UWG und StVO sind schon gegendert, weitere werden folgen. An den unterschiedlichen Karrierechancen von Friseurgesellinnen und Mechatronikgesellen ändert allerdings aller gute Wille nichts. Die rechtssprachlichen Auswüchse der anatomischen Unterschiede zwischen Mann und Frau stellt Martin Rath vor - und wagt sodann einen Abstecher in die US-Justiz, zu Scheidungsklagen und Ehebruch per Cybersex.
Den Juristen (m/w) wird bekanntlich seit einiger Zeit beigebracht, dass auch Frauen vom Gesetz erfasst werden. Zu diesem noblen Zweck wurde beispielsweise in der jüngst überarbeiteten Straßenverkehrsordnung (StVO) aus den älteren Begriffen "Reiter" oder "Treiber von Vieh" ein geschlechtersensibles: "Wer reitet, Pferde oder Vieh führt oder Vieh treibt […]" (§ 28 StVO). Damit zeigt der Gesetzgeber heute, dass er auch an Frauen denkt.
In der "Zeitschrift für Rechtspolitik" kritisiert Rudolf Gerhardt diese feministische Mode, Gesetze in eine "geschlechtergerechte" Sprache zu übersetzen. Er fragt, wo die "Täterinnen und Täter" blieben, wo die "Mörderinnen und Mörder" im Wortlaut etwa des § 211 Strafgesetzbuch (StGB).
Gerhardt meint scherzhaft, dass einst bei der von "Mörderinnen" freien Fassung des Paragrafen "männliche Kavaliere am Werk" gewesen seien, die sich eine "Mörderin" nicht hätten vorstellen können. Ein etwas misslungener Scherz, weil der Begriff "Mörder" erst im Jahr 1941 ins Gesetz geschrieben wurde. Zuvor hieß es dort, wiederum ganz neutral: "Wer vorsätzlich einen Menschen tödtet, wird, wenn er die Tödtung mit Überlegung ausgeführt hat, wegen Mordes mit dem Tode bestraft."
Gerichte scheitern selbst am geschlechtergerechten Sprachspagat
Trotzdem ist die Frage berechtigt, warum beim "geschlechtersensiblen" Umformulieren so viel Rosinenpickerei betrieben wird. Eine Antwort gibt Christoph Zimmer in einer sprachtheoretischen Kritik am Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe, das in der Formulierung "Geschäftsführer [...] gesucht" eine Geschlechterdiskriminierung entdeckt hatte (Urt. v. 13.09.2011, Az. 17 U 00/10).
Zimmer weist nicht nur nach, an wie vielen Stellen das OLG Karlsruhe in dieser Entscheidung – wohl aus Gründen schlichter Sprachökonomie – selbst gegen die aufgestellten Grundsätze der "geschlechtergerechten" Sprache verstößt, indem es von "Streithelfern" spricht und die "Streithelferinnen" vergisst, "Vollstreckungsgläubiger" erwähnt, nicht aber "Vollstreckungsgläubigerinnen", etc.
Der sprachphilosophisch geschulte Justizkritiker argumentiert grundsätzlich. Das liest sich so: "Da 'Geschäftsführer' alle geschäftsführenden Elemente bereits umfaßt, kann 'Geschäftsführerin' nicht um weiterer Elemente willen sich additiv vermehren. 'Geschäftsführer' und 'Geschäftsführerin' sind extensionsgleiche Prädikate. Suffix ‚...in', ein Morphem, macht Wort 'Geschäftsführer' zum Femininum, nicht Geschäftsführer weiblich."
Juristen sollten andere Probleme haben dürfen
Die Argumentation von Zimmer ist zwar so unjuristisch-undiplomatisch gehalten, dass der Verfasser dieser Zeilen vor Schreck manches Wort mit violettem Glitzerstift übermalte, als Pamphlet gegen die Verschwendung von Gesetzgebungsressourcen durch "geschlechtergerechte" Sprachpflegemaßnahmen hat sie gleichwohl einige Potenz.
