Recht frech / Eine etwas andere Literaturübersicht: Was man über Sex und Gender nie wissen wollte

von Martin Rath

25.08.2013

Was man über Sex in der Zukunft gar nicht wissen will

Zusammenfassen lässt sich das soziologische Zahlenwerk mit dem Zitat "Frauen werden seltener Partner […] (Weil) man für Mandanten rund um die Uhr erreichbar sein muss, was oft nicht geht, wenn Kinder da sind."

Während sich die empirische Untersuchung von Plickert/Merkens hier auf den zwar deprimierenden, aber doch wenig verblüffenden Befund reduzieren lässt, dass Kinder für gut ausgebildete, ehrgeizige und unternehmerisch befähigte Juristinnen ein Karrierehindernis sind, zeichnet Sandi S. Varnado ein wahrhaft gruseliges Bild von der Zukunft des menschlichen Trieblebens.

Unter dem Titel "Avatars, Scarlet 'A’s', and Adultery in the Technological Age" setzt sich die Professorin an der Law School der Loyola University, New Orleans, in der Arizona Law Review mit dem juristischen Bedeutungswandel von "Untreue" und "Ehebruch" in Zeiten der Online-Sexualität auseinander.

Obwohl sich seit den 1970er-Jahren im US-amerikanischen, wie zeitgleich auch im deutschen Scheidungsrecht flächendeckend Spielarten des Zerrüttungsprinzips durchgesetzt haben, ist in mehr als 30 US-Bundesstaaten der Ehebruch – nach dem älteren Schuldprinzip –noch immer ein Scheidungsgrund eigenen Rechts. Ähnlich dem alten deutschen § 172 StGB steht er mancherorts sogar unter Strafandrohung.

Maschinenpark menschlicher Unzulänglichkeit

Daraus folgt, dass sich US-Juristen mit der Begriffsbedeutung von ehelicher "Untreue" und "Ehebruch" auseinandersetzen müssen, während derlei hierzulande im Scheidungsgrund der "gescheiterten" Ehe zusammenfließt und daher weniger begriffsscharf erfasst zu werden braucht.

In ihrer Darstellung von Gegenwart und Zukunft der Online-Sexualität ist Sandi S. Varnado nicht anzumerken, dass sie Professorin an einer von Jesuiten gegründeten Universität ist: Mit juristischer Präzision schlussfolgert sie, dass der Konsum von Online-Pornographie nicht als mögliche Untreue bzw. als Ehebruch in Betracht komme, weil diese Form der Darstellung von Fleischeslust sich von älteren Stimulationsmitteln auf Papier nicht wesentlich unterscheide.

Mit digitalen (Video-)chats sei hingegen eine – von Scheidungsrichtern bereits gewürdigte – neue Form von Eingriff in die eheliche Treue möglich geworden. Varnado schätzt, dass sich die Grenzen bis 2020 oder 2030 noch weiter verschieben werden. Sie berichtet detailliert, an welchen interaktiven Maschinen zur vibrationsbasierten Simulation von Küssen und anderen Zärtlichkeiten die amerikanische Sex- und IT-Branche bereits fleißig forschen.

"Digital Natives" als neokonservative Vorhut?

Der Frage, ob hier bereits heute die Grenze zum juristisch relevanten Ehebruch überschritten werde, geht Varnado aus mehreren Perspektiven nach. Partnertherapeuten berichten beispielsweise, dass die Opfer solcher Treueverstöße die Kenntnisnahme umfangreicher Chatprotokolle als schmerzhafter erlebten als einen "klassischen" Seitensprung. Einige Scheidungsrichter seien zudem bereit, Ehebruch anzunehmen, ohne dass es zu einer körperlichen Beziehung des untreuen Teils zu einer dritten Person gekommen sein müsse.

Schließlich glaubt die Loyola-Lawschool-Professorin, dass die Generation der "Digital Natives" – also der spätestens 1990 geborenen, mit dem Internet aufgewachsenen Menschen – viel schneller darin sei, bereits einen intimen Online-Kontakt mit Dritten als Verstoß gegen partnerschaftliches Vertrauen zu werten, als dies bei offline sozialisierten Menschen der Fall sei. Fischt hier die US-Gelehrte nach moralischen Unterstützern? Und wäre das verkehrt?

In seinem Roman "Schaumschwester" erzählt der deutsche Autor Thor Kunkel von der Machtübergabe an intelligente Maschinen – nicht in Gestalt des üblichen Militär- oder Geheimdienst-Monstrums, sondern in Form von Lustrobotern und -robotorinnen, die der IT-Industrie noch rauschhaftere Absatzevents verschafften, als es heute noch das 'geilste' neue iPhone leisten könnte.

Die US-Juraprofessorin stimmt der Dystopie des deutschen Science-Fiction-Autors zu einem guten Teil zu. In einer rechtswissenschaftlichen Zeitschrift und mit 300 Fußnoten.

Man hätte nicht gedacht, dass das Aufwachsen neokonservativer Digital Natives einmal zu den Wünschen alter Bücherwürmer zählen könnte.

Martin Rath arbeitet als freier Journalist und Lektor in Köln.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Recht frech / Eine etwas andere Literaturübersicht: Was man über Sex und Gender nie wissen wollte . In: Legal Tribune Online, 25.08.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9428/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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