache deutlich milder und entschied im Berufungsverfahren, es bei einer Herabsetzung in den Dienstgrad eines Obergefreiten zu belassen (BVerwG, Urt. v. 05.02.1985, Az. 2 WD 52/84).

Glühwein als Abtreibungshilfsmittel im Wehrdisziplinarrecht
 

Spielte der Glühwein in den beiden erstgenannten Fällen vor allem aus jahreszeitlichen Gründen seine Rolle im devianten Verhalten, wurden in einer Disziplinarsache aus den frühen 1970er Jahren auch seine gastronomisch-olfaktorischen Grundeigenschaften relevant – also seine Qualität als erhitztes, stark gesüßtes und gewürztes, zusätzlich alkoholisiertes Getränk.

Ein Soldat der Luftwaffe – eingesetzt unter anderem als Navigator in Maschinen der Flugbereitschaft des Bundesverteidigungsministers – hatte im Sommer des Jahres 1965 eine junge Frau kennengelernt. Das Gericht nennt sie wegen ihrer Schutzbedürftigkeit durchgängig patriarchal "das Mädchen". Seit einem Wochenendausflug an die Ostsee kam es nach Feststellungen des Gerichts "oft auch zum Geschlechtsverkehr", wobei er darauf achtete, dass "es nicht zu einer Empfängnis kommen möge". Hier vertraute der Soldat als Navigator auf seine mathematischen Künste: "Er ließ sich jeweils von dem Mädchen den Eintritt der letzten Regel mitteilen und stellte nach der Methode Knaus-Ogino fest, ob infolge des Geschlechtsverkehrs eine Schwangerschaft zu erwarten sei. Je nach dem Ergebnis seiner Berechnungen verwandte er Gummischutzmittel oder führte den Geschlechtsverkehr ohne Schutz- oder  Verhütungsmittel aus."

Homosexualität geht so, eigennützige Abtreibung gar nicht

Bei einem Treffen im November 1965, nach einer Zeit der Kontaktverweigerung seinerseits, traf er die Frau wieder, die ihm – weinend und verzweifelt – eröffnete, dass sie schwanger sei und offenbar eine Heirat wünschte. Zunächst mündlich, dann – einige Tage später – schriftlich empfahl er ihr, sich ein Medikament – "Dhygenon" – zur Abtreibung zu verschaffen, das ergänzt um den Verzehr von zwei Chinintabletten täglich, heißen Bädern und Glühwein mit reichlich Nelken zur Abtötung des Nasciturus führen sollte. – Der stark gewürzte Wein sollte wohl den widerlichen Geschmack des Chinins überdecken, der Alkohol zur Entspannung und Vergiftung beitragen. – Die Frau folgte dem nicht und brachte später eine Tochter zur Welt.

Weil der Gesetzgeber im Jahr 1969 den Strafrahmen von § 218 Strafgesetzbuch (StGB) gemildert hatte, zeigte das Truppendienstgericht erhebliche Unsicherheit in der Frage, ob in der versuchten Anstiftung zur Abtreibung ohne Weiteres ein Verstoß gegen die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten, § 17 Abs. 2 Soldatengesetz (SG), und damit ein Dienstvergehen, § 23 Abs. 1 SG, lag.

Der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts setzte sich ausführlich mit dem Wertewandel auseinander, der damals in sexuellen Belangen zu beobachten war. Während er sich sonst damit anfreunden konnte, dass Vorfälle einfacher homosexueller Betätigung nicht mehr ohne Weiteres disziplinarrechtlich scharf zu ahnden waren, verhalte es sich beim Schwangerschaftsabbruch anders – zumal dann, wenn stark eigennützige Motive hineinspielten, wie das hier der Fall war.

Deshalb, zusammen mit einem anderen Vorgang – einer Befehlsverweigerung im Cockpit –, wurde der Soldat mit einer auf zehn Monate befristeten Kürzung seiner Dienstbezüge um ein Zehntel gemaßregelt, vermutlich milde, weil er inzwischen unterhaltspflichtig für seine fünf Jahre alte Tochter war (BVerwG, Urt. v. 13.05.1971, Az. II WD 63/70).

Mord oder Suizid in nordfriesischen Flüchtlingskreisen?

Am 9. September 1953 verstarb die Gattin des späteren Angeklagten an einer Thallium-Vergiftung. Nach Ansicht des Landgerichts Flensburg (Schwurgericht) stand fest, dass er sich zum einen eine Flasche Rotwein beschafft hatte, um damit Glühwein zuzubereiten. Weiterhin ergab die Beweisaufnahme, dass er in einer Drogerie Rattengift erworben hatte.