Doch um zu der Einsicht zu kommen, dass Juristinnen und Juristen auch in Geschlechterfragen andere Probleme haben, als der Legalbezeichnung von Gewaltverbrechern nachzusinnen, muss man gar nicht den denkbaren Formen nachgehen – modisch zulässig wäre ja viel: "Mörder (m/w)", "Mörder/in", "MörderIn", "Mörder_in", "Mörder*in" (bloß "der oder die Mordende" ist wohl selbst Sprachmode-Freunden aus Zeitgründen zu blöd).
Denn dass es Juristen an echten Mann/Frau-Problemen kaum mangelt, zeigen in der "Zeitschrift für Rechtssoziologie" Gabriele Plickert und Hans Merkens unter dem Titel "Arbeitszeit und Karriere: Auswirkungen des Geschlechts auf den Berufsalltag junger Anwältinnen und Anwälte". Die US-amerikanische Rechtssoziologin und der deutsche Pädagogikprofessor präsentieren die ersten Ergebnisse einer Studie, für die 1.343 junge Rechtsanwältinnen und -anwälte in Berlin und Frankfurt/Main ausführlich befragt wurden.
"Denkt denn niemand an die Kinder?!"
Zunächst scheinen Plickert/Merkens dabei nur die allgemein bekannten Frontlinien im gesellschaftlichen Geschlechterkampf nachzuzeichnen: Dass Frauen oft nur in Klein- und Kleinstbetrieben in Führungspositionen zu finden sind, während sie in großen Unternehmen an die "gläserne Decke" stoßen, ist ein viel gesungenes Trauerlied aller Branchen und Professionen.
Wenn zum Beispiel Friseurgesellinnen und Mechatronikgesellen unterschiedliche Karrierechancen haben und damit, soziologisierend formuliert, Frauen und Männer durch "typische" Berufswahl dazu beitragen, dass "geschlechterspezifische Unterschiede reproduziert werden", wundert sich niemand. Bemerkenswert ist aber, was Plickert/Merkens für die doch sehr homogene Gruppe junger Anwältinnen und Anwälte zusammentragen.
Denn was Ausbildungsqualität, Ehrgeiz oder Unternehmensgeist betrifft, waren hier zwischen den Geschlechtern keine wesentlichen Unterschiede festzustellen. Bei der Verantwortung für die Kinder scheiden sich dann aber die Wege, wofür die Arbeitszeiten ein wichtiges Indiz geben: "Während Männer ohne Kinder (unabhängig von der Personalverantwortung) wöchentlich im Durchschnitt ebenso lange arbeiten wie Männer mit Kindern (durchschnittlich 55 Stunden), arbeiten Frauen mit Personalverantwortung und ohne Kinder durchschnittlich 52 Stunden pro Woche, Mütter dagegen in derselben Position nur 39 Stunden im Durchschnitt."
Was man über Sex in der Zukunft gar nicht wissen will
Zusammenfassen lässt sich das soziologische Zahlenwerk mit dem Zitat "Frauen werden seltener Partner […] (Weil) man für Mandanten rund um die Uhr erreichbar sein muss, was oft nicht geht, wenn Kinder da sind."
Während sich die empirische Untersuchung von Plickert/Merkens hier auf den zwar deprimierenden, aber doch wenig verblüffenden Befund reduzieren lässt, dass Kinder für gut ausgebildete, ehrgeizige und unternehmerisch befähigte Juristinnen ein Karrierehindernis sind, zeichnet Sandi S. Varnado ein wahrhaft gruseliges Bild von der Zukunft des menschlichen Trieblebens.
Unter dem Titel "Avatars, Scarlet 'A’s', and Adultery in the Technological Age" setzt sich die Professorin an der Law School der Loyola University, New Orleans, in der Arizona Law Review mit dem juristischen Bedeutungswandel von "Untreue" und "Ehebruch" in Zeiten der Online-Sexualität auseinander.
