"Die Berufung" über Ruth Bader Ginsburg: RBG ist in Hol­ly­wood ange­kommen

von Hasso Suliak

02.03.2019

"Notorius RBG", wie die US-Supreme-Court-Richterin Ruth Bader Ginsburg von ihren Anhängern wegen ihrer Beharrlichkeit genannt wird, ist längst eine Ikone der Frauenrechtsbewegung. Jetzt widmet sich eine Hollywood-Produktion der 85jährigen.

Von US-Liberalen und Feministinnen wird Ruth Bader Ginsburg, deren Kürzel "RBG" mittlerweile diverse Fanartikel ziert, schon lange verehrt. Sie war in 25 Jahren am Obersten Gerichtshof der USA an zahlreichen Urteilen zu Frauenrechten und Diskriminierung beteiligt.

Ihren Aufstieg in Amerikas höchstes Gericht erkämpfte sich die Juristin durch einen aufopfernden Einsatz gegen jegliche Form der Geschlechterdiskriminierung. Von US-Präsidenten der Demokraten wurde dieses Engagement auch entsprechend gewürdigt: 1980 ernannte Jimmy Carter sie zur Richterin am Bundesberufungsgericht für den District of Columbia. Bill Clinton berief sie schließlich im Jahr 1993 an den Supreme Court.

Viele hoffen, dass RBG dort als älteste Richterin mindestens so lange die Fahne der Bürgerrechte hochhält, bis US-Präsident Donald Trump eines Tages wieder von einem liberalen Präsidenten abgelöst wird. Denn würde sie vorher aus dem Supreme Court ausscheiden, könnte Trump ihren Platz mit einem konservativen Richter besetzen.

Ein amerikanisches Heldinnenepos

Dass RBG mittlerweile nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland höchste Anerkennung genießt, hat nicht zuletzt mit einem grandiosen Dokumentarfilm über die kämpferische Juristin zu tun, der im letzten Jahr in die deutschen Kinos kam.

Doch während die Doku "RBG - Ein Leben für die Gerechtigkeit" die Zuschauer – insbesondere die Juristen unter ihnen - begeisterte, ist die jetzt unter Regie von Mimi Leder ("Deep Impact", "Das Glücksprinzip" ) produzierte Hollywood-Inszenierung "Die Berufung – Ihr Kampf für Gerechtigkeit" ein anderes Kaliber: Eine Art amerikanisches Heldinnenepos in Starbesetzung, das zwar an der ein oder anderen Stelle Gefühle aufwirbelt, dabei aber die Hauptfigur in eine Rolle presst, die einem Realitätscheck vermutlich nicht immer standhalten würde.

Anders als die Doku von 2018 widmet sich "Die Berufung" (Originaltitel: "On the basic of sex") nicht dem gesamten Lebenslauf der Richterin, die von der Britin Felicity Jones ("Rogue One: A Star Wars Story", "Die Entdeckung der Unendlichkeit") gespielt wird. Der Film beleuchtet im Wesentlichen einen Ausschnitt daraus – und zwar einen der bedeutsamsten Fälle von RBG aus den 70er Jahren: Damals machte sie ihr Mann, der Steueranwalt Marty (gespielt von Armie Hammer, bekannt aus Filmen wie "Call Me by Your Name" und "The Social Network"), auf den Fall Charles Moritz aufmerksam.

Der Präzedenzfall Charles Moritz

Der unverheiratete Moritz (gespielt von Chris Mulkey) kümmert sich aufopfernd um seine kranke Mutter. Doch ein Steuernachlass, den die Abgabenordnung einer verheirateten Frau in gleicher Rolle gewährt, wird ihm von der Steuerbehörde und der ersten Gerichtsinstanz verweigert. Hintergrund der Regelung ist ein damals noch weiter verbreitetes Rollenbild: Die Frau ist zu Hause und pflegt gegebenenfalls Angehörige. Der Mann hat damit nichts zu tun. Er sorgt stattdessen für das Familieneinkommen.

RBG wittert bei diesem Sachverhalt einen Präzedenzfall, der eine seit Jahrzehnten stillstehende Gesetzeslage ad absurdum führen könnte. Mit Hilfe der US-Bürgerrechtsorganisation ACLU, dessen Boss Mel Wulf (gespielt von Justin Theroux) im Film eher unsympathisch daherkommt, weil er zeitweise – wie die chauvinistische Gegenseite – nicht an die Fähigkeiten von RBG glaubt, ziehen Ruth und ihr Mann vor das Berufungsgericht in Denver. Dort sieht es zunächst tatsächlich so aus, als sei die junge Ginsburg den strengen Richtern nicht gewachsen.

Erst nachdem sie sich heldinnenhaft im Gerichtsaal ein Herz nimmt, beeindruckt sie plötzlich die Richter. Sie erhält mehr Redezeit und hat so Gelegenheit, die unsinnigen Argumente des patriarchalen Amerikas zu entlarven. Im Hollywoodfilm erscheint RBG damit – wohl der Dramaturgie wegen - eine Zeitlang als naives Frauchen, das sie in Realität vermutlich nie gewesen ist.

