Eine Frage an Thomas Fischer: Geht die Pres­se­ar­beit von Staats­an­walt­schaften zu weit?

von Prof. Dr. Thomas Fischer

26.11.2022

Die Staatsanwaltschaft soll "objektivste Behörde der Welt" sein – doch oft verfehlt sie dieses Ziel. Auch in der Pressearbeit, wenn sie Dokumente durchsticht oder sich von aggressiven Verteidigern treiben lässt, meint Thomas Fischer

Was heißt überhaupt "Pressearbeit“? Im Jahr 2022 hat man als Konsument "der Medien“ – von der professionellen, von Werbeetats abhängigen Qualitätspresse bis zum beschränktesten YouTube-Kanal – Kontakt zur wirklichen Außenwelt eigentlich und überwiegend nur durch Konsumorders sowie durch Erzeugnisse von "Pressearbeit“. Das kann man – je nach Weltsicht – scheußlich, unvermeidbar, fortschrittlich oder apokalyptisch finden. Die hier gestellte Frage zielt freilich nicht auf eine allgemeine politische Bewertung ab, sondern verlangt eine konkretisierte Beurteilung, ob "Pressearbeit“ (zu) weit oder (zu) nah gehe und was eigentlich das Maß sei, anhand dessen sich ein "zu weit“ bemessen lassen könne. 

Die Staatsanwaltschaft ist berufen, bei Verdacht des Vorliegens von Straftaten den Sachverhalt zu erforschen (§ 160 Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO)) und darüber zu entscheiden, ob sie Anklage erhebt oder nicht (§ 170 StPO). Ganz allgemein gesagt: Ihre Aufgabe ist es, mögliche Straftaten aufzuklären und wahrscheinliche Straftaten zu verfolgen. Aufgabe der Staatsanwaltschaft ist nicht, Gesetze zu machen, kriminologische Erkenntnis oder Wissenschaft zu betreiben oder die Bevölkerung öffentlich über ihre Meinungen zu bestimmten "Fällen“ zu unterrichten.

Öffentlichkeitsarbeit früher: Hinrichtungen live

Andererseits ist die Staatsanwaltschaft, anders als die Nachrichtendienste, keine geheime Abteilung der Exekutive. Sie ist hierarchisch aufgebaut, dienstrechtlich geordnet und justiziell kontrolliert. Zwischen diesen – und ein paar weiteren – Polen spielt sich ihre "Öffentlichkeitsarbeit“ ab. Eine besonders wichtige Leitschiene ist in § 160 Abs. 2 StPO teils formuliert, teils angedeutet: "Die Staatsanwaltschaft hat nicht nur die zur Belastung, sondern auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln.“ Das bedeutet: Die Staatsanwaltschaft ist nicht "Partei“, wie ja auch das Strafverfahren der StPO nicht ein "Parteiprozess“ ist. Der Begriff "Staats“-Anwaltschaft ist deshalb ganz anders als etwa als in den USA zu verstehen und durchaus vielschichtig.  

Im 17. Jahrhundert war der Strafprozess in dem heute Deutschland genannten Gebiet – entgegengesetzt zum heutigen Recht - meist geheim, die Strafvollstreckung vielfach öffentlich. Die Bevölkerung informierte sich über die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden entweder passiv – als Betroffene fast unbegrenzter Eingriffsgewalt – oder aktiv, durch Teilnahme an volksfestartigen Strafvollstreckungs-Zeremonien (Hinrichtungen). Für den Einzelnen war das durchaus selten dafür umso eindrücklicher: Man erzählte die letzten Worte des Gehenkten noch seinen Enkeln. Pressearbeit war – auch mangels Presse – daher weiter nicht vonnöten. 

