Sprachwissenschaftler untersuchen Rechtssprache: Was das BMJ tun müsste, damit Gesetze ver­ständ­li­cher werden

von Anja Hall

23.07.2022

Gesetze müssen nicht kompliziert und unverständlich sein, meint der Sprachwissenschaftler Friedemann Vogel. Denn es gibt eine Redaktion im BMJ, die Normtexte auf Verständlichkeit trimmt. Doch sie könnte mehr Rückhalt gebrauchen.

Ellenlange Sätze, verschachtelter Satzbau, Fachbegriffe und abstrakte Formulierungen: Gesetzestexte sind kompliziert. Das sollten sie aber nicht sein, im Gegenteil: "Gesetze und andere rechtliche Vorschriften müssen gut verständlich sein", meint Linguistikprofessor Friedemann Vogel von der Universität Siegen. Das sei zum einen rechtsstaatlich geboten, so Vogel: "BürgerInnen müssen verstehen können, was Recht und Unrecht ist." Außerdem erzeugten nicht oder auch nur schwer verständliche Vorschriften teils erhebliche Mehrkosten für die Gesellschaft: "Der Bedarf an Beratung wächst, es entstehen leichter Fehler im Alltag, Verwaltung und Gerichte werden überlastet."

Vogel ist Sprachwissenschaftler und forscht unter anderem zu Fachsprachen, insbesondere zur juristischen. Eines seiner jüngsten Projekte: Er hat mit seinem Team die Arbeit der im Bundesjustizministerium (BMJ) angesiedelten "Gesetzesredaktion" untersucht. Diese Gesetzesredaktion wurde 2009 eingerichtet und besteht aus einem "Sprachbüro" von Fachleuten, die fest im BMJ angestellt sind, und einem größeren "Redaktionsstab Rechtssprache".

Das Sprachbüro prüft Regelungsentwürfe des BMJ, während der Redaktionsstab für die Gesetzesentwürfe aus den anderen Ministerien zuständig ist. Das Team um Vogel und den Heidelberger Germanistik-Professor Ekkehard Felder hatte also die Frage zu beantworten: Macht die Gesetzesredaktion Normtexte besser verständlich?

Ein Normtext ist nie für alle verständlich

Da stellt sich natürlich zunächst die Frage, wann ein Gesetzestext überhaupt verständlich ist. Dabei kommt es, so Vogel, ganz entscheidend auf den Adressaten an: Juristische Fachleute mögen die Bedeutung einer Vorschrift ohne Weiteres erfassen. Dass ein juristischer Laie sie versteht, ist damit längst nicht gesagt. "Es wird nie einen Normtext geben, der für alle gleichermaßen verständlich sein wird", betont Vogel.

Er schlägt daher vor, zwischen drei verschiedenen Adressatengruppen zu unterscheiden: juristische Fachleute, etwa Richterinnen, Anwälte oder auch Jura-Studierende, nicht-juristische Fachleute wie beispielsweise Verwaltungsfachkräfte und involvierte juristischen Laien. An eine dieser drei Gruppen sollte sich ein Normtext vorrangig wenden, und sie sollte maßgeblich sein, wenn es darum geht zu entscheiden, was verständlich ist und was nicht.

Klarer Satzbau und ein roter Faden

Allgemein gültige Grundregeln von Textverständlichkeit gibt es aber doch. Sie beziehen sich zum einen auf die Wortwahl, den Satzbau und den Textaufbau. So sollten Begriffe eindeutig sein, gegebenenfalls können Fachtermini in einem Glossar erklärt werden. Sätze gelten als gut lesbar, wenn der Hauptsatz klar erkennbar ist und der Lesefluss nicht ständig durch Einschübe unterbrochen wird. Passivformulierungen sollten nur dort eingesetzt werden, wo es inhaltlich sinnvoll ist.

Und ein langer Gesetzestext sollte – wie jeder Text – einen roten Faden haben und untergliedert sein, etwa durch Zwischentitel. Eine wichtige Rolle spielen außerdem ergänzende Texte, etwa Kommentarliteratur. Gesetzestexte können auch dadurch verständlicher werden, dass man sich beispielsweise ein Urteil und seine Begründung ansieht, in der das Gesetz eine Rolle spielte.