"Ein radikaler sozialer Wandel"

Genussvoll greift Ginsburg vor dem Gericht den Vorwurf der Gegenseite auf, ihr gehe es wohl um einen "radikalen sozialen Wandel". Sie ermuntert die Richter, genau einen solchen endlich anzuerkennen und entsprechend zu urteilen.

Mit Erfolg. Das Berufungsgericht entscheidet einstimmig zu ihren Gunsten. Dass die Seite der Berufungsbeklagten, in der ausgerechnet Ruths alter Harvard-Dekan (gespielt von Sam Waterston) die Fäden der Argumentation in der Hand hält, meint, das Gericht damit beeindrucken zu können, in dem es alle 178 Gesetze vorlegt, in denen bereits "erfolgreich" Geschlechterdiskriminierung stattfindet, erleichtert RBG letztlich auch die Arbeit. Im Laufe der kommenden Jahre macht sie sich ans Werk, viele dieser Bestimmungen zu kippen.

Unter anderem vertritt RBG wenige Jahre später im Supreme-Court-Fall Weinberger vs. Wiesenfeld (Urt. v. 19.03.1975) einen jungen Witwer, der sich als Hausmann um seinen kleinen Sohn kümmert und feststellen muss, dass bestimmte Sozialleistungen nur Witwen zur Verfügung stehen. Sie nimmt den Witwer mit in den Gerichtssaal, damit sich die damals neun männlichen Supreme-Court-Richter mit ihm identifizieren können. Den Fall gewinnt RBG dann ebenfalls einstimmig.

Typisch Hollywood, leider

"Die Berufung" ist ein kurzweiliger Film mit den üblichen Hollywoodeffekten. Er beschäftigt sich in erster Linie mit der Vergangenheit und erweckt dabei – vielleicht unfreiwillig – beim Betrachter den Eindruck, als sei die Geschlechterdiskriminierung heute gar nicht mehr so schlimm. Und ein Stück weit ist es ja auch so: Der Film beginnt mit einer Rückschau auf die Startschwierigkeiten von Ginsburgs Karriere. Es sind die 50er Jahre, Frauen dürfen in den USA weder als Polizeibeamtinnen arbeiten noch in Princeton studieren.

Ruth Bader Ginsburg will diese Welt verändern. Sie studiert als eine von wenigen Frauen Jura an der Elite-Universität Harvard. Nach ihrem Abschluss als Jahrgangsbeste muss sie sich aber mit einer Stelle als Professorin zufriedengeben, obwohl sie lieber als Anwältin die Gerichtssäle erobern würde. Dieses Privileg ist ihren männlichen Kollegen vorbehalten. Im Film wie im wahren Leben zeigt es "Notorius RBG" am Ende allen. Happy End pur.

Es gibt einen – etwas dick aufgetragenen – Moment gegen Ende des Films, wo plötzlich die echte Ruth Bader Ginsburg die Treppen zum Gerichtsgebäude hinaufsteigt. Unweigerlich fühlt sich der Besucher an die begeisternde Doku des letzten Jahres erinnert. Und man merkt, dass einem damals die echte RBG – ganz ohne Herz-Schmerz Effekte à la Hollywood – mehr ans Herz gewachsen ist als ihre von einer Starschauspielerin gespielte Filmfigur.

Drehbuch stammt von Ginsburgs Neffen

Verkürzt werden sollte die Botschaft des Filmes im Übrigen nicht auf das Thema Geschlechterdiskriminierung: "Die Berufung" dreht sich auch um eine moderne Rollenverteilung in der Familie, um Kindererziehung und die Vereinbarkeit mit dem Beruf.

RBG hatte hier anders als andere Frauen in den 50er Jahren schlicht viel Glück: Sie verliebte sich in einen Mann, der nicht nur aus Krankheitsgründen, wie der Film suggeriert, eigene berufliche Ambitionen hintenanstellte und sich mehr als andere Ehemänner zu jener Zeit um die Kinder kümmerte. Ohne einen modernen Vater und Charakter wie Marty, der übrigens auch ein erfolgreicher Steueranwalt war, wäre RBG ihre beispiellose Karriere wohl nicht gelungen.

Aber womöglich ist die echte Ruth Bader Ginsburg auch ein Familienmensch und wollte mit ihrem etwas lächerlich daherkommenden Schlussauftritt in Wirklichkeit der eigenen Familie einen Gefallen tun: Das Drehbuch zu "Die Berufung - Ihr Kampf für Gerechtigkeit" stammt aus der Feder von Ginsburgs Neffen Daniel Stiepleman.

Zitiervorschlag

"Die Berufung" über Ruth Bader Ginsburg: . In: Legal Tribune Online, 02.03.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/34127 (abgerufen am: 01.12.2024 )

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