Öffentlichkeitsarbeit heute: Abbilder der Wirklichkeit 

Unter den Bedingungen des "modernen“ Rechtsstaats und Kommunikationswesens hat sich das weitgehend geändert. Informationen über Verbrechen, Verfolgung, Aburteilung und Strafe sind mehr denn je allgegenwärtig, aber durchweg nurmehr vermittelt, also als bloßes Abbild der Wirklichkeit. Kaum jemand kennt die zahllosen Strafverfahren oder auch nur den kleinen spektakulären Teil von ihnen wenigstens annähernd; die in der Gesellschaft mit hochauffälliger Intensität diskutierten Fallgeschichten, Strafverfahren und Bestrafungswünsche sind durchweg medial vermittelt und mehrfach gefiltert: Zeitung A berichtet, was Kommissar B. und Rechtsanwalt C., Richter D. und Experte E. angeblich gesagt, gemeint, gewollt haben. Die "öffentliche Meinung“, die für ein Strafverfahren im Grundsatz vollständig gleichgültig ist (wenn man von Tatbeständen absieht, die explizit darauf Bezug nehmen), erscheint in der gesamtgesellschaftlichen Wahrnehmung als ein eigenständiger, machtvoller Faktor.

Erstaunlich (und auch beruhigend) ist, dass die meisten "öffentlichen“ Instanzen sich von dieser Feststellung, kaum haben sie sie getroffen und benutzt, sogleich wieder distanzieren: Verantwortung für’s Ergebnis will "die Presse“ ja nicht tragen, und wenn sie sich aufspielt, als sei sie selbst in die Rolle des Strafverfolgers oder Richters hineingewachsen, gilt das zum Glück jedenfalls im Rückblick meist als eher anrüchig und peinlich (siehe nur beispielhaft: Fälle "Bartsch“, "Weimar“, "Gladbeck“, "Wedel“). Jeder möchte von "der Presse“ Information, Emotion, Meinung; aber kaum jemand mag im Ergebnis die Grenzüberschreitungen akzeptieren, die medial produziert werden. 

Keine Waffengleichheit vor der Presse 

Das ist die Lücke, in welche interessengeleitete Verwaltung und Verteilung von Information – parteiliche oder nicht parteiliche Kommunikation – hineinstoßen kann und will. Das ist im Grundsatz ganz legitim: Hier darf, im Prinzip, jeder sagen, was er will. Manche freilich sind konkret privilegiert, weil sie von Verfassungs wegen in einer sozialen Rolle / Position sind, die eine solche Sonderstellung rechtfertigt. Beispiel: Der verurteilte Verbrecher hat kein legitimes Recht, Lügen über seine Tat zu verbreiten. Der nur Beschuldigte aber hat das "Recht zu lügen“ oder zu schweigen; er ist niemandem rechenschaftspflichtig, erst recht nicht einer gierigen medialen Öffentlichkeit. Das ist, wie man leider immer einmal wieder erwähnen muss, kein "ungerechtes“ Privileg oder Kennzeichen staatlicher Schwäche, sondern ein jahrhundertelang mühsam erkämpfter Grundsatz des dem Menschenrecht verpflichteten Rechtsstaats. 

Daraus folgt: Eine "Waffengleichheit zwischen Staatsanwaltschaft und Angeklagtem vor der Presse“ ist ein abwegiges Konstrukt und eine fantasiegesteuerte Forderung. Sie hat verschiedene Wurzeln, die auf verschiedenen Interessen beruhen und möglicherweise auch allesamt irgendwie "legitim“ sind, aber allesamt mit den Anliegen und Verpflichtungen des Strafverfahrens wenig zu tun haben und deshalb auch keineswegs bedient werden "müssen“.

Wann Pressearbeit zu weit geht

Es gibt kein legitimes Interesse der anonymen Öffentlichkeit daran, ein Strafverfahren quasi "live“ aus der "Perspektive“ der Beteiligten und Betroffenen, zu erleben oder "nachvollziehen“ zu können, also kein Recht des Medienkonsumenten auf "Akteneinsicht" und alsbaldige Kenntnisgabe und -nehme von allen Argumenten, Stellungnahmen, also auf "Vollinformation". Es gibt zugleich auch kein legitimes Interesse des Staats daran, Zwischenergebnisse eines Strafverfahrens aus dem und für den Blickwinkel und das Interesse einer fiktiven Öffentlichkeit zu "vermitteln“. Und es gibt andererseits ein legitimes Interesse eines Beschuldigten daran, einer auf seine Verdammung wartenden Öffentlichkeit seine angeblich engelsgleiche Unschuld zu versichern. Wenn man das unter den Bedingungen der Kommunikationsmarkt-Gesellschaft macht, wird es von Profis gemacht, die, wenn es gut geht, ihr Handwerk verstehen.  