Obwohl sich seit den 1970er-Jahren im US-amerikanischen, wie zeitgleich auch im deutschen Scheidungsrecht flächendeckend Spielarten des Zerrüttungsprinzips durchgesetzt haben, ist in mehr als 30 US-Bundesstaaten der Ehebruch – nach dem älteren Schuldprinzip –noch immer ein Scheidungsgrund eigenen Rechts. Ähnlich dem alten deutschen § 172 StGB steht er mancherorts sogar unter Strafandrohung.
Maschinenpark menschlicher Unzulänglichkeit
Daraus folgt, dass sich US-Juristen mit der Begriffsbedeutung von ehelicher "Untreue" und "Ehebruch" auseinandersetzen müssen, während derlei hierzulande im Scheidungsgrund der "gescheiterten" Ehe zusammenfließt und daher weniger begriffsscharf erfasst zu werden braucht.
In ihrer Darstellung von Gegenwart und Zukunft der Online-Sexualität ist Sandi S. Varnado nicht anzumerken, dass sie Professorin an einer von Jesuiten gegründeten Universität ist: Mit juristischer Präzision schlussfolgert sie, dass der Konsum von Online-Pornographie nicht als mögliche Untreue bzw. als Ehebruch in Betracht komme, weil diese Form der Darstellung von Fleischeslust sich von älteren Stimulationsmitteln auf Papier nicht wesentlich unterscheide.
Mit digitalen (Video-)chats sei hingegen eine – von Scheidungsrichtern bereits gewürdigte – neue Form von Eingriff in die eheliche Treue möglich geworden. Varnado schätzt, dass sich die Grenzen bis 2020 oder 2030 noch weiter verschieben werden. Sie berichtet detailliert, an welchen interaktiven Maschinen zur vibrationsbasierten Simulation von Küssen und anderen Zärtlichkeiten die amerikanische Sex- und IT-Branche bereits fleißig forschen.
"Digital Natives" als neokonservative Vorhut?
Der Frage, ob hier bereits heute die Grenze zum juristisch relevanten Ehebruch überschritten werde, geht Varnado aus mehreren Perspektiven nach. Partnertherapeuten berichten beispielsweise, dass die Opfer solcher Treueverstöße die Kenntnisnahme umfangreicher Chatprotokolle als schmerzhafter erlebten als einen "klassischen" Seitensprung. Einige Scheidungsrichter seien zudem bereit, Ehebruch anzunehmen, ohne dass es zu einer körperlichen Beziehung des untreuen Teils zu einer dritten Person gekommen sein müsse.
Schließlich glaubt die Loyola-Lawschool-Professorin, dass die Generation der "Digital Natives" – also der spätestens 1990 geborenen, mit dem Internet aufgewachsenen Menschen – viel schneller darin sei, bereits einen intimen Online-Kontakt mit Dritten als Verstoß gegen partnerschaftliches Vertrauen zu werten, als dies bei offline sozialisierten Menschen der Fall sei. Fischt hier die US-Gelehrte nach moralischen Unterstützern? Und wäre das verkehrt?
In seinem Roman "Schaumschwester" erzählt der deutsche Autor Thor Kunkel von der Machtübergabe an intelligente Maschinen – nicht in Gestalt des üblichen Militär- oder Geheimdienst-Monstrums, sondern in Form von Lustrobotern und -robotorinnen, die der IT-Industrie noch rauschhaftere Absatzevents verschafften, als es heute noch das 'geilste' neue iPhone leisten könnte.
Die US-Juraprofessorin stimmt der Dystopie des deutschen Science-Fiction-Autors zu einem guten Teil zu. In einer rechtswissenschaftlichen Zeitschrift und mit 300 Fußnoten.
Man hätte nicht gedacht, dass das Aufwachsen neokonservativer Digital Natives einmal zu den Wünschen alter Bücherwürmer zählen könnte.
Martin Rath arbeitet als freier Journalist und Lektor in Köln.
Martin Rath, Recht frech / Eine etwas andere Literaturübersicht: Was man über Sex und Gender nie wissen wollte . In: Legal Tribune Online, 25.08.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9428/ (abgerufen am: 28.03.2024 )
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