Internationaler Frauentag: Verwehtes Schreckgespenst - Gender Mainstreaming

von Martin Rath

08.03.2015

Der 8. März ist der "Internationale Frauentag". In der DDR wurden zu diesem Anlass Pralinen an die Arbeitnehmerinnen verschenkt. Die für Gleichstellung zuständige Bundesministerin findet, dass es mit Konfekt heute nicht getan ist: die anatomische Ausstattung von Aufsichtsräten ist nun Gesetzgebungsgegenstand. Das mahnt an ein schon älteres rechtspolitisches Schreckgespenst: das Gender Mainstreaming.

"Ich finde", sagte die Ministerin, "es gibt in Deutschland kein gleichberechtigtes Leben von Männern und Frauen". Diese traurige Selbstauskunft stammt nicht etwa von Elisabeth Schwarzhaupt, die zwischen 1961 und 1966 als erste Frau überhaupt das Amt einer Bundesministerin bekleidete. Dabei hatte die ausgebildete Juristin in ihrem langen Leben (1901-1986) mit dem Kaiserreich und der Weimarer Republik, der NS-Diktatur und der frühen Bundesrepublik Rechtsordnungen zu Gesicht bekommen, in denen es – teils gelinde gesagt – um die Gleichberechtigung von Mann und Frau wirklich nicht zum Besten stand.

Nein, die Auskunft, dass es nach ihrem Empfinden "in Deutschland kein gleichberechtigtes Leben von Männern und Frauen" gebe, stammt von der amtierenden Bundesministerin Manuela Schwesig, geäußert im Herbst 2014. Wohl um sich nicht der Frage auszusetzen, ob sie mit Blick auf die Rechtslage unserer Verfassung noch ganz bei Trost sei – gleiches Recht gibt das Grundgesetz immerhin seit 1949 vor – ergänzte die Ministerin: "Viele Probleme, die für Frauen wichtig sind, sind ungelöst."

Begriffsverwirrung Gleichstellung/Gleichberechtigung

Zu den Problemen, die für Frauen wichtig sind und neuerdings gelöst werden, gehört bekanntlich die Verteilung von Aufsichtsratsmandaten in großen deutschen Unternehmen. Immerhin wird das neue Recht, nach dem Spitzenmanager mit dem anatomischen Merkmal X bei der Vergabe von Mandaten gegenüber solchen mit dem Merkmal Y solange zu bevorzugen sind, bis ein Verhältnis von X und Y von mindestens 3 zu 7 erreicht wird, nicht als Vorhaben der Gleichberechtigung, sondern der Gleichstellung verhandelt. Damit ist nun für etwas weniger rechtspolitische Sprachverwirrung gesorgt.

Für viel Verwirrung und Empörung sorgte in den vergangenen Jahren ein Instrument der Gleichstellungspolitik, von welchem bis heute behauptet wird, dass es nicht nur "viele Probleme, die für Frauen wichtig sind" lösen, sondern die sozialen Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern überhaupt angreifen würde. Das "Gender Mainstreaming", unter dem laut Jan Bergmanns "Handlexikon der Europäischen Union" (5. Auflage 2015) in der am weitesten verbreiteten Definition des Europarats das Folgende zu verstehen ist: "Gender Mainstreaming besteht in der (Re-) Organisation, Verbesserung, Entwicklung und Evaluation von Entscheidungsprozessen mit dem Ziel, dass die an politischer Gestaltung beteiligten Akteure und Akteurinnen den Blickwinkel der Gleichstellung zwischen Frauen und Männern in allen Bereichen und auf allen Ebenen einnehmen."

Gender Mainstreaming zwischen Abendländerei und Feminismus

Das ist ein ziemlich radikaler Ansatz. Entsprechend findet man – dieser Eindruck ist sicher nicht frei von subjektiven Wahrnehmungen – in der politischen Öffentlichkeit der Bundesrepublik zurzeit zwei radikal gegensätzliche Haltungen zum "Gender Mainstreaming", vereinfacht gesagt eine abendländische und eine feministische. Grob formuliert: Anhängern des Abendlands gilt das Mainstreaming als neue gleichmacherische Scheußlichkeit, während die Feministen schon in sachlicher Kritik am Mainstreaming eine reaktionäre bis verfassungsfeindliche Tendenz entdecken möchten. Zwischen beiden Lagern bewegt sich die öffentliche Verwaltung. Weil "Gender Mainstreaming" in Sätzen des positiven Rechts untergebracht wurde, muss sich die Verwaltung damit befassen, was ihr der Gesetzgeber damit eigentlich sagen möchte.

Ein Indiz dafür, dass Gender Mainstreaming – im Guten wie im Bösen – den Arbeitsalltag der Ämter erreicht hat, könnte es nun sein, wenn sich die mit seiner Umsetzung betrauten Amtsträger recht häufig vor Gericht über Geltung und Grenzen "der (Re-) Organisation, Verbesserung, Entwicklung und Evaluation von Entscheidungsprozessen mit dem Ziel, dass die an politischer Gestaltung beteiligten Akteure und Akteurinnen den Blickwinkel der Gleichstellung zwischen Frauen und Männern in allen Bereichen" stritten.

Und hier kommt ein bemerkenswerter Befund. Genau das tun sie offenbar sehr selten: sich über Gender Mainstreaming streiten. Nichtjuristen unter den Leserinnen, Lesern und Lesenden mögen den nun folgenden Buchstaben- und Zahlensalat einfach bis zur nächsten Überschrift überspringen:

VG Berlin (Beschl. v. 19.11.2004 – Az. 25 A 181.04), VG Hamburg (Urt. v. 24.3.2006 – Az. 8 K 4902/04), VG Frankfurt (Beschl. v. 6.6.2006 – Az. 9 G 5340/05) VG Schleswig (Urt. v. 5.7.2006 – Az. 1 A 51/04), OVG Berlin-Brandenburg (Urt. v. 24.1.2008 – 4 B 27/07), OVG Lüneburg (Beschl. v. 27.5.2008 – Az. 5 ME 111/08), VG Arnsberg (Beschl. v. 22.12.2009 – Az. 20 K 1205/09), VG Magdeburg (Beschl. v. 23.6.2010 – Az. 5 B 9/10; Beschl. Az. 5 B 10/10; Beschl. Az. 5 B 11/10), OVG Münster (Beschl. v. 15.3.2011 − Az. 1 A 634/09), LAG Schleswig-Holstein (Urt. v. 19.9.2011 – Az. 3 Sa 182/11), VG Magdeburg (Urt. v. 28.2.2012 – Az. 5 A 41/11), OVG Schleswig (Beschl. v. 9.11.2012 – Az. 12 LB 1/12), OVG Magdeburg (Beschl. v. 12.6.2013 – Az. 6 L 2/12), VG Köln (Urt. v. 22.8.2013 – Az. 15 K 5790/11), BVerwG (Beschl. v. 16.10.2013 – Az. 6 PB 20.13), VG Bremen (Urt. v. 2.4.2014 – Az. 1 K 920/12) und SG Detmold (Urt. v. 28.10.2014 – Az. S 2 SO 103/12).

Zitiervorschlag

Martin Rath, Internationaler Frauentag: Verwehtes Schreckgespenst - Gender Mainstreaming . In: Legal Tribune Online, 08.03.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14873/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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