Obwohl ein Rattengift sinnvoller Weise nicht vergällt wird und Thallium-Verbindungen geschmacklich nicht weiter auffallen, scheint die Kombination aus Glühweinzubereitung und Gifteinkauf – zumal mit nachfolgendem Todesfall – verdächtig gewesen zu sein.

Im Übrigen wurde dem Angeklagten, einem Mann aus den Kreisen ostpreußischer Flüchtlinge, die es massenhaft nach Schleswig-Holstein verschlagen hatte, vor allem sein seltsames Verhalten angekreidet. Beim Kauf des Giftes hatte er, extrem ungeschickt, einen falschen Namen anzugeben versucht, aber korrekt unterschrieben. Aus der Art seines Leugnens wurde geschlossen, dass er seine Frau vergiftet hatte – ein Suizid wurde nicht in Betracht gezogen. Seine Niedergeschlagenheit führte das Gericht auf seine Furcht vor Entdeckung, nicht auf seine Trauer um die verstorbene Frau zurück.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte an dieser Beweiswürdigung nichts auszusetzen und bestätigte die lebenslange Zuchthausstrafe (Urt. v. 29.03.1955, Az. 5 StR 46/55).

Glühwein und Schnaps in der Konfliktkultur des Ruhrgebiets

Ebenfalls ohne Erfolg blieb die Revision einer Angeklagten, die 1955 vom Landgericht Recklinghausen "wegen eines im Eidesnotstands begangenen Meineids unter Strafaussetzung zur Bewährung zu vier Monaten Gefängnis" verurteilt worden war.

Der Strafsache der Frau war ein Prozess gegen ihren Gatten vorausgegangen.

Er hatte über einen Nachbarn behauptet, dass dieser sich seiner Frau unsittlich genähert habe. Im deshalb angestrengten Verfahren wegen übler Nachrede vor dem Amtsgericht Recklinghausen hatte die Gattin die Glaubwürdigkeit ihrer Aussage, dass der Übergriff – eine Berührung ihrer Brust – stattgefunden habe, dadurch erhöhen wollen, dass sie dem Gericht Auskünfte über eine seither gestörte nachbarschaftliche Beziehung unterbreitete. In Wahrheit spielten die Männer wohl nach dem mutmaßlichen Vorfall gemeinsam nach Art der Arbeiterklasse miteinander Schach – mehrere Partien beim gemeinsamen Leeren einer Flasche Schnaps. Während sie dem Richter erzählt hatte, dem als übergriffig dargestellten Nachbarn eine Tasse Glühwein als Gegengabe für den Schnaps offeriert zu haben, stellte sich später für das Landgericht Recklinghausen die Lage so dar, dass man den wegen des Busengriffs angefeindeten Nachbarn samt Gattin zum gemütlichen Glühweintrinken eingeladen hatte.

Aus dem Abstand von fast 70 Jahren ist das alles natürlich ebenso quälend trist und belanglos wie fast alles, was in Deutschland unter "Gemütlichkeit" verstanden wird. Nachhaltig interessant ist jedoch, dass seinerzeit noch sehr ausführlich über Fragen von Ehrenschutz und Wahrheit unter Ethanoleinfluss im kleinbürgerlichen Arbeitermilieu des Ruhrgebiets vor Gericht verhandelt wurde. Heute scheint das eher eine Sache für sogenannte Medienanwälte und ehrpusselige Angehörige der politischen Oberschicht zu sein. Vielleicht ist ja weniger der justizielle Ehrenschutz an sich das Problem als seine ungleiche Verteilung in der sozialen Hierarchie freier und gleicher Bürgerinnen und Bürger.

Der BGH bestätigte auch hier – wiederum in ausführlicher Würdigung der vom Landgericht erhobenen Indizien – das Urteil der Vorinstanz (BGH, Urt. v. 14.07.1955, Az. 4 StR 265/55).

Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor in Solingen. Empfehlung als Vorweihnachtsgetränk statt Glühwein oder "Lumumba", im Andenken an den großen französischen Präsidenten Valéry Giscard d'Estaing: Heiße Schokolade nach Art "Bokassa", ohne Alkohol, dafür nur echt mit Blattgoldkruste.

Zitiervorschlag

Glühwein und Justiz: . In: Legal Tribune Online, 15.12.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56106 (abgerufen am: 14.01.2025 )

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