In der subjektiven Position von Staatsanwälten ist der Druck, einer nicht selten verzerrenden, notwendig parteiischen, gelegentlich empörenden "Pressearbeit“ von Beschuldigtenvertretern entgegenzutreten, sehr groß und leicht verständlich. Es ist subjektiv alles andere als angenehm, sich als notorisch kleinkarierten, verfolgungswütigen, rechtsstaatsfernen Trottel bezeichnet oder verdächtigt zu sehen. Trotzdem muss man schlicht erkennen: "Das ist der Job“. Und zwar nicht in dem Sinn, den allabendlich von an der Gerechtigkeit verzweifelnden "Tatort“-Kommissare simulieren, sondern ganz trocken und verfassungsorientiert. Wer sich öffentlich "verwirklichen“ will, soll halt Schauspieler oder Heldensopran werden. 

"Pressearbeit“ der Staatsanwaltschaften ist rechtsstaatlich geboten, informell und formell wichtig, verfassungsrechtlich in keinerlei Wettbewerb mit der "Pressearbeit“ von Privaten oder Beschuldigten. Deshalb ist der Versuch, sich dem anzugleichen oder es vorauseilend zu übertreffen, in aller Regel falsch, unangebracht und oft auch normativ grenzüberschreitend. Die deutsche Staatsanwaltschaft hat weder Anlass noch Auftrag noch Legitimation, sich öffentlich aufzuführen wie us-amerikanische oder chinesische Partei-Organisationen. Das bedeutet konkret: "Durchstechen“ oder Andeuten von angeblich entscheidenden Informationen, Schlechtmachen von Beschuldigten, Verkündung von spekulativen Mutmaßungen, anders gesagt: jegliche Parteilichkeit ist unangemessen und gesetzwidrig. Das müssen der Staat und die Staatsanwälte aushalten ebenso wie es die Finanzbehörden oder die Sozialfürsorgebehörden aushalten müssen. 

Antworten im Ergebnis: 

  1. Pressearbeit der Staatsanwaltschaften ist zwingend erforderlich und ohne Zweifel legitim. Sie geht aber zu weit, wenn sie über eine neutrale, an § 160 Abs. 2 StPO orientierte Information hinausgeht und versucht oder den Eindruck des Versuchs erweckt, die öffentliche Meinung im Sinne einer vorweggenommenen Bekräftigung von Beschuldigungen oder im Sinne einer "Gegenwehr" gegen tatsächlich oder vermeintlich manipulative Mitteilungen anderer Verfahrensbeteiliger steuern zu wollen.
  2. Die Pressearbeit der Staatsanwaltschaften steht nicht in einem Wettbewerb um Aufmerksamkeit und Definitionsmacht mit privaten Interessenten oder Beschuldigten.
  3. "Waffengleichheit“ zwischen staatlicher und privater Interessen-Kommunikation ist weder inhaltlich noch formal geboten oder legitim; eine Forderung danach vermischt Bedeutungsebenen.
  4. "Pressearbeit“ von Staatsanwaltschaften überschreitet, wo immer sie auf partei-artiger Anmaßung beruht, rechtsstaatliche Grenzen. Das gilt insbesondere etwa für gezielte "Hintergrund“- oder Vorab-Informationen (siehe Fall Zumwinkel!). Jede "exklusive“ Zusammenarbeit mit konkreten Medienunternehmen oder Journalisten trägt den Stempel des mindestens informellen Korruptionsverdachts.  
  5. Staatsanwaltschaften und Staatsanwälte müssen Art. 20 Abs. 3 GG (Gesetzesbindung) und § 160 Abs. 2 StPO als Geschäftsgrundlage ihrer Tätigkeit akzeptieren; das ist Teil des Amtseids. Die Bereitschaft, jederzeit öffentlich Verfolgungseifer zu demonstrieren oder Fehlerfreiheit zu versichern, ist es nicht. 
Zitiervorschlag

Eine Frage an Thomas Fischer: Geht die Pressearbeit von Staatsanwaltschaften zu weit? . In: Legal Tribune Online, 26.11.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50282/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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