Zu wenig Personal, zu wenig Zeit

Vor diesem Hintergrund hat Vogel mit seinem Team untersucht, inwiefern die Arbeit der Gesetzesredaktion erfolgreich ist. Dazu sollten Personen aus den drei Adressatengruppen beurteilen, wann sie Gesetzestexte besser begreifen: Vor oder nach einer Überarbeitung? Das Ergebnis: Die Befragten beurteilen die Texte als besser verständlich, wenn sie durch die Hände der Gesetzesredaktion gegangen sind.

Doch es gibt ein großes Aber: Das Team könnte sehr viel effektiver arbeiten und mehr bewirken, wenn ihm nicht verschiedene Faktoren die Arbeit erschweren würden. Auch zu diesem Ergebnis kommt die Forschergruppe um Vogel in ihrer Untersuchung. Das sind etwa enge Fristen, eine dünne Personaldecke, mitunter auch politische Vorgaben. "Auch ist es meines Erachtens ein Unding, dass eine so wichtige Aufgabe nach wie vor unter Finanzierungsvorbehalten steht und viele erfahrene KollegInnen immer wieder um ihre Vertragsverlängerungen bangen müssen", fügt Vogel hinzu.

Wenig Problembewusstsein in den Ministerien

Die Mitglieder der Gesetzesredaktion nehmen auch wahr, dass es mitunter grundsätzliche Vorbehalte gegenüber ihrer Arbeit gibt. Teils werden ihre Verbesserungsvorschläge nicht umgesetzt, teils werden sie im Gesetzgebungsprozess schlicht übergangen. "Wie man Texte zielgruppenspezifisch optimieren kann, wissen wir", resümiert Vogel. "Es fehlt aber noch viel zu oft in den Ministerien und Referaten ein Bewusstsein dafür, dass man das Problem un- oder schwerverständlicher Rechtstexte angehen muss und durch Einbeziehung entsprechender Expertise auch lösen kann."

Dabei würde eine sprachwissenschaftliche Begleitung helfen, Gesetze auch rechtlich besser zu machen, ist der Linguist überzeugt: "Die Rückmeldung der linguistischen PrüferInnen zu verschiedenen Lesarten eines Gesetzesentwurfes liefert den juristischen LegistInnen oft auch Hinweise zu Regelungslücken, unberücksichtigten Fallgruppen, Widersprüchen in Terminologie und Regelung." Ergebnisoffene, interdisziplinäre Gespräche zu einem möglichst frühen Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahrens würden "ein riesiges Potential" bergen, Recht und Rechtstext gleichermaßen zu optimieren, meint Vogel.

Kein neues Gesetz ohne Verständlichkeitscheck

Der Sprachforscher sieht hier eine Aufgabe für den Gesetzgeber. "Die Politik hat das Problem durchaus immer wieder auf dem Schirm, aber sie packt es nach wie vor nur stiefmütterlich an", meint Vogel. "Wir sollten endlich über Sonntagsreden hinauskommen, die schlecht verständliche Gesetzestexte zwar beklagen, aber nicht die Lösungsansätze umsetzen, die schon seit langem auf dem Tisch liegen."

Er findet, dass kein Gesetz in Kraft treten dürfte, das einer rechtsförmlichen und rechtslinguistischen Qualitätsprüfung nicht standhalte. "Wenn eine solche Qualitätsprüfung aber erst am Ende eines Gesetzgebungsverfahrens kommt, ist das in aller Regel zu spät." Die Zusammenarbeit von juristischen und linguistischen Fachleuten sollte zur Selbstverständlichkeit werden, fordert Vogel.

Die Ampelregierung will sich der Sache annehmen: Im Koalitionsvertrag wurde die Einrichtung eines Zentrums für Legistik vereinbart; es soll die Qualität der Gesetzgebung verbessern. "Das wäre eine Chance, das anzupacken", sagt Vogel. Bislang allerdings tut sich wenig. Mit einer kleinen Anfrage hat sich die CDU/CSU-Fraktion kürzlich zum Stand des Zentrums erkundigt. Doch die Bundesregierung antwortete auf die allermeisten Fragen schmallippig: Die Überlegungen seien noch nicht abgeschlossen.

Der Studie über die Arbeit der Gesetzesredaktion ist in Buchform veröffentlicht worden: Vogel, Friedemann et.al.: Gesetzesverständlichkeit aus rechtslinguistischer Perspektive, Duncker & Humblot, Berlin

Anja Hall ist freie Journalistin in Köln.

Zitiervorschlag

Sprachwissenschaftler untersuchen Rechtssprache: . In: Legal Tribune Online, 23.07.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49135 (abgerufen am: 11.12.2024